Katharina Maier

Die großen Literaten der Welt


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halten Rūdakī für den Begründer der literarischen Form des Diwan.

      1 Die Kraft von Rūdakīs Poesie soll so groß gewesen sein, dass während eines Kriegszuges nach Herat in Afghanistan die Emire Nasr II. den Dichter baten, ein Loblied auf das heimatliche Bukhara zu verfassen, um den König zur Umkehr zu bewegen. Die Macht der Verse, die Rūdakī daraufhin auf die Schönheit Bukharas schrieb, ließ dann auch, so die Überlieferung, den König prompt Hals über Kopf gen Heimat aufbrechen.

      1 Rūdakīs poetische Schlichtheit wurde allerdings nicht in allen Epochen der persischen/islamischen Literaturgeschichte geschätzt; je verkünstelter die Poetik der jeweiligen Epoche, desto geringer wurde die augenscheinlich so einfache Diktion Rūdakīs geachtet.

      MURASAKI SHIKIBU

      (UM 978–1016)

       Der strahlende Prinz und die Dame Blauregen – Japans klassischer Roman

       Die Geschichte des Prinzen Genji (Genji Monogatari, um 1003–1010), verfasst von der Kaiserlichen Hofdame Murasaki Shikibu, gilt vielen als der erste vollständige Roman Asiens, wenn nicht sogar der Welt. Ohne Zweifel ist, dass die monumentale Geschichte des ›strahlenden Prinzen‹ das herausragendste Werk der klassischen japanischen Literatur konstituiert und zu den großen Texten der Weltliteratur gehört.

      Die Frage, ob einer der ersten, wenn nicht sogar der erste, Roman der Welt tatsächlich von einer Frau geschrieben wurde, beschäftigt die Fachleute bis zum heutigen Tag. Schon zu Murasaki Shikibus Lebzeiten kam das Gerücht auf, die Erzählung stamme eigentlich aus der Feder ihres Vaters, eine Vermutung, die sich bis heute hält. Auch andere bedeutende Zeitgenossen Murasaki Shikibus stehen ›in Verdacht‹ der möglichen Mitautorschaft an einem der komplexesten und ausladendsten Texte der Weltliteratur. Ähnlich wie im Falle des Œuvres William Shakespeares (1564–1616) erscheint Die Geschichte des Prinzen Genji als ein (fast) zu großes Werk, um es mit der historischen Gestalt seiner Verfasserin zu vereinbaren. Und konnte eine Frau in einer Zeit, in der Damen im Allgemeinen nur in der sogenannten ›Frauenschrift‹ schrieben, eine begrenzte Ausbildung erhielten und sich akzeptierterweise ausschließlich mit Poesie beschäftigten1, tatsächlich ein Erzählwerk von der Bandbreite der Geschichte des Prinzen Genji verfassen?

      Murasaki Shikibus biographischer Hintergrund, auch wenn er nur in Fragmenten und zu einem Großteil über das Tagebuch der Murasaki Shikibu (Murasaki Shikibu nikki, 1008–1010) bekannt ist, deutet allerdings durchaus darauf hin, dass die Schriftstellerin die nötigen Voraussetzungen mitgebracht haben kann, um den monumentalen Roman zu verfassen, der unter ihrem Namen in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Murasaki Shikibu, deren Geburtsname nicht bekannt ist – ›Shikibu‹ bezieht sich auf das Amt ihres Vaters im Ministerium für Zeremonien, ›Murasaki‹, d. i. Glyzinie bzw. Blauregen, stammt vermutlich von dem Namen der weiblichen Hauptfigur der Geschichte des Prinzen Genji, Murasaki no Ue –, entstammte der Fujiwara-Familie, einer der wichtigsten Familien in der japanischen Geschichte, und zwar entsprang die künftige Schriftstellerin einem literarisch ausgesprochen fruchtbaren Zweig derselben. Sowohl Murasaki Shikibus Großvater als auch ihr Vater und ihre Mutter waren poetisch tätig. Da die Mutter früh verstarb, wuchs Murasaki Shikibu, anders als zu dieser Zeit in der Adelsschicht üblich, nicht im mütterlichen, sondern im Haushalt des Vaters auf, wo sie – wieder völlig entgegen den Konventionen – zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Nobunori unterrichtet wurde, also eine ›männliche‹ Bildung erhielt; unter anderem lernte sie Chinesisch, die ›männliche‹ Schriftsprache. Ihr Vater soll von der Intelligenz und schnellen Auffassungsgabe seiner Tochter so beeindruckt gewesen sein, dass er wortreich ihr weibliches Geschlecht beklagte, das ihr einen adäquaten Einsatz ihrer Talente zu verwehren drohte. Als Murasaki Shikibus Vater im Jahr 996 zum Provinzverwalter ernannt wurde, begleitete ihn seine Tochter, womit sich ihr eine weitere für eine Frau ungewöhnliche Gelegenheit eröffnete: die zu reisen. Zwei Jahre später, nach ihrer Rückkehr in die heimatliche Reichshauptstadt Heian Kyo (das heutige Kyōtō), heiratet Murasaki Shikibu mit Fujiwara Nobutaka einen entfernten, um viele Jahre älteren Verwandten. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, die unter dem Namen Daini no Sanmi (999–1077) später selbst zu einer bekannten Dichterin wurde. Sie schrieb vermutlich nach dem Tod ihrer Mutter die letzten zehn der 54 Bücher der Geschichte des Prinzen Genji und brachte somit das große Werk Murasaki Shikibus zum Abschluss. Mit dessen Abfassung begann die Schriftstellerin vermutlich nach dem Tod ihres Mannes; den Großteil der Erzählung schuf sie wohl während ihrer Zeit als Hofdame der jungen Kaiserin Fujiwara no Aikiko bzw. Jōtō mon’in. Diese Zeit am Kaiserlichen Hof hielt die Schriftstellerin in ihrem Tagebuch fest, welches eine scharfe Beobachtungsgabe auszeichnet, wie sie auch die psychologische Tiefe und Dichte der Geschichte des Prinzen Genji verrät. Das Tagebuch dokumentiert unter anderem Murasaki Shikibus Rivalität mit der zweiten großen Dichterin der Zeit: Sei Shōnagon (um 966–1025), ebenfalls des Chinesischen mächtig, war Verfasserin des Kopfkissenbuchs (Makura no sōshi, 1001–1010), ein komisches, ja, satirisches Werk in Tagebuchform, das die Welt des Kaiserlichen Hofes ähnlich dicht und lebendig einfängt wie die Texte der großen Rivalin. Nach dem Abschluss des Tagebuchs im Jahr 1010 verlieren sich die Spuren Murasaki Shikibus. Es wird jedoch angenommen, dass sie im Jahr 1014 oder 1016 verstarb, wenn auch manche Quellen erst 1025 als das Todesjahr der Schriftstellerin nennen.

