hing, ein Bürofräulein! Das klang damals noch ganz anders als heute. Meine eigenen Zweifel, ob ich bei meinem nicht ordnungsmäßigen Bildungsgang überhaupt die nötigen Kenntnisse hätte, um eine solche zwar untergeordnete, aber doch auf ganz bestimmten Forderungen beruhende Stellung auszufüllen, wagte ich ihr gar nicht mitzuteilen. Ich tröstete mich ziemlich leichtsinnigerweise mit der Erwägung, dass ich schon manche Verrichtung, für die ich nicht geschult war, in der Ausübung gelernt hatte und dass zu dem Bürowesen wohl auch kein übermenschliches Können gehören werde. So meinte ich wenigstens den Versuch wagen zu sollen. Mama aber meinte dies gar nicht und warb sich einen Verbündeten.
Im Erdgeschoss unseres Hauses am Viale Principessa Margherita war seit einiger Zeit eine Künstlerpersönlichkeit von besonderer Prägung eingezogen und hatte sich mit einer Empfehlung aus der Heimat bei uns eingeführt. Es war ein begabter, vielseitig angeregter Mensch von eindrucksvollem Äußeren und weltmännischem Auftreten, auch ein glänzender Gesellschafter, sobald er wollte, aber keine frohe und aufgeschlossene Natur. Althofen, so hieß er, benützte alljährlich seine Ferien von einem Lehramt, um sich in Florenz künstlerisch weiterzubilden: zur Zeit war er mit einer Sammlung sorgfältig ausgeführter Aquarelle nach farbigen Terrakotten des Quattrocento beschäftigt, die er als Buch herauszugeben gedachte. Er erschien fast an allen unseren Abenden und passte sich der Eigentümlichkeit unseres Familienlebens, wo jedes seinen besonderen Kopf hatte, ganz selbstverständlich an, indem er auf die verschiedenen Neigungen und Belange der Geschwister mit seinem hellen Weltverstand gerne mitberatend einging. Obgleich er sich sehr hoch nahm und auch von anderen so genommen sein wollte, sagte er von sich und der ganzen Menschheit nur Übles, und das Leben selbst behandelte er wie ein lästiges Anhängsel, das baldmöglichst abzustreifen ein Gewinn wäre. Solche Stimmungen, die im Lichte des heutigen Tages nicht mehr verständlich sind, waren damals durch die Sattheit der langen Friedensjahre und durch jene große allgemeine Sicherheit, in der Nietzsche die Grundursache aller Zeitübel sah, wie auch durch den philosophischen Pessimismus in die Welt gekommen. Mussolinis pericolosamente vivere! lag noch in einer fernen Zukunft, und manchem erschien ein so rings umfriedetes und behütetes Dasein gar nicht mehr lebenswert. Es erzeugte vielfach gerade unter den geistigen Naturen einen Welt- und Lebensekel, der es als eine schöne und preiswerte Sache erscheinen ließ, auf die Verlängerung eines so fragwürdigen Zustands freiwillig zu verzichten. Althofen erzählte gern von Freunden, die ohne irgend persönlichen Anlass, rein aus Überzeugung vom Unwert des Seins, ihr Leben mit eigener Hand geendet hätten, und von anderen, die sich mit den gleichen Vorsätzen trügen. Trotz seiner absprechenden Züge hatte seine Gegenwart doch immer etwas Förderndes, denn er war kein Neinsager von Hause aus, sondern auch schnell und freudig anerkennend, wo er das Schöne sah, und vor allem ununterbrochen tätig; aber irgendwie mit sich zerfallen, im innersten Zentrum beschädigt und von da heraus in Welt- und Selbstverneinung getrieben, die er durch Schopenhauersche Lehrsätze unterstützte. Was er von seinem eigenen Leben mehr ahnen ließ als mitteilte, hatte alles einen tiefdunklen Klang, aber es war nur wie ein Buch, von dem man ab und zu ein paar Seiten zu hören bekommt, die auf düstere und schmerzliche Kapitel schließen lassen, ohne