zu erschweren scheint, ist nichts anderes als die mitschwingende, im Verborgenen wohnende deutsche Stammesseele. Der Massenerfolg, den unsere jüngstverflossene Literaturperiode im Ausland hatte und noch immer hat, geht eben auf das Fehlen jenes Etwas zurück, wodurch ein internationales, innerlich undeutsches Deutsch so leicht zu übersetzen ist und eine internationale Geisteswelt die deutsche Geistigkeit vor dem Ausland vertritt.
Die Märchen fanden in Deutschland freundlichen Empfang; sie wurden zuerst einzeln in Zeitschriften, später bei Göschen, Stuttgart, als kleines Büchlein unter dem Titel »Fantasien und Märchen« gedruckt. Sie blieben mir wert, weil ich darin zum ersten Mal meinen eigenen natürlichen Ton gefunden hatte, besonders in dem Märchen vom Leuchtkäfer. Dem englischen Freund, der so warm in meine Seele hinein empfand, ging es ebenso, er sah in dem kleinen Büchlein ein Versprechen für die Zukunft. It is no life but it hints at life, sagte er, um mich zu ermutigen. Aber so ein kleines Schwälblein macht keinen Sommer, und ich war noch nicht weit genug, um fernerhin aus den eigenen Fingern zu saugen.
Um die tiefe Enttäuschung, von der ich befallen war, nachträglich selber zu verstehen, muss ich das damalige Zeitgesicht aus meiner heutigen Überschau noch einmal zurückbeschwören. Das Hinschwinden der überpersönlichen Ziele war ja einer der Gründe, die uns aus Deutschland fortgetrieben hatten. Aber im öffentlichen Leben Italiens sah es nicht besser aus, die Auffassung von den Werten des Daseins war die gleiche, und auch sonst gab es der Parallelen mancherlei. Beiden Völkern war ein jahrhundertealter Traum, um den viel edelstes Blut geflossen, über Nacht erfüllt. Beide standen nach langer politischer Minderwertigkeit und Missachtung, die sie zum Schmerz ihrer Besten erduldet hatten, geehrt und stark unter den Völkern Europas. Aber beiden wurde die äußere Erfüllung zum inneren Verhängnis. Wo die Väter geopfert hatten, wollte man genießen, allein man genießt nicht ungestraft, wo man nicht auch zum Opfern bereit ist.
Es war ja die Blütezeit des Kapitalismus, wo der Reichtum nicht als etwas äußerlich Anhängendes erschien, sondern als ein zweites, unantastbares Gottesgnadentum. Nicht nur dass die Besitzenden in den Augen der anderen höhere Wesen waren, sie waren es auch in ihren eigenen. Mehr als heute noch vorstellbar, schwebten jene Bevorzugten in einer goldenen Wolke von Gewissheit dahin, ihr Glück mit Verdienst verwechselnd. Sie lebten zwar mit dem geistigen Adel auf dem Fuße der Gleichheit, aber es lag doch noch ein anderer Schmelz in der Stimme der Hausfrau, wenn sie eine durchreisende Finanzgröße empfing, als wenn ein armer Künstler oder Gelehrter ihr Haus betrat. Der Geist war ihnen Schmuck des Lebens, aber das Leben selber war der Reichtum.