      Der große Roman der Murasaki Shikibu erzählt, wie sein Titel schon sagt, die Abenteuer des fiktiven ›strahlenden Prinzen‹ Genji, welche in erster Linie Liebesabenteuer sind. Die letzten 12 Bücher handeln allerdings von seinen Nachkommen: seinem angeblichen Sohn Kaoru und seinem ihm so ähnlichen Enkel Niou und ihrer Rivalität in persönlichen wie in Liebesangelegenheiten. Der Kern des Romans ist die Begegnung Genjis mit Murasaki no Ue, die er sich zur idealen Gattin formt und deren Tod ihn, wenn nicht gebrochen, so doch jeden ›Strahlens‹ beraubt, zurücklässt. Der Roman entwickelt sich von einem märchenhaften, leichtherzigen Anfang über den melancholischen Ausklang von Genjis Leben und dem unglücklichen Dreiecksverhältnis zwischen Kaoru, Niou und dem Mädchen Ukifune hin zu einem dunkel-schwermütigen Ende. Das monumentale Werk wird so von einem in idealisierendem Realismus gehaltenen Gemälde der frivolen wie kultivierten Adelsschicht zu einem komplexen Seelenporträt dreier unglücklicher Menschen. Er zeichnet sich durch emotionale Sensibilität, durch eine einfühlsame Wahrnehmung der sozialen Umwelt und nicht zuletzt durch gefühlstiefe Naturschilderungen aus. Die Handlung erstreckt sich über fast ein Jahrhundert, umfasst mehr als 400 Charaktere, von denen jeder mit kluger psychologischer Genauigkeit gezeichnet ist, und verzweigt sich in vielschichtige plot-Stränge. Zusammengehalten wird das epochale Werk durch Murasaki Shikibus sprachliche Präzision und ihren ausgesprochen flüssigen Stil. Die Geschichte des Prinzen Genji begeistert ihre Leser bis heute, auch wenn sie im Westen erst in neuerer Zeit Anklang fand. Sie ist ohne Zweifel der bedeutendste der monogatari, der klassischen japanischen Romane, und machte Murasaki Shikibu zu einer der ganz Großen der Erzählliteratur.

       Wichtige Werke:

      Genji monogatari (Die Geschichte vom Prinzen Genji, um 1003–1010)

      Murasaki Shikibu nikki (Tagebuch der Murasaki Shikibu, 1008–1010)

      1 Auch Murasaki Shikibu verfasste Gedichte, von denen 128 in der Sammlung Murasaki Shikibu shū zu finden sind.

      (ABŪ MUHAMMAD AL-QĀSIM) AL-HARĪRĪ

      (1054–1122)

       Wie ein Regenguss – Der sprachgewandte Schelm

       Die Makāmen (al-Maqāmāt, 1101–1107) von Abū Muhammad al-Qāsim al-Harīrī gelten heute wie vor 900 Jahren als das Meisterwerk der arabischsprachigen Literatur. Und auch der Einfluss dieser sprachgewaltigen Schelmengeschichten auf die Weltliteratur kann kaum zu