Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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ge­braucht. Und mei­ne Zeit war ab­ge­lau­fen, in­ne­re und äu­ße­re Um­stän­de dräng­ten zur Heim­kehr. Ich schwank­te, was be­gin­nen. Wa­rum ich mich aber durch eine rei­ne Äu­ßer­lich­keit, eine mi­li­tä­ri­sche Ein­quar­tie­rung, die über Nacht in mei­ne länd­li­che Ein­sam­keit ein­drang und mich jäh­lings aus mei­nem stim­mungs­vol­len, mit Ster­nen wie Ge­wit­ter­näch­ten gleich ver­trau­ten Turm­zim­mer in Dach­au ver­trieb, zur schnel­le­ren Abrei­se aus Deutsch­land be­stim­men ließ, das hat mir mein Dä­mo­ni­um nach­mals nie ent­hül­len wol­len. In der ste­ten Hoff­nung, dem Gön­ner mit ei­ner neu­en Tat zu ant­wor­ten, be­ging ich da­mals den größ­ten Feh­ler, den ich be­ge­hen konn­te, in­dem ich gar nicht ant­wor­te­te. Und das Be­wusst­sein die­ses falschen Ver­hal­tens brach­te noch ein Ir­ra­tio­na­les hin­zu, das jede Wil­lens­re­gung nach die­ser Sei­te lähm­te. Trau­rig, dass wir so oft gar nicht sel­ber le­ben, son­dern von den Um­stän­den und un­se­ren Schwä­chen ge­lebt wer­den. Nur die Leh­re trug ich da­von, dass wenn ich über kras­se Un­ter­las­sungs­sün­den an­de­rer kla­gen höre, mein Herz mir sagt, wie sie ge­le­gent­lich zu­stan­de kom­men.

      Zwi­schen dem Er­schei­nen der »Flo­ren­ti­ner No­vel­len« und dem der »Ita­lie­ni­schen Er­zäh­lun­gen« la­gen fünf vol­le Jah­re. Ich möch­te sie ger­ne in ir­gend­ei­ner Fel­senkluft ver­schla­fen ha­ben, dass ich nichts mehr von ih­nen zu wis­sen brauch­te; aber da­für war die Kri­se zu lang und zu ver­häng­nis­voll.

      Der ban­ge Spuk mei­nes Da­seins, dass mir stets aufs neue der Le­bens- und Ar­beits­raum strei­tig ge­macht wur­de, hat­te durch die plötz­li­che Hei­rat Ed­gars eine äu­ßers­te Stei­ge­rung er­fah­ren. Er war ja von Na­tur Jung­ge­sel­le und län­ger als sei­ne jün­ge­ren Brü­der in die­sem Stan­de ge­blie­ben. Aber sei­ne rei­che Per­sön­lich­keit zog die Frau­en mäch­tig an, und Lei­den­schaf­ten, die er er­weck­te, hat­ten um sei­ne gan­ze Ju­gend eine Sturm­zo­ne ge­legt, aus der her­aus er sich end­lich nach Ruhe sehn­te; in ei­ner deut­schen Ehe hoff­te er sie am ehe­s­ten zu fin­den. Je­doch kein Glücks­stern wach­te, als er auf den Rat wohl­mei­nen­der aber see­le­nun­kun­di­ger Freun­de in der Hei­mat die Au­gen auf eine jun­ge Lands­män­nin warf und nach ei­ner Be­kannt­schaft von nur we­ni­gen Wo­chen das fein­ge­sich­ti­ge Stein­bild Rosa mit den lee­ren wei­ßen Au­gen ins Haus führ­te. Von ei­ner wei­sen Frau und ech­ten Dich­te­rin, Ma­rie von Eb­ner-Eschen­bach, stammt der ewig gül­ti­ge Auss­pruch, dass es nichts Un­ver­nünf­ti­ge­res gebe als eine Ver­nunft­hei­rat. Ed­gar hat­te von sei­ner Ehe nichts ge­for­dert als Frie­den und häus­li­ches Ge­stillt­sein von der Un­ru­he, die ihn ver­zehr­te. Al­lein er war bei sei­nem Idea­lis­mus kein Men­schen- oder gar Frau­en­ken­ner und er­lag wie so man­cher an­de­re dem un­fass­ba­ren Wahn je­ner Tage, nach der In­nen­welt der Frau nicht zu fra­gen, wenn nur das Äu­ße­re be­frie­dig­te, als ob die­se In­nen­welt in der des Man­nes, so­bald sie nur erst sei­nen Na­men trug, rest­los auf­ge­löst wür­de. Im letz­ten Au­gen­blick vor dem ver­häng­nis­vol­len Schritt muss ihn noch ein war­nen­des Blitz­licht ge­trof­fen ha­ben, denn er frag­te den Be­kann­ten, der die An­stal­ten be­sorg­te, ob es kein Zu­rück mehr gebe. Al­lein die Fa­mi­lie der Braut hat­te ihn schon, be­vor er sich des­sen ver­sah, mit ge­sell­schaft­li­chen Stri­cken ge­bun­den; er konn­te sich nicht mehr lö­sen, ohne das Mäd­chen vor der Welt bloß­zu­stel­len. Die Rit­ter­lich­keit sieg­te: als ich von ei­ner Rei­se zu­rück­kehr­te, auf der er mir eben erst brief­lich sei­ne Ver­lo­bung mit­ge­teilt hat­te, fand ich ihn zu Hau­se schon als Ehe­mann. Er hat­te mir sei­ne Braut als ein schmieg­sa­mes, an­spruchs­lo­ses We­sen ge­schil­dert, das aber in der geis­ti­gen Ent­wick­lung nicht wei­ter sei als eine Vier­zehn­jäh­ri­ge, wes­halb er al­les von mei­nem Ein­fluss er­hof­fe. Von die­sem Cha­rak­ter­bild stimm­te al­lein der Punkt, der sich auf das Geis­ti­ge be­zog, nur dass auch kein hö­he­res Be­dürf­nis vor­han­den oder zu er­we­cken war. Sie hat­te die schön ge­schnit­te­nen Züge ei­ner grie­chi­schen Gem­me, aber es fehl­te ih­rer Ju­gend al­les Fri­sche, Blü­hen­de, und man sah nicht gern auf den Grund ih­rer Au­gen. Ich er­schrak vor dem Strom von Kalt­luft, der von ihr aus­ging und der mir die be­drück­te Stim­mung, die ich im Hau­se vor­fand, er­klär­te. Nicht um­sonst war eine alte Pa­ti­en­tin mei­nes Bru­ders, die ih­ren Arzt zärt­lich lieb­te, beim An­blick des Stein­bilds in Trä­nen aus­ge­bro­chen. Das in­ne­re Zu­rück­wei­chen war ge­gen­sei­tig, man konn­te nur hof­fen, sich ne­ben­ein­an­der ein­zu­rich­ten. Aber be­vor ich kam, hat­ten schon die Dä­mo­nen ihr Werk be­gon­nen: dem un­er­fah­re­nen We­sen war der leib­haf­ti­ge Geist der Zwie­tracht in Ge­stalt ih­rer ei­ge­nen Mut­ter nach­ge­folgt, in de­ren ver­bit­tern­dem Trei­ben da­mals nie­mand die schwe­re, viel zu spät er­kann­te see­li­sche Er­kran­kung ahn­te, so­dass sie gleich in die ers­ten Ehe­tage hin­ein un­ge­stört nach bei­den Sei­ten Miss­trau­en und Un­frie­den säen konn­te.