Auch das Wirtsland befand sich zwischen den zwei Wellenbergen Garibaldi und Mussolini in einem langen und tiefen Wellental. Zu der natürlichen Sinnlichkeit eines sinnenfrohen und sinnenstarken Volkes gesellte sich der allgemeine Materialismus der Zeit. Das öffentliche Leben stockte und stickte in dem parlamentarischen Sumpf, Regierungen kamen und gingen, die Minister galten für käuflich, aus der hohen Politik floss die Skepsis über das ganze Land. Die höchste bürgerliche Stellung besaß wie in Frankreich der Advokat, und dieser als der gewandteste Redner hatte auch die nächste Anwartschaft auf einen Sitz im Parlament, wobei niemand von ihm erwartete, dass er andere als persönliche Zwecke verfolge. Die alten Kämpfer, die auf den Schlachtfeldern geblutet oder gar noch in Gefängnissen gesessen hatten, standen höflich gegrüßt aber als vergangene Größen abseits, die Jugend lächelte blasiert und skeptisch. Kurz, das Feuer des Risorgimento war niedergebrannt bis zu einem kalten Aschenrestchen. Meine gute Mutter, die mit der Fantasie ganz andere Dinge sah, war nicht wenig entsetzt, als ich ihr einmal nach einem Gesellschaftsabend erzählte, dass ein Offizier der florentinischen Garnison, den ich nach Garibaldi befragte, mir höflich nahegelegt hatte, den Namen dieses Banditenführers lieber nicht zu nennen, der Mann habe ja nicht einmal einen stato zivile presentabile (einen anständigen Familienstand). Da sah man nirgends etwas Großes, um das gerungen wurde, kein Ziel, um das man sich selber hätte freudig mitverströmen können, kein Beispiel, woran sich das Herz erhob. Man ist doch Kind seiner Zeit, da immer auch das Persönlichste mitspricht: man plätschert entweder lustig mit oder man muss abgestoßen alleinstehen. Im Lombardischen und Piemontesischen mochte es noch besser sein, aber in dem kulturalten Florenz, wo von je das Spöttertum zu Hause gewesen, war mit dem Glauben an ein höheres Leben auch der Wunsch darnach geschwunden. Nur bei armen Leuten wie Bauern, Fischern, kleinen Handwerkern konnte man noch gelegentlich auf Reste der alten Flammen stoßen. Denn der höchste Adel Italiens ist und bleibt das Volk, aus dem ja nun auch der große Staatsmann hervorgegangen ist, der diese morsche Welt aus den Angeln heben und eine völlig neue dafür hinstellen sollte. Es ist darum äußerst verkehrt, mir vorzuwerfen, wie schon geschehen ist, dass ich die Italiener nach ihren niederen Schichten beurteilte: mir scheint, man könne einer Nation keine schönere Gerechtigkeit erweisen, als wenn man sie nach denen beurteilt, die unbestritten ihre Besten sind und die die Stammesart am unverfälschtesten bewahren.
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Von diesen Dingen hatte ich freilich fast nur durch die politischen Gespräche in befreundeten Häusern Kenntnis, wie bei Karl Hillebrand oder dem Marchese Guerrieri Gonzaga, einem unentwegten Politiker, Senatore del Regno und ehemaligen Garibaldiner, der eine Frankfurterin zur Frau und einen Faustübersetzer zum Bruder hatte und auch selber deutschem Wesen nahestand. Persönlich empfand ich die öffentlichen Dinge mehr durch den Luftgehalt, dem alles Ozon fehlte und der das gesellschaftliche Leben auf die Länge immer ungenießbarer machte.
Freilich, ein Haus gab es in Florenz, das geistigste von allen, das Hildebrandsche, das mir immer gastlich offenstand und das mir, wie ich dankbar wiederhole, gerade in der bildsamsten Zeit viel zu meinem Reifen gab. Auf dem glückseligen Sitz unterhalb Bellosguardo, der ganz mit Werken edelster Kunst, mit Verochios und Donatellos und mit des Künstlers eigenen in Plastik und Malerei gefüllt war, in einer Weise gefüllt, die nichts Museumartiges an sich hatte, sondern diese Gebilde gleichsam in das Leben einbezog – in diesem Haus der Freude, inmitten einer immer schenkenden Natur, habe ich mich mehr als einmal von dem Druck, der in den letzten Jahren vor Baldes Tod auf dem unsrigen lastete, für acht bis zehn Tage erholen dürfen. Aber gerade dort hatte sich das Genussleben – dieses Wort in seinem höheren Sinn genommen – mit einem philosophischen Hedonismus zu solcher Unwiderstehlichkeit