auch deren irdischer Vergänglichkeit. So verliert sich die historische Gestalt der Dichterin in den Legenden und Fiktionen, die sie umranken, so dass das folgende klagende Liebesgedicht fast als ein Kommentar des posthumen Schicksals der Poetin gelesen werden kann:
Bin ich selbst denn
nicht zu finden? O blindes
Tasten nach der Spur,
seit der Erwartete mich
aus seinem Herzen verlor.
Doch die Spur Ono no Komachis verliert sich nicht wirklich, denn sie lässt sich entdecken in ihren unsterblichen Gedichten, den spielerischen wie den wehmütigen, die in ihrer kurzen Einfachheit ein ganzes Leben fassen:
Farbiges Blühen,
wehe, es ist verblichen,
da ich leeren Blicks
nachtlang in ewigem Regen
mein Leben verrauschen sah.
Wichtige Werke:
18 tanka aus der Anthologie Kokin-wakashū (905)
1 Die Heian-Periode ist benannt nach der damaligen imperialen Hauptstadt Heian Kyo, dem heutigen Kyōtō, Sitz des kaiserlichen Hofes und kulturelles Zentrum.
1 Der Titel des Dramas spielt auf den ersten Satz von Herman Melvilles (1819-1891) berühmten Roman Moby Dick (1851) an: »Call me Ishmael – Nennen Sie mich Ismael.«
(ABŪ ‘ABDOLL H DJA’FAR BEN MOHAMMAD) RŪDAKĪ
(UM 859–941)
Eine Million und Dreihunderttausend Verse – Der König der Dichter
Abū ‘Abdollāh Dja’far ben Mohammad Rūdakī wird im Allgemeinen als der Begründer der Dichtung im Neupersischen (Dari, Parsi, Farsi) betrachtet. Obwohl von seinem legendenumwobenen Diwan1 nur ein Bruchteil überliefert ist, wurde der Poet, Sänger und Musiker in verschiedenen Epochen der persischen Literaturgeschichte als ›König der Dichter‹ verehrt, und sein Meisterwerk Kalīla wa Dimna (›Kalila und Dimna‹) gilt als einer der wichtigsten Texte in Farsi.
Unter den Samaniden-Herrschern im 9. und 10. Jahrhundert kam es im persischen Kulturkreis zu einer Art Zeitenwende und zur Entwicklung einer neuen Art von Dichtkunst, die versuchte, die neue islamische Poesie mit der alten, vorislamischen Tradition zu verbinden. Außerdem etablierte sich mit Farsi (von Fārsī-e Darbārī, d. i. ›Sprache des königlichen Hofes‹) eine neue Schriftsprache, die auf einem arabisch-persischen Alphabet basierte. Zum ersten hervorragenden Dichter dieser Sprache, die sich im Mittelalter zur bedeutendsten Literatur- und Gelehrtensprache der islamischen Welt entwickeln sollte, wurde Abū ‘Abdollāh Dja’far ben Mohammad Rūdakī, der somit die poetologischen Regeln des Farsi entscheidend mitdefinierte. So etwa geht die Farsi-Reimordnung auf den Diwan Rudakis zurück.
Es existieren vergleichsweise viele Überlieferungen das Leben Abū ‘Abdollāh Dja’far ben Mohammad Rūdakīs betreffend (der Beiname verweist auf seinen Geburtsort Rūdak bei Samarkand); dennoch oder gerade deswegen sind Fakt und Legende unauflöslich miteinander verwoben. Sicher ist, dass Rūdakī Hofdichter des Samanidenkönigs Nasr II. (Regierungszeit 914–933) in Bukhara (Bochara) war. Berichte über die Jugend des Farsi-Poeten sind weniger verbürgt; dem Chronisten ‘Awfi, einem Zeitgenossen des Dichters, zufolge, zeigte Rūdakī seine ungewöhnliche Begabung schon früh: Als Achtjähriger soll er den gesamten Koran auswendig gewusst und bald darauf erste Gedichte verfasst haben. Seine ausgesprochen schöne Singstimme verhalf Rūdakī zur Bekanntschaft mit dem berühmten und hochgeehrten Flötisten Bakhtiar, dessen Schüler er wurde und dessen Erbe er schließlich antrat. Rūdakīs ungeheure Gelehrsamkeit, sein immenses musikalisches wie poetisches Talent und nicht zuletzt seine charismatische Persönlichkeit sollen schließlich König Nasr II. dazu veranlasst haben, den Künstler an seinen Hof zu bitten und ihn dort mit Ehren und Reichtümern zu überschütten. Tatsächlich jedoch war es wohl die Bekanntschaft und das Mäzenat des wichtigsten und einflussreichsten Wesirs (Hofminister) der Zeit, Abul Fadl Bal’ami, die dem Dichter den initialen Zugang zum königlichen Hof ermöglichten und ihn aller Anfeindungen zum Trotz die Position des Hofpoeten verschafften und erhielten (ein Mäzenat, das nicht nur der unbestreitbare poetische Geist Rūdakīs an sich inspirierte, sondern auch die Gelegenheit, eben jenen Geist als ›Propagandadichter‹ – in Form von Lobpreisgedichten auf den Gönner – einsetzen zu können). Wie dem auch sei: Die Position des Hofdichters und seine poetische Potenz1 verhalfen Rūdakī jedenfalls zu einem Reichtum, der in der islamischen Welt sprichwörtlich geworden ist; er soll 200 Sklaven besessen haben und seine Besitztümer sollen 400 Kamele nicht haben tragen können. Doch mit dem Sturz oder dem Tod Bal’amis endete auch Rūdakīs große Zeit. Im Jahr 937 wurde er vom Hof verbannt und starb altersschwach und ver-armt in seinem Heimatdorf.
