Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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Flo­renz ent­hüll­te sich die Ge­fahr ganz zu­fäl­lig bei ei­nem Ge­spräch mit Hein­rich Hom­ber­ger, dem Schrift­stel­ler und Dich­ter, der mir vom Hau­se Gu­er­rie­ri her be­freun­det war und der sich ent­setz­te, als er er­fuhr, dass die­ser Ab­grund auch nach mir den Ra­chen auf­tat. Sei­nem freund­schaft­li­chen Zu­spruch und schnel­lem Ein­grei­fen ge­lang es – ob­wohl ich mich in mei­ner Ein­falt schäm­te, dem er­schüt­ter­ten Ge­bäu­de der spe­ku­la­ti­ven Phi­lo­so­phie noch eine, wenn auch klei­ne, Stüt­ze weg­zu­neh­men –, das Mei­ne noch eben vor dem Ein­sturz un­ver­sehrt her­aus­zu­ret­ten. In An­be­tracht mei­ner Uner­fah­ren­heit und großen Ab­nei­gung, von Geld über­haupt zu spre­chen, konn­te man die­sen Aus­gang als einen wun­der­haf­ten an­se­hen, um so mehr, als ich noch hat­te zu dem mir pein­li­chen Schrit­te über­re­det wer­den müs­sen. Die Rück­zah­lung des Gel­des fiel ge­ra­de mit Ed­gars Ent­schluss zum Haus­kauf und mit der Ab­wei­sung, die er aus Stutt­gart er­fah­ren hat­te, zu­sam­men; da ließ ich mich leicht für sei­nen Vor­schlag ge­win­nen, durch zins­lo­se Über­las­sung des Be­trags gleich­be­rech­tig­te Mit­be­sit­ze­rin der Vil­li­na zu wer­den. Ich sah ja, sein Herz hing an dem Hau­se, und wor­an das sei­ne, dar­an hing auch das Herz der Mut­ter. Wir be­sich­tig­ten zu­sam­men die Räu­me: das Ober­ge­schoss mit der lan­gen Ve­ran­da, hin­ter der eine Rei­he großer, hel­ler, schön­ge­schnit­te­ner Zim­mer lag, war von un­auf­dring­li­cher Vor­nehm­heit und für einen Arzt wie ge­schaf­fen; im Erd­ge­schoss, das mir ge­hö­ren soll­te, wa­ren je­doch die Räu­me schlecht ver­teilt und er­man­gel­ten zu­meist des Lich­tes. Nur ein vor­tre­ten­der Gar­ten­sa­lon zur rech­ten Hand mit ho­hen Gla­stü­ren, über zwei Stu­fen er­höht, er­füll­te mei­ne Er­war­tung, soll­te je­doch we­gen der Nähe der Kü­che auch zum ge­mein­sa­men Spei­se­zim­mer für die Fa­mi­lie die­nen. Hin­ter der lan­gen Glas­hal­le des Mit­tel­stücks, die der dar­über lie­gen­den Ve­ran­da ent­sprach, lag ein großer Saal von glei­cher Län­ge, schön ge­formt, aber am Tage kaum zu ge­brau­chen, weil der ge­deck­te Raum da­vor ihm das Licht be­ein­träch­ti­ge. Mit ent­spre­chen­der Ein­rich­tung konn­te er je­doch ein herr­li­cher Empfangs­raum für abend­li­che Ge­sel­lig­keit wer­den. Im üb­ri­gen war schlecht für mich ge­sorgt: der lin­ke un­te­re Flü­gel ent­hielt nach der Gar­ten­sei­te nur zwei klei­ne Zim­mer, die wohl ur­sprüng­lich ei­nes ge­we­sen wa­ren, mit so un­ge­schick­ter Be­leuch­tung, dass das vor­de­re nur von ei­ner seit­lich ver­scho­be­nen Glas­tür nach dem Gar­ten, das an­sto­ßen­de von ei­nem in der Höhe an­ge­brach­ten vier­e­cki­gen Aus­schnitt Licht er­hielt. Da­hin­ter lag dann frei­lich noch ein großes Zim­mer, aber es hat­te sein Fens­ter ge­gen eine enge und lär­men­de Stra­ße, die Via San Ja­co­pi­no, denn die Vil­la war ein Eck­haus. Ich hat­te wohl mit Mama noch die zwei Zim­mer ei­nes Ober­stocks nach der Stra­ßen­sei­te zur Ver­fü­gung, der von dort sei­nen ei­ge­nen Ein­gang be­saß und mit der Gar­ten­vil­la nur durch eine frei­ste­hen­de Holz­trep­pe in Ver­bin­dung stand, aber die­se Räu­me hat­ten gleich­falls den Nach­teil des Lärms und Stra­ßen­staubs. Ein paar Mo­na­te spä­ter wur­de dann auch noch eine dar­über lie­gen­de, bis­her ver­mie­te­te Klein­woh­nung frei, wo Er­win mit Frau und Kind ein­zie­hen konn­te. So war wie­der die Fa­mi­lie bei­sam­men, aber gut un­ter­ge­bracht konn­te sich au­ßer Ed­gar doch nie­mand füh­len. Dass die meis­ten die­ser Räu­me zu­nächst noch un­heiz­bar oder nur mit klei­nen Ka­mi­nen ver­se­hen wa­ren, wird kei­nen Ken­ner der da­ma­li­gen ita­lie­ni­schen Ver­hält­nis­se wun­der­neh­men.

