endgültigen Abschluss einer Lebensspanne. Jetzt kam es darauf an, das Werkzeug selber womit ich schuf zu verbessern. Dass ich dennoch ein halbes Menschenalter später zu den Trümmern umkehren und sie mit besseren Mitteln neu aufbauen würde in der »Stadt des Lebens«, hat mir damals kein Vögelein gesungen, so völlig war ich abgewandt von den Bildern der Vergangenheit. Dafür machte ich nun die Erfahrung, was es auf sich hat, wenn man die gefundene sichere Krippe verlässt und nach ganz neuen Weiden sucht. Ich hatte einmal als junges Mädchen in dem Münchner Dichterkreis Wilhelm Hertz äußern hören, nichts werde dem Dichter schwerer verziehen als Vielseitigkeit. Ein mir unverständliches Wort, denn was könnte, so schien mir, erstrebenswerter sein, als sich nach vielen Richtungen aufgeschlossen und schaffensstark zu erweisen? An den »Italienischen Erzählungen«, die ich zunächst den »Florentiner Novellen« folgen ließ, sollte ich die Wahrheit des Wortes erproben. Indem ich diesmal die Stoffe aus der lebendigen Umwelt holte, zeitlose Vorwürfe, wie sie sich unter einfachen Menschen immerzu ereignen und die nur der Deutung harren, konnte ich unmittelbarer erfassen, was das Menschenherz bewegt. Ich wusste, dass ich damit einen entscheidenden Schritt über die »Florentiner Novellen« hinaus tat und der Gefahr ausgewichen war, den einmal erhaschten Faden nur weiter in die Länge zu spinnen. Die Lebensmächte an sich darstellen ohne blendenden äußeren Rahmen und auch an Geschicken wie denen eines armen Dienstmädchens zeigen, dass es in der Dichtung nicht Hohes und Niederes gibt, wenn nur das Hohe im Niederen kennbar wird und eins wie das andere Symbol ist, das war die Aufgabe, die ich mir dabei stellte. Eigentlich war ich damit einer Forderung der Zeit entgegengekommen; auch gab ich insofern ein grundsätzlich Neues, als die »Italienischen Erzählungen« dem damals noch geübten literarischen Brauch widerstritten, alles Italienische in einen romantischen Nimbus zu kleiden, der dem starken Wirklichkeitssinn dieses Volkes gar nicht entsprach. (Dass gerade solche Darstellungen in Italien selbst gefielen, ändert an diesem Umstande nichts; wer sieht sich nicht gerne einmal fantastisch aufgeschmückt in einem fremden Spiegel!) Aber der innere Fortschritt wurde nicht durch äußeren Erfolg belohnt: das Beharrungsvermögen der Menschen wollte mich lieber an dem Platze finden, wo man mich zu Anfang gesehen hatte. Es war als müsste ich meine Laufbahn von vorn beginnen, so schwer war es, die neue Sammlung im einzelnen wie im ganzen durchzubringen. Der seitherige Inhaber des Göschenschen Verlags war schon vor der Drucklegung weggestorben, und der Nachfolger stellte sich so kühl und geschäftsmäßig zu dem neuen Verlagswerk, dass sich danach die Beziehungen völlig lösten. An der Kritik lag es nicht, wenn der neue Band sich viel langsamer durchsetzte als der erste; die künstlerische Würdigung blieb nicht aus. Richard Weltrich, der sich in die tragische Unschuld meiner armen kleinen Pensa verliebt hatte, stellte diese Liebende in einer großen Münchner Tageszeitung geradezu an die Seite der zartesten Shakespeareschen Mädchengestalten.
Der gleiche Vorgang wiederholte sich bei meinen nachfolgenden Büchern: dass ich immer wieder nach neuen Gegenständen und neuen Lebenskreisen griff, wie es meinem eigenen vielgestaltigen Dasein entsprach, und dass diese sich immer aufs neue bei einer Lesergemeinde einzuführen hatten, die mich an einem früheren Platz erwartete, als wo ich stand.
