zu empfangen, bis Tholes Gelingen zur Selbstverständlichkeit wurde und man sich nur wunderte, wenn ihm einmal der Erfolg ausblieb. Durch ein seltenes Zusammenwirken von Begabung und Glück erhielt er in jungen Jahren, ohne Gönnerschaft von oben, die bedeutendsten Aufträge: eine erstaunliche Menge großer Werke, wie Kirchen, Schulen, Villen, Häusergruppen und lange Straßenzeilen entströmten neben den ebenso zahlreichen, nicht zur Ausführung gelangten Preisentwürfen seiner überreichen, immerbereiten Erfindungskraft. An den von ihm und seinem Freund Herbert geschaffenen Straßenzügen in München fällt häufig bei der strengen Linienführung des modernen Baukörpers eine eigenartig reizvolle, an Goldschmiedearbeit erinnernde Ornamentik von leicht geschwungener Grazie auf, die etwas geheimnisvoll Symbolhaftes zu sagen scheint und wie ein persönliches Siegel des Erfinders wirkt. Sein Wahlspruch: Mit Freuden hindurch! den er im Exlibris führte, entsprach so recht der Tonart seines damaligen Lebens. Und wie glänzte seine schlanke, biegsame Erscheinung, die immer den Stempel seines sonnigen Geburtslandes behielt, unter den schwereren Kameraden. Ich sehe ihn noch vor mir als Tänzer im engen schwarzen Seidengewebe und rotem umgewundenem Mantel, zwei mächtige Stierhörner über der Stirn, wie er sich im federnden Schwung durch das Gewühl der Tanzenden schlingt. Und wieder sehe ich ihn im nächtlichen Hochwald an der Isar beim Sonnwendfest, wie er als Erster durch das noch kaum gesunkene Johannisfeuer springt, eine junge Partnerin mit langflatterndem Schleier mit sich durch die Glut hinüberreißend, denn wie hätte er einem anderen den Vortritt gelassen! Und wie er, sobald nur die anderen folgten, gleich mit zwei Begleiterinnen den Siegfriedsprung wiederholte. – Wenn er zum Leidwesen seiner Nonna noch immer nicht viel vom Trojanischen Krieg wusste, so sah man ihm auch dieses nach, denn er erinnerte selber in dem Verein von geistigen und leiblichen Gaben an das griechische Jünglingsideal. In jedem Wettkampf musste er um den Preis ringen, sei es mit der Fülle seiner künstlerischen Erfindung, sei es mit der Schnelligkeit seines »Flamingo«, wie er sein Segelboot nannte, das ihm lange Zeit Jahr für Jahr einen Sieg in der Regatta brachte.
Unersättlich trank dieser junge Mensch das Leben und brannte die Kerze an beiden Enden mit noch stärkerem Fieber als vordem sein Onkel Edgar: Arbeit, verzehrende, nicht rastende Arbeit und daneben die wirbelnde Geselligkeit; als einzige Erholung die Anstrengungen des Sports und der weiten, fruchtbaren aber nervenaufpeitschenden Reisen, bei denen er sich so wenig wie daheim eine Ruhezeit gönnte. Denn die fremden Länder mussten ihm alles hergeben, was sie einem Geist wie diesem zu geben hatten. Die Welt lag im Feuerschein vor ihm, und so weit das Auge reichte, war alles sein, er trug es im Skizzenbuch, im Kodak, im nicht fehlenden Gedächtnis mit nach Hause. Nur für das Unsichtbare, das hinter den Dingen steht, war in seiner Anlage kein Raum.