      Da der Haus­kauf mein bei­ge­brach­tes Ka­pi­tal rest­los auf­ge­zehrt hat­te, konn­te ich mei­ne Räu­me nur ge­ra­de schlecht und recht mit dem Not­wen­digs­ten aus­stat­ten, in der Hoff­nung auf künf­ti­ge Ein­nah­men. So sehr wa­ren auch Ed­gar die Mit­tel aus­ge­gan­gen, dass ich den Kut­scher aus mei­nem Ta­schen­geld und ei­gen­hän­dig mit Wä­sche aus­steu­ern muss­te. Ich sehe mich noch un­ter mäch­ti­gen Bal­len gro­ber Lein­wand sit­zen und die Rie­sen­bet­tü­cher säu­men, an wel­che ita­lie­ni­sche Dienst­bo­ten einen An­spruch ha­ben, weil sie ge­wohnt sind (oder wa­ren), sich in der Tracht des Pa­ra­die­ses eng wie Mu­mi­en hin­ein­zu­wi­ckeln. Man­ches Tröpf­lein Blut ist von mei­nem Fin­ger in den har­ten Stoff ge­flos­sen, und man­chen Traum von herr­li­chen Über­land­fahr­ten, die ich mir mit mei­ner Ar­beit zu ver­die­nen glaub­te, habe ich mit hin­ein­ge­näht. Aber das Schick­sal woll­te es, dass ich nicht ein ein­zi­ges Mal, so­weit ich mich er­in­ne­re, zu der Mit­be­nut­zung des Wa­gens kam, weil er im­mer bis zur Er­mü­dung des Pfer­des mit sei­nem Herrn un­ter­wegs war. Auch mein schö­ner Saal muss­te für mich eine Fata Mor­ga­na blei­ben, denn be­vor ich in der Lage war, ihn ein­zu­rich­ten, be­fand er sich schon in an­de­ren Hän­den, die mich Schritt für Schritt aus dem Mei­ni­gen ver­drän­gen soll­ten.

      Ich ließ mich durch die vor­ge­fun­de­nen Übel­stän­de kei­nes­wegs er­nüch­tern. Was be­sag­ten die­se Män­gel ge­gen die Freu­de, dass we­ni­ge Schrit­te vor mei­ner Tür ein Gra­nat­baum stand, mein Lieb­lings­baum, der Baum der Schön­heit und der My­the, der sich nun in je­dem Früh­jahr für mich mit ko­ral­len­ro­ten Ro­sen schmücken wür­de. Und die Nach­ti­gall! Es war kein poe­ti­scher Wahn – sie sang wirk­lich des Nachts auf dem Gra­nat­baum dort! Sich nun sa­gen dür­fen: das al­les ist un­ser: der große Ma­gno­li­en­baum in der Mit­te, des­sen Rie­sen­blü­ten im Som­mer die gan­ze Stra­ße mit der süd­li­chen Ge­walt ih­rer Düf­te über­schwemm­ten, die früch­te­rei­che ja­pa­ni­sche Mis­pel, der Ka­me­li­en­strauch und an­de­re Zier­stau­den, da­ne­ben auch die hei­mat­lich an­mu­ten­den Li­li­en- und Ro­sen­bee­te, die man sel­ber pfle­gen konn­te; Grund ge­nug, sich im­mer neu zu freu­en.

      We­ni­ge Wo­chen nach un­se­rem Ein­zug trat der Tod über die Schwel­le des neu­en Hau­ses. In ihre Bet­ten ein­ge­packt, hat­ten wir die arme Jo­se­phi­ne her­ge­führt, die wie ein Licht im letz­ten Glim­men war, und an ei­nem frü­hen No­vem­be­r­abend saß ich an ih­rem Bett und hielt ih­ren schwä­cher wer­den­den Puls, bis ihr lei­ser Schlum­mer in den ewi­gen über­ge­gan­gen war. Dann erst mach­te ich der Fa­mi­lie die Mit­tei­lung, weil Mama, die an der Hü­te­rin ih­rer Kind­heit wie an ei­ner Mut­ter hing, mit ei­ner fer­ti­gen Tat­sa­che sich leich­ter ab­fand, als mit dem, was erst vor ihr lag. Ich er­in­ne­re mich noch, wie ich mei­nen wei­ßen Mor­gen­über­wurf brach­te, um die Verb­li­che­ne dar­ein zu hül­len, und wie ein aber­gläu­bi­sches An­we­sen­des mich zu­rück­hal­ten woll­te, weil an die­sem selbst­ge­tra­ge­nen Stück die Tote mich nach­zie­hen könn­te; aber so et­was tat un­se­re Fina nicht.

      Als Ablen­kung von dem neu­en Leid, das sich so rasch an das um un­sern Bal­de schloss, diente un­se­rer gu­ten Mut­ter der klei­ne ve­ne­zia­ni­sche Gast, Al­freds Stief­sohn, den die­ser ihr noch in der al­ten Woh­nung nach Bal­des Tod ge­bracht hat­te. Er hieß Gugliel­mo, wur­de in der Fa­mi­lie scherz­wei­se Gugl ge­nannt und war ein schö­nes Kind von etwa acht Jah­ren mit lang­be­fran­s­ten dunklen Au­gen, die aus ei­ner schwer­muts­vol­len Tie­fe her­aus­zu­bli­cken schie­nen, war aber in Wirk­lich­keit ein leicht­sin­ni­ger klei­ner Nichts­nutz. Mei­ne Mut­ter war je­doch mit gan­zem Her­zen da­bei, weil sie wie­der ein jun­ges We­sen zu be­treu­en hat­te, mit dem sie »schul­meis­tern« konn­te, wie sie sich aus­drück­te, ihm die ers­ten Sprach­be­grif­fe bei­brin­gen und von dem Tro­ja­ni­schen Krieg, der für sie der An­fang al­ler Din­ge war, er­zäh­len. Der Klei­ne lern­te so gut wie nichts, war gänz­lich un­auf­merk­sam,