Schreibstubentag noch Schwung und Frische für irgendein schöpferisches Tun übrig haben; wer diesen Rat gegeben, der habe ihn nie erprobt. Ich würde vielmehr nach wenigen Jahren solchen Frondienstes ein zermürbter und aufgebrauchter Mensch sein, dem die Flügel für immer gebrochen wären. Und was es denn in aller Welt für einen Sinn hätte, untergeordnete Dinge zu lernen und auszuüben, die andere ebenso gut und besser leisteten, dabei aber die natürlichen Anlagen und schon gelungenen Anfänge verkümmern zu lassen; die glücklich ausgebildet, auf die Höhe des Lebens führen konnten. Dies war alles ebenso unwiderleglich wie bedrückend, denn was mir fehlte, war ja eben das Sprungbrett, um zu jener höheren Tätigkeit zu gelangen. Jetzt aber trat der Berater mit einem Vorschlag hervor, der der ganzen Sache eine andere Wendung gab. Wir hatten schon wiederholt auf unseren Gängen bedauert, dass es keine gemeinverständlichen übersichtlichen Darstellungen der großen Tage von Florenz gebe, woraus der Reisende sich über die Entstehung der Dinge, die er vor Augen sah, und über die Geschicke des Bodens, über den er wandelte, leicht und fasslich im Zusammenhang unterrichten konnte. Man kannte allenfalls ein paar große Namen; das weitere war Wissen der Fachgelehrten. Von unseren heutigen zahllosen Reise-, Geschichts- und Kunst-Wegweisern mit ihren Bildbeigaben wusste man noch nichts, es fehlte ja auch bei dem damaligen Stande der Lichtbildkunst die Möglichkeit einer mechanischen Wiedergabe der Kunstwerke. Noch kürzlich hatte mich ein durchreisender deutscher Freund gefragt, wer denn eigentlich diese Mediceer gewesen seien, von denen so viel Aufhebens gemacht würde, und ich hatte keine klare Antwort zu geben gewusst. Denn wenn ich den Namen Medici hörte, sah ich nur im Geiste einen großen Glanz aber keine bestimmten Züge. Die deutschen Künstler, die unseren vorzüglichsten Umgang bildeten, vorab die zwei Größen, Böcklin und Hildebrand, hatten keinen Sinn für die Vergangenheit, und Kunstgeschichte lehnten sie wie alles Theoretische ab; als Führer in Kunstdingen sollte jedem das eigene Auge genügen. Unter diesem Einflusse stehend, hatte auch ich mein Nichtwissen bisher mit der größten Unschuld getragen.
In diese Lücke, so war nun der Vorschlag, sollten wir zwei mit einem gemeinschaftlichen Werke treten. Mir fiel es zu, die einschlägigen Studien zu machen und die Texte zu schreiben, er wollte den grafischen Teil dazu liefern: Bildnisköpfe nach alten Gemälden, Vignetten mit Palastfronten, ausdrucksvollen Straßenecken und ähnliches. Außerdem übernahm er es, in Deutschland den Verleger zu suchen. Ich ging mit Begeisterung auf den Plan ein. Es war wie ein Wunder: endlich war mein Weg zu mir gekommen! Das Bürofräulein meldete sich ab, und mit unerhörtem Glanze stieg die florentinische Renaissance vor meinem inneren Auge empor. Mein Mütterlein, hochbeglückt und immer großartig bei ihren winzigen Mitteln, schenkte mir die damals noch sehr kostspielige zweibändige »Kultur der Renaissance« von Jacob Burckhardt, die Althofen als Einführung in den Geist der Zeit mit den höchsten Worten pries und die mir schnell zum unschätzbaren Besitz wurde.
