Leib, wie sie sich gefühlt hatte. »Also, was meinst du?«
»Das kann ich doch nicht so spontan entscheiden«, entfuhr es ihm.
»Dann lass dir Zeit und denk in Ruhe darüber nach«, machte Anneka einen vernünftigen Vorschlag.
Sie war ein friedfertiger Mensch und hatte den Ärger gründlich satt. Es wurde höchste Zeit, dass endlich wieder Frieden zwischen ihnen einkehrte. Mal abgesehen davon, dass die gemeinsamen Stunden selten waren. Aus den Lautsprechern ertönte ein langsamer Schmusesong, und plötzlich hatte Anneka eine Idee, wie sie Leon versöhnlich stimmen konnte. Über den Tisch hinweg griff sie nach seiner Hand und sah ihm tief in die Augen. »Hör mal, das ist unser Lied!«, raunte sie ihm zu. »Hast du Lust, mit mir zu tanzen?«
Allein aus Trotz lag ihm ein Widerspruch auf den Lippen. Als er aber Annekas glänzende Augen sah, den verführerischen Augenaufschlag, den sie ihm zuwarf, konnte er ihr nicht länger widerstehen. Er rutschte vom Barhocker, trat vor sie und umfasste ihre schmalen Hüften. Mit seinen starken Armen hob er sie herunter und stellte sie auf den Boden. Bevor er sie zur Tanzfläche führte, beugte er sich über sie und küsste sie zärtlich auf die Lippen. In diesem Augenblick wusste Anneka, dass Leon ihr nicht länger böse war. Und als sie sich ein paar Minuten später auf der Tanzfläche wiegten, seine Hände auf ihrem Rücken herab glitten, war zumindest für diesen Abend ihre Welt wieder in Ordnung. Selbst wenn sie noch keine Antwort auf ihren Vorschlag bekommen hatte.
*
An diesem Abend hatten auch Daniel und Fee endlich wieder einmal Zeit füreinander. Der Winter hielt die Welt immer noch in seinen kalten Händen gefangen, und so hatten sie es sich wieder einmal vor dem prasselnden Kaminfeuer gemütlich gemacht. Diesmal saß Fee im Sessel und hatte keinen Reiseprospekt auf den Knien. Wie ihr Mann hatte sie für solche Pläne im Augenblick keinen Sinn. Stattdessen berichtete sie von dem Gespräch, das sie mit Charlotte geführt hatte.
»Du meine Güte. Dann haben die beiden ja noch wesentlich mehr zu schultern als ›nur‹ Bernhards Gesundheit«, bedauerte Daniel das schwere Los der Freunde zutiefst.
Fee nickte bekümmert.
»Wie ist es denn heute gelaufen?«, erkundigte sie sich nach dem Verlauf der Operation.
»Die Arterie war durch einen Pfropf verschlossen«, erinnerte sich Daniel an die schwierige Operation, die er gemeinsam mit Jenny Behnisch und einem Neurochirurgen durchgeführt hatte. »Dem Kollegen ist es glücklicherweise gelungen, das Gefäß zu öffnen und den Thrombus zu entfernen.«
»Wenn ich nicht vom Fach wäre, würde ich sagen, dass das grauenhaft klingt«, erwiderte Fee und schälte sich aus der Decke, um einen weiteren Scheit Holz in die Glut zu legen. Es dauerte nur wenige Momente, bis es Feuer gefangen hatte. In Gedanken versunken stand Felicitas davor und beobachtete den Funkenflug. Sie lauschte einen Moment auf das heimelige Prasseln, ehe sie Anstalten machte, in ihren Sessel zurückzukehren.
»Willst du nicht zu mir kommen?« Daniel erkannte ihre Absicht und versuchte prompt, sie zu vereiteln.
Diesem Vorschlag kam Felicitas nur zu gerne nach. Das Schicksal des befreundeten Ehepaares hatte ihnen wieder einmal vor Augen geführt, wie zerbrechlich das Glück doch ist. Sie setzte sich neben ihren Mann und schmiegte sich in seinen Arm.
»Wie geht es jetzt mit Bernhard weiter?«, fragte sie, während sie versonnen seine Hand streichelte.
»Wenn er die Nacht gut übersteht, will Jenny ihn morgen wach werden lassen.«
»Und wie geht es dann weiter?«
»Dann müssen wir abwarten. Es wird ein paar Tage dauern, bis wir wissen, welches Reha-Programm für Bernhard in Frage kommt. Natürlich wäre es schön, wenn er sich auf der Insel der Hoffnung erholen könnte.« In der Tat war das Sanatorium seines Schwiegervaters ein ungewöhnlicher, wunderbarer Ort. Mancher Patient sprach sogar von einer Art Magie, die diese Oase der Ruhe ausstrahlte. Selbst schwierige Fälle wurden dort vom fachkundigen Personal mit erstaunlichen Ergebnissen behandelt, sodass nicht nur Daniel, sondern auch Fee davon überzeugt war, dass ein Aufenthalt dort das Beste für Bernhard Beer sein würde. Doch Felicitas ging noch einen Schritt weiter.