In jenen Jahren sahen wir uns selten mehr, auch wenn wir eine Stadt bewohnten. »Frau Welt« hatte ihn in den Arm genommen und lockte ihn mit ihren Scheinbildern weg aus dem beseelteren Luftkreis, dem er durch die Geburt angehörte, mancherlei fremde Züge der Übersättigung und Unlust in sein Gesicht und Wesen zeichnend – Züge, die er mit seinem ganzen Zeitgeschlecht teilte. Es kam dazu, dass ja von allen Künsten die Baukunst, auch wenn sie ewigen Zwecken dient, dennoch durch ihre Riesenkosten und die damit verbundene wirtschaftliche Verantwortung am unlöslichsten mit irdischen Belangen verknüpft ist und das Seelische des Künstlers durch die widerspruchsvolle Doppelaufgabe am stärksten belastet. Trotzdem konnte das Angeborene, in der Stille Waltende von dem Eingedrungenen nicht völlig überwältigt werden, und nach Zeiten des inneren Ferneseins fand man sich im Geistigen ganz plötzlich wieder. Die Weite und Schwungkraft seines Wollens und die vielseitige Aufgeschlossenheit, die ihn niemals zum Fachmenschen werden ließ, trug beim Wiederbegegnen über die Verschiedenheit der Lebensauffassungen hinweg.
Während des Krieges, der unseren Thole jahrelang als Fahrer zwischen Nordfrankreich, Rumänien, Italien hin- und herwarf, ging immer der Künstler mit dem Soldaten. Seine kurzen, im Telegrammstil gehaltenen Briefe, die ich aus jener Zeit bewahre, sprechen nur von den landschaftlichen, städtebaulichen, architektonischen Eindrücken, die ein inmitten der Schrecken ungetrübtes Künstlerauge aufgenommen hatte. Nach Italien kommandiert, brauchte er das Land seiner Jugend nicht zu bekriegen. Da er dem Kunst- und Denkmalschutz zugeteilt war, kam er vielmehr als Schirmer und Retter. Was er von gefährdeten Werken der Baukunst nicht schützen konnte – manches wurde von den Italienern selber zusammengeschossen –, das hielt er noch während des Untergangs mit dem Stift für die Erinnerung fest. Köstlich war es, ihn später in mitteilsamen Stunden von seinen Kriegsbegegnungen erzählen zu hören, denn er gab nur die heiteren Episoden, die er da und dort auffing, zum besten. Wenn er mit seiner glücklichen Komik die Personen selber vorstellte und sie in den verschiedenen Dialekten dieser zusammengewürfelten Menschheit durcheinanderreden ließ, konnte man sich an Wallensteins Lager erinnert fühlen.
Ein Verhältnis von seltener Innigkeit herrschte zwischen Sohn und Vater. Thole besaß alle diejenigen Eigenschaften, die meinem Bruder Erwin mangelten, um sich äußerlich durchzusetzen; ein allzu zartes Gemütsleben, das sich an den frühen Lebenskämpfen wundgerieben hatte, wie auch mangelnder praktischer Sinn (das Erbe der eigenen Eltern) machte diesem alles Ringen nach Vorteil und Ehren tief zuwider und ließ ihn auch seine künstlerischen Arbeiten niemals nach ihrem materiellen Werte richtig einschätzen. Da war es Sache des viel welterfahreneren Sohnes, für den Vater zu denken, während umgekehrt der Vater in allem Ethischen immer für den Sohn maßgebend blieb. In dieser Kameradschaft fiel bald dem einen, bald dem anderen Teil die Rolle des väterlichen Beraters zu. Einen Kampf der Generationen gab es auch zwischen diesen beiden nicht: bei des Sohnes großen baulichen Aufgaben arbeitete der Vater mit, indem er den plastischen Schmuck der Fassaden oder figürliche Darstellungen für die Innenräume übernahm. Das köstlichste Zeugnis, wie der tiefgründige, weltabgewandte Vater und der ehrgeizige, glänzende, nach außen gerichtete Sohn sich im strengen künstlerischen Ideal zusammenfanden, legt die edle Gabrielskirche in München ab mit Erwins »Verkündigung« über dem Hauptportal, wozu Thole nach des Vaters Tod noch sein letztes Werk, die Pietà, für das Hauptschiff der Kirche gestiftet hat.
Auch mir war unser Thole des öfteren ein wertvoller Helfer und Rater und wurde es zuletzt immer mehr. Wenn ich im Zweifel war, ob meine inneren Gesichte sich mit der Wirklichkeit ausgleichen ließen, und