Dienst auf anderem Gebiete zurückgeben, wenn er etwas zu schreiben hatte und mit der Sprache, sei es der eigenen oder einer fremden, in Schwierigkeit geriet, denn noch immer blieb der sprachliche Ausdruck seine schwächste Seite, soweit der Stift nicht zu Hilfe kam, das Wort ergänzend wie bei seiner Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule in München, ein Amt, zu dem er bei der Durchsichtigkeit seiner Darlegungen in hohem Grade befähigt war, das er aber aufgab, um ganz der schöpferischen Arbeit zu leben.
Plötzlich auf der Höhe seines Könnens stockte sein Glückslauf; nicht durch seine Schuld. Es ist ja noch wie von gestern, dass infolge von Misswirtschaft und falschem Finanzgebaren der Nachkriegszeit alle öffentlichen Bauunternehmen brachlagen und dem einzelnen erst recht die Gelder zum Bauen fehlten. Da traten an den Glückverwöhnten Fehlschläge und Sorge heran. Für alle die Pläne, die großen wie die kleinen, die bis in die letzte Einzelheit durchgearbeitet waren, gab es auf einmal kein Baugeld mehr. Mit eisernem Fleiß machte er die neuen, viel viel billigeren Entwürfe, und wenn sie fertig waren, fehlten auch für diese die Mittel. Bis von Amerika her wurden Baupläne abgesagt, denn die Geißel der Arbeitslosigkeit ging ja über die ganze Welt. Inzwischen fraß das Büro die Rücklagen auf, und die seither beschäftigten Arbeitermengen drängten um Brot und Arbeit, die er nicht schaffen konnte. So Jahr um Jahr, bis das ganze Glücksgebäude in Trümmern lag und er selbst wie ein Zerbrochener umherging, denn er hatte es in der weichen Luft seiner Erziehung nicht gelernt, wie die Generation vor ihm, dem Widerwind des Geschicks zu stehen. Kein Trost konnte ihn mehr erreichen. Noch höre ich seinen flehenden Anruf an das Schicksal, es war das einzige, was man noch von ihm hörte: Nur Arbeit! Arbeit! Wenn auch nichts anderes. Nur nicht wie ein Träger die Erde nutzlos belasten! Aber diese Bitterkeit musste das allzu verwöhnte Herz bis zum Grunde kosten.
Und dann geschah noch das Ärgste. Mitten in dieser Prüfung verlor er auch seinen besten Freund, den edlen Vater. Mit dem Wegzug der guten Mutter schloss sich das Elternhaus, in das er noch Tag für Tag seine Not getragen hatte.
Jetzt kam wieder der kleine Thole zu der Zia wie in seiner Kinderzeit. Er weinte sich bei mir satt, wenn das Leben ihm seine Krallen allzu roh ins Fleisch hieb. Aber wenn er sich ausgeweint hatte und es gelang dann, den nie entschlafenen Sinn für die großen, überpersönlichen Dinge in ihm anzuregen, so ging er doch irgendwie beschwichtigt und erhoben hinweg, und es war mir ein Trost zu hören, dass er nun wieder ein anderer Mensch geworden sei. Und wie freute er sich, mir einmal eine bessere Nachricht bringen zu können; er trug dann Sorge, dass ich sie durch ihn zuerst erfuhr.
Ganze Lasten von Büchern schleppte er mir damals aus seiner reichhaltigen und erlesenen Bibliothek herbei: alles was ihn geistig bewegte, Naturwissenschaftliches, Archäologisches, auch neuentdeckte, aus den Bauten der Alten gefolgerte architektonische Geheimnisse, für die mir die Vorkenntnisse fehlten; denn es ging ihm nicht ein, dass es etwas geben sollte, das er mit mir nicht durchsprechen könnte. Wir waren auch nicht Tante und Neffe, sondern Gleichaltrige wie in seiner Kindheit, wo wir wie zwei Kinder zusammen gespielt hatten; daher er mich lebenslang nie anders als mit dem Vornamen rief.