»Und das am besten mit Charlotte«, machte sie einen Vorschlag. »Wenn man Teresas Worten glauben darf, haben die beiden schwere Zeiten hinter sich. Existenzielle Probleme belasten auch die beste Ehe.«
»Wenn kein Wunder geschieht, werden Bernhard und Charlotte aber auch weiterhin mit diesen Problemen zu kämpfen haben«, teilte Dr. Norden seine Bedenken mit seiner Frau. »Und möglicherweise noch mehr als vorher, weil das Reisebüro laut Teresas Worten tatsächlich dem Untergang geweiht ist.«
Eng an ihren Mann gekuschelt saß Fee auf der Couch und starrte gedankenverloren ins Feuer.
»Dann werden wir unsere Thailand-Reise wohl doch in einem anderen Reisebüro buchen müssen«, seufzte sie bedrückt. »Na ja, dafür ist zumindest für Charlottes Aufenthalt auf der Roseninsel gesorgt. Wenn Paps von der Geschichte hört, wird er tief in den Spendentopf greifen und ihr diesen Urlaub ermöglichen.«
»Und wer weiß, wenn die Reha vorbei ist, hat sich vielleicht auch eine Lösung gefunden, wie es mit dem Reisebüro weitergehen kann.« Wie immer wollte Daniel die Hoffnung auf ein positives Ende nicht aufgeben und strahlte die dazugehörige Zuverlässigkeit aus.
Auch das war einer der vielen, vielen Gründe dafür, warum Fee ihren Mann so sehr liebte. Sie seufzte glücklich und hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen.
»Wann habe ich dir eigentlich das letzte Mal gesagt, dass ich dich liebe?«, fragte sie zärtlich und hob die Hand, um ihm liebevoll über die Wange zu streicheln.
Daniel fing sie jedoch mit der seinen ab und hielt sie fest, um jede einzelne Fingerspitze zu küssen.
»Du sagst es mir jeden Tag, indem du bei mir bist und mich unterstützt, wo du nur kannst«, erwiderte er dann mit rauer Stimme und beugte sich über sie, um sie mit einer Leidenschaft zu küssen, die auch nach so vielen gemeinsamen Jahren nichts von ihrer Intensität eingebüßt hatte.
*
Bernhard Beer überstand die Nacht in der Klinik ohne Komplikationen, sodass Jenny Behnisch ihren Plan, ihn aus dem künstlichen Koma zu holen, am nächsten Morgen in die Tat umsetzen konnte.
»Es ist wichtig, dass Ihr Mann so schnell wie möglich wieder die Kontrolle über seine Körperfunktionen erlangt«, erklärte sie Charlotte Beer, die diesmal allein in die Klinik gekommen war.
Seit der Auseinandersetzung vom vergangenen Tag hatten sich Mutter und Tochter nicht mehr gesehen und auch nicht mehr miteinander gesprochen. Die schlaflose Nacht war Charlotte deutlich anzusehen, als sie in Jennys Büro saß und sich anhörte, was die Klinikchefin ihr zu sagen hatte.
»Deshalb sind wir immer bemüht, ein künstliches Koma so kurz wie möglich zu halten.«
Natürlich freute sich Charlotte über diese Nachricht. Gleichzeitig hatte sie Angst vor dem, was danach kommen würde. Würde Bernhard gesund sein? Würden die Wunden, die sie einander im harten Existenzkampf geschlagen hatten, wieder verheilen? Oder würden für immer Narben zurückbleiben?
»Und wie lange dauert es, bis er wieder aufwacht?«, fragte sie mit bangem Herzen und versuchte, nicht an ihre existenziellen Probleme zu denken.
Jenny Behnisch blieben die Nöte ihrer Besucherin nicht verborgen.
»Im Fall Ihres Mannes werden die Narkosemittel über Stunden reduziert. Dabei wird die Reaktion des Gehirns ständig überwacht«, versuchte sie, die besorgte Ehefrau durch genaue Informationen zu beruhigen. »Da das künstliche Koma wesentlich tiefer ist als eine Vollnarkose, geschieht das Aufwachen sehr langsam. Sie sollten sich also keine Sorgen machen, wenn Ihr Mann erst nach ein paar Tagen die Augen öffnet.«
»Das sagen Sie so einfach«, seufzte Charlotte mit gemischten Gefühlen.
Auf der einen Seite war sie froh, der Wahrheit noch nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Andererseits konnte sie es kaum erwarten, ihrem Mann wieder in die Augen