Zu Kontroversen regte die Gelehrten seit jeher die legendäre Blindheit des großen Dichters Rūdakī an. Erblindete der Poet nach und nach oder wurde er vielleicht sogar geblendet, da er sich weigerte, weiterhin den Lobpreis der Herrschenden zu singen? Oder berichtet uns der Chronist ‘Awfi die Wahrheit, wenn er von Rūdakīs angeborener Blindheit spricht? Wie aber könnte ein von Geburt an Blinder Verse von der Einduckskraft eines Rūdakī verfassen – Verse, die die Schönheit der Natur in unsterbliche Worte fassen und in denen nicht zuletzt Farben eine zentrale Rolle spielen? Könnte die an der Musik geschulte Imagination Rūdakīs tatsächlich von einer derartigen übermenschlichen Kraft gewesen sein? – Was auch immer die Antwort auf diese Fragen sein mag, Abū ‘Abdollāh Dja’far ben Mohammad Rūdakī ist als der große blind-sehende Dichter in die Literaturgeschichte eingegangen.
Legendär ist auch der angebliche Umfang des poetischen Werkes Rūdakīs, das 1.300.000 bayts (Doppelverse) umfasst haben soll. Tatsächlich überliefert sind vom Diwan Rūdakīs, dessen tatsächlicher Umfang im Dunkeln liegt, nur an die 1.000 verschiedenen Genres zugehörige Verse. Auch von der Romanze Sindbād-Nāmē (›Das Buch des Sindbad‹) und der Fabelsammlung Kalīla wa Dimna sind nur Fragmente übriggeblieben. Letztere ist das unbestrittene Meisterwerk Rūdakīs, das trotz fehlender Überlieferung eine wichtige Rolle für die persische Literatur spielt. Kalīla wa Dimna ist die persische Übertragung einer wohl 2000 Jahre alten Sammlung von Tierfabeln aus dem Sanskrit und wurde von Rūdakī im Auftrag von Wesir Bal’ami angefertigt. Der Poet übersetzte jedoch die alten indischen Fabeln nicht einfach, sondern dichtete sie nach und setzte sie in Versform. Sie sind ein Musterbeispiel der ausgesprochen schlichten1 und dabei ungeheuer melodiösen Sprache des großen Farsi-Dichters, wie sie sich auch in dem folgenden berühmten Gedicht an den Fluss Amu-Daria (Oxus) zeigt:
Ich rieche gern den Duft des Molian-Bachs.
Er erinnert mich an die liebliche Geliebte.
Der Armur und sein rauer Sand
scheint mir wie Federn unter meinen Füßen.
Neben den lehrreich-amüsanten Tierfabeln und den Lobpreisliedern auf den König, den Hof und die Hauptstadt verfasste der Gelehrte Rūdakī Gedichte über zentrale Themen der menschlichen Existenz: das Verstreichen der Zeit, die Unabwendbarkeit des Todes, die Wichtigkeit der Liebe und das Verlangen nach Glück sowie die große Bedeutung von Wissen, Bildung, Erfahrung und Kunst. Dabei reicht sein Ton von Hedonimus bis Pessimismus, und Rūdakī erweist sich genauso als Meister der Erotik wie als weiser Denker.
Wichtige Werke:
Sindbād-Nāmē
Kalīla wa Dimna
1