einen Zusammenhang zu ergeben. Nach einem kurzen Befremden bei der ersten Begegnung, das auf gewisse Gewolltheiten des äußeren Betragens zurückging, die aber mit der Fremdheit verschwanden, fand auch ich mich wie die andern mit ihm zurecht. Uns gab er sich als der ältere weltmüde Freund, der für sich nichts mehr erwartet, aber gern den Jungen, Suchenden mit seiner Erfahrung nützt. Dass er vielmehr in unserem Kreise den Jahren nach der Jüngste war, es aber wie eine Schande verheimlichte, wofür ihm sein viel älteres Aussehen zustatten kam, war eine der vielen seltsamen Grillen dieses reichen, aber kranken Geistes. Wir nannten ihn scherzhaft den Schwarzen, ebenso wegen der Dunkelheit seiner Erscheinung, die er noch durch schwarze Kleidung hervorhob, wie wegen seiner düsteren Weltanschauung. Das passte ihm, und er betonte es gelegentlich selbst, indem er sich Niger unterschrieb in Anspielung auf das horazische Hic niger est, hunc tu caveto, denn es gehörte mit zu seinen melancholischen Wunderlichkeiten, dass er zuweilen vor sich selbst als vor einem unabsichtlichen Unheilbringer, einer Art Jettatore, warnte.
Mich hatte er vom ersten Tag an verpflichtet durch die Gefälligkeit, womit er sich mir zum Führer in den Galerien und zu den Kunstaltertümern anbot, weil ich meine Zeit in Florenz noch gar nicht so recht in diesem Sinne genützt hatte. Mit dem Quattrocento hatte ich mich überhaupt noch abzufinden: nach der hohen Geste der Griechenkunst, wenn ich sie auch nur aus Abgüssen kannte, war es mir zu wirklichkeitsnahe, zu menschlich bürgerlich, um mich ganz tief anzusprechen. Auch pflegten mich die großen Galerien, wenn ich sie so unvorbereitet betrat, durch ihre Überfülle mehr zu verwirren als zu beglücken. Ich hatte also allen Grund, dem Hausgenossen für die Zeit, die er mir widmete, dankbar zu sein; er kürzte mir das Suchen ab und führte mich nur zum Besten, ließ mir auch die Zeit, dazwischen wieder im Freien zu Atem zu kommen, sodass mir von diesen Gängen der reine Gewinn, keine Übermüdung blieb. Wenn er an seinem Zeichentisch sitzend mich aus der Haustüre treten sah, schloss er sich häufig unerwartet an, und dann hatte er irgendeine Köstlichkeit im Auge, zu der er mich führen wollte. Mehr und Größeres wurde mir in den Folgejahren im Hildebrandschen Kreise geboten, wo ich das Entstehen des großen Kunstwerks miterlebte, seine Schwankungen und Wandlungen unter den Händen des Schaffenden, was dem wahren Wesen der Kunst näher brachte als jeder Anblick des Fertigen, unwiderleglich Gelungenen oder die kunsthistorische Betrachtung. Aber die ersten Einsichten dankte ich dem hypochondrischen Führer, und sie wären noch schöner gewesen, hätte nicht die Hypochondrie ab und zu fantastische Blasen heraufgetrieben, womit er sich und mir die schönsten Eindrücke verderben konnte. Es wurde viel zwischen uns über das Tages- und Nachtgesicht der Dinge gestritten; ich konnte es schlechterdings nicht begreifen, dass ein so von der Natur Begünstigter um jeden Preis unglücklich sein wollte. Ebensowenig wusste ich mit einer Philosophie anzufangen, die von vornherein die Freude leugnet und den Schmerz für den Normalzustand erklärt; wäre er das, wandte ich ein, so würden wir ja sein Dasein gar nicht spüren, wie ein mitgeborenes ständiges Zahnweh gar kein Zahnweh wäre. Vielmehr würde sein gelegentliches Aufhören befremdlich sein: dass wir uns gegen ihn stemmen, beweise ja schon, dass er als Eindringling und Störenfried komme. Aber natürlich war der Schüler Schopenhauers auf jede Einwendung