Einmal im Lauf dieser kämpfereichen Jahre wollte mir ein heller Glücksstern aufstrahlen, der meine Geschicke mit einem Mal hätte wenden können. Dass ich ihm nicht nachging, dass ich ihn ungenützt versinken ließ – war’s durch eigene Torheit oder durch Zusammenwirken dämonischer Hemmungen, oder wollte mein Schutzgeist selber mich fern von dem großen literarischen Strom? – ich weiß es nicht und stehe vor einer der Unbegreiflichkeiten meines eigenen Lebens. Der berühmte Tragöde Joseph Lewinsky vom Burgtheater in Wien hatte sich öffentlich mehrfach in Wort und Schrift warm für meine Gedichte eingesetzt – nicht ohne den Mitläufern der damaligen naturalistischen Bewegung Ärgernis zu geben –, weshalb ich mir das Herz nahm, ihm ein Drama zur Prüfung vorzulegen; Lewinsky schrieb – o Wunder! –, dass er das Stück im Burgtheater aufführen wolle; es war ein Gegenwartsstück, um eine Liebesverwicklung aufgebaut und in Venedig spielend. Ich müsse mir’s aber gefallen lassen, dass ein übrigens ganz kurzer und nicht streng mit dem Gang der Handlung verwachsener Akt völlig ausgelassen werde, wodurch das Stück an Geschlossenheit gewinnen und bühnenwirksamer werden würde. Heute sehe ich ein, dass ich hätte jubeln und unbedingt ja sagen müssen und die mir mit Wärme entgegengebrachte Gunst eines so mächtigen Gönners über alle anderen Gesichtspunkte setzen. Aber die Forderung ging mir aufs stärkste gegen das Gefühl: der beanstandete Akt – eigentlich konnte man ihn so kaum nennen, denn es war fast nur ein vorüberziehendes Bühnenbild zu symbolhafter und stimmungbereitender Andeutung des Ausgangs – war mir als traumhaft wirkender, das Tatsächliche poetisch untermalender Zug mehr ins Herz gewachsen als das ganze Stück. Natürlich war der alte Bühnenpraktikus im Recht, vor allem wegen des damaligen, ganz auf Wirklichkeit gestellten dramatischen Verfahrens. Ich meinerseits glaubte aber auch nicht im Unrecht zu sein, wenn ich an die Beispiele aus der großen dramatischen Dichtung dachte, wo ein symbolischer Vorgang das rein pragmatische Geschehen vorübergehend begleitet. Und später kam ja eine Zeit, wo überhaupt das strenge dramatische Gefüge gerne in eine Reihe loser Bühnenbilder gelockert wurde. Ich war zu theaterfremd, um zu wissen, dass die Spielleiter auch dem Größten unbedenklich Stücke vom Leib schneiden. Mir lag an der Aufführung gar nichts mehr, wenn eben der Teil, an dem meine Künstlerfreude hing, der gewöhnlichen Spannung zuliebe fallen musste. Vielleicht hätte ich durch einen weltkundigen Ratgeber zu dem Schritt überredet werden können in Anbetracht der unabsehlichen Möglichkeiten, die sich auftun zu wollen schienen. Aber ich war allein und gewohnt, dem eigenen inneren Antrieb zu folgen. In dieser Klemme fasste ich einen Groll gegen mich selbst, dass ich die vielleicht einmalige Glückslage des vergangenen Winters in München, wo ich für Monate allein mir selbst gehörte und das Theater nach Lust besuchen konnte, nicht besser ausgenützt hatte. Warum meine Muße an einen bürgerlichen Stoff wenden, der, wie Lewinsky richtig urteilte, keine starke dramatische Spannung besaß –, ich hatte ihn sogar zuerst als Roman gedacht und mich nur durch die Nähe des Theaters verleiten lassen, ihn in die Form des Dramas zu gießen. Ich war mir bewusst, dass meine Novellen großenteils einen starken dramatischen Einschlag enthielten. Warum hatte ich nun nicht für den Bühnenversuch einen von vornherein dramatisch gedachten und zugleich einer höheren Ordnung angehörenden