An seiner letzten Weihnacht trat eine ergreifende Wende bei ihm ein. Er begann seiner befremdeten Wirtschafterin vom Sterben zu sprechen, blickte aber zugleich dem Leben inniger als jemals in die Augen. Als hätte er Versäumtes nachzuholen, zog er in der Frühe auch bei Sturm und Schneegestöber aus, um irgendeinen noch nicht beachteten Teil seines München, eine Anstalt, einen Betrieb, ein Warenhaus mit dem Erwachen des Tageslaufs, dem Einströmen der Arbeiter, den blassen, verschlafenen Gesichtern der Verkäuferinnen aufs deutlichste zu sehen, zu erleben, und fand auch in dem ganz Alltäglichen bedeutungsvolle Züge heraus. Es war wie ein bewegendes »Verweile doch«, an das hingestürmte Leben gesprochen.
Endlich, als der große politische Umschwung die stockende Wirtschaft wieder in Bewegung setzte, fassten auch die Segel Tholes frischen Wind. Die Baukunst als Ausdruck der Heimatliebe wurde von oben gefördert, die Gelder begannen flüssig zu werden, die schlummernden Millionenentwürfe erwachten zur Wirklichkeit. Mit übermenschlicher Willenskraft riss er sich aus der Gedrücktheit der Fehljahre empor. Sein Schmerzenskind, die Kirche von Weiden, im Entwurf so oft nach neuen Richtlinien umgeformt, jetzt endlich wuchs sie aus dem Boden, er sah wieder die Arbeitermassen zum Bauplatz strömen. Da griff eine unsichtbare Hand von oben ein und machte durch den unsinnigsten aller Zufälle diesem reichen, bewegten Leben ein jähes Ende. Im Frühjahr 1933, von einer Hellasfahrt heimkehrend, auf die er mich ungern hatte ziehen sehen, weil er fürchtete, die Anstrengung könnte mir schaden, fand ich Heilgebliebene meinen Thole nicht mehr, nur ein mit Blumen überschüttetes, von den Tränen des Himmels betautes Grab.
Und ich konnte ihm nichts mehr geben als den Denkspruch auf seinen Stein:
Aus hellem Stamm als letzter entsprungen
Vom Feuer der Kunst ins Mark durchdrungen
Rastlos zu höheren Zielen reifend
Mit allen Sinnen die Welt umgreifend
Unermüdlich die schaffenden Hände
Menschlichem Denken zu früh das Ende
Ich staune dir fassungslos nach, du Allzugeschwinder, wie du mit einem schnellen Lichtstreif dahinfuhrst, und ich verstehe diese Schickung nicht. Deine Augen waren voll von allem Schönen der Erscheinung, warum hast du sie so frühe geschlossen? Hat die Parze ein anderes Haupt gemeint, aber in sinnlosem Umherfuchteln mit ihrer Schere den Falschen getroffen? Oder brauchten sie in jenen Räumen einen Baumeister, der etwas vermöchte, wofür gerade du vor allen ausersehen warst? Eines hast du schlecht gemacht, und es kann niemals mehr gut gemacht werden: dass du die Linie von Hermann und Marie Kurz, nachdem sie sich durch drei Generationen schöpferisch hervorgetan, auf deutschem Boden im Mannesstamm erlöschen ließest. Zu viele Frauen hatten sich in deinem Leben gedrängt, zu viel bist du geliebt worden, um selber tief und dauernd zu lieben, zu groß war die Auswahl, als dass du dich zur Wahl hättest entschließen können. Dafür ließest du aber auch keine absteigende Kurve zurück, sondern stehst wie die letzte sonnbeglänzte Erhebung, die einen mächtigen, in mannigfache Kuppen gegliederten Gebirgsstock abschließt.
Da ich nun deinen raschen Lauf von der Quelle bis zur Mündung begleitet habe, kehre ich wieder um, nicht um dich am Rande des Unwiederbringlichen allein zu lassen – in dem Kreis, wo ich wohne, wo das Ende nicht ist, kommst du mir schon von der Quelle her in deiner Kindergestalt wieder entgegen. Wir sind wieder in dem Florenz der achtziger