Nachträglich muss ich mich verwundern, wie ich mich so unvorbereitet in die Aufgabe stürzen konnte, ohne die Spur einer Besorgnis, darin zu scheitern. Die Zuversicht war der Ausfluss meiner Unkenntnis. Goethe bekennt, dass er sich nicht an den Iphigenienstoff gewagt hätte, wäre er zu jener Zeit vertrauter mit der Vielseitigkeit des griechischen Mythos gewesen. Man darf also auch die Unwissenheit unter die Zahl der Musen rechnen. Mir gab sie ein Unterfangen ein, für dessen Ausmaß mir zu meinem Glück jede Schätzung fehlte, sonst hätte mir wohl bange werden können. Ich fragte auch gar nicht, was etwa von anderen in dieser Hinsicht gearbeitet sei, ich fühlte mich einfach von den Unsichtbaren durch einen plötzlichen Ruck auf diesen Platz gestellt. Jetzt störten mich Raummangel und Unruhe der Wohnung nicht mehr. Ich hielt mich den langen Tag auf der Biblioteca nazionale auf, stöberte in Katalogen, machte Auszüge, verglich Überlieferungen, überwand sogar meine Schüchternheit, indem ich Fachgelehrte aufsuchte, um mir Quellenwerke nachweisen zu lassen, und ich machte mir wieder aus Unkenntnis den Weg schwerer, als er hätte sein müssen, weil manche dieser Quellen, denen ich mühsam nachstieg, schon in bequeme Kanäle gefasst aber von mir ungesehen, daneben flossen. Doch ich wollte ja auch gar nicht aus fertigen Büchern zusammenstoppeln, sondern die Toten selber anrufen, dass sie mir ihr Gesicht zeigten. Mit Gino Capponis anspruchslos geschriebener, aber übersichtlicher Geschichte von Florenz begann ich meine Studien, wobei es zunächst unwesentlich war, ob diese Forschungen etwa schon zum Teil durch spätere überholt und berichtigt waren; es galt vorerst nur, sich in den Stoff und in den Geist der Zeit einzuleben. Ich überwand glücklich die verwickelten und verwirrenden mittelalterlichen Stadtkämpfe, aus denen für die ganze Dauer der alten Republik die sonderbarste und ungerechteste aller Staatsverfassungen hervorging, aber zugleich durch die Unterdrückung des kriegerischen Adels und die Vorherrschaft von Handel und Finanz ein Zustand geschaffen wurde, der dem, was man vorzugsweise unter der florentinischen Renaissance versteht als der Wiedergeburt des Geistes der Antike und zugleich einer eigenen Kulturblüte ohnegleichen, die Stätte bereitete. Diese Epoche stand unter der Führung der frühen großen Mediceer. Nicht als ob sie allein das Zeug dazu gehabt hätten, jeder Florentiner trug damals schicksalhaft, wie vom Geist der Geschichte gezwungen, dasselbe Wunschbild in der Seele. Aber die Zeit war reif, die Erfüllung musste kommen, und ihre politische Stellung legte sie in die Hände der Mediceer. Von dieser Familie, die dem Zeitalter den Namen gab, musste ich den Ausgang nehmen. Es hieß also nicht mehr sich eine Stadt zueigen machen sondern eine ganze Kultur, die glanzvollste und fortwirkende seit der griechischen; ihre Bedeutung ging mir jetzt auf ihrem Mutterboden zum ersten Mal auf. Von Schritt zu Schritt lernte ich sie erkennen als die Wiege des modernen Lebens, aus der die Keime der geistigen Anregung in alle Länder flogen. Und die Menschen, die das alles geschaffen hatten! Was ist die Zeit? Eine Scheidewand aus Leinen und Pappe. Ich blies, da lag sie, und hinter ihr hervor traten sie, die lange gesuchten Freunde, die hohen Verwandten, die vor Hunderten von Jahren gelebt hatten!
Auch hier konnte ich nicht ab ovo beginnen und in der geraden Reihenfolge weitergehen, sondern ein heller Mittelpunkt, der zuerst meine Augen anzog, Lorenzo de’ Medici, den sie, das Wort magnifico missverstehend, den Prächtigen nennen – er war prächtig, aber der Beiname meinte anderes –, sandte seine Strahlen nach allen Seiten. Er zog zunächst nach rückwärts hinstrahlend seine Vorfahren und die Vorgeschichte seines Hauses samt ihren gestürzten Mitbewerbern in den Kreis. Dann belichtete dieses leuchtende Zentrum seine Zeitgenossen, die Freunde und Feinde, die