      Nach der mir mit­ge­teil­ten Verab­re­dung soll­te durch die Hei­rat an den häus­li­chen Ver­hält­nis­sen nichts ge­än­dert wer­den und mir, wie sich’s ver­steht, mei­ne Rech­te vollauf ge­wahrt blei­ben. In sei­ner stol­zen Un­be­küm­mert­heit hat­te Ed­gar die Frau ge­nom­men, wie sie ging und stand, ohne nach dem Wirt­schaft­li­chen zu fra­gen. Er hat­te aber nicht be­dacht, dass die Grün­dung ei­ner neu­en Fa­mi­lie und das Zu­sam­men­le­ben mit der al­ten in dem durch un­ge­schick­te Raum­ver­tei­lung be­eng­ten Hau­se, das oh­ne­hin größ­ten­teils durch sei­ne Pra­xis be­legt war, sich nicht ohne stän­di­ge Op­fer von der einen Sei­te und Rei­bun­gen von der an­de­ren durch­füh­ren lie­ßen. Vor al­lem sah er auch gar nicht, wie sehr ich schon bei dem Haus­kauf im Nach­teil ge­we­sen war, weil ich mich nie über Un­wi­der­ruf­li­ches be­klag­te, wie es auch stets un­denk­bar ge­schie­nen hät­te, in­ner­halb der Fa­mi­lie über das Mein und Dein zu ver­han­deln. In Ita­li­en ist es viel­fach üb­lich, dass die Neu­ver­mähl­te, die in einen ge­schlos­se­nen Fa­mi­li­en­kreis ein­tritt, nicht Her­rin son­dern Toch­ter vom Hau­se wird; ver­erb­tes Brauch­tum legt in sol­chen Fäl­len sei­ne be­stimm­ten Ge­set­ze auf. Ein ähn­li­cher, auf deut­sche Be­grif­fe nicht über­trag­ba­rer Zu­stand moch­te Ed­gar vor­ge­schwebt ha­ben, als er in mei­ner Ab­we­sen­heit und ohne vor­gän­gi­ge Ab­gren­zung der Be­fug­nis­se eine Lage schuf, in der nur En­gel ein­träch­tig hau­sen kön­nen, wo aber un­ter Men­schen je­der­zeit die stoff­li­che­re Na­tur ob­siegt. Nichts war na­he­lie­gen­der – aber zu­gleich von ihm un­vor­ge­se­he­ner –, als dass die­se mit der na­tür­li­chen Selbst­sucht der Pri­mi­ti­ven vor al­lem dar­an ging, sich auf mei­ne Kos­ten Raum und Be­quem­lich­keit zu schaf­fen, wäh­rend ich mich be­streb­te, sie in nichts zu be­en­gen und we­nigs­tens häus­li­che Zu­sam­men­stö­ße zu ver­mei­den. Aber ich be­fand mich auf ei­ner glei­ten­den Ebe­ne.

      Zu­nächst – und dies ließ sich we­gen der ge­mein­sa­men Kü­che gar nicht um­ge­hen – war mir der ein­zi­ge wert­vol­le Raum des Un­ter­ge­schos­ses, das er­höh­te Gar­ten­säl­chen, als Spei­se­zim­mer für das jun­ge Paar ab­ge­nom­men wor­den. Das war wäh­rend mei­nes Fort­seins be­lang­los, denn Mama be­stritt ihre Er­näh­rung mit ei­nem Schäl­chen Milch, die sie sich auf Spi­ri­tus koch­te, und ei­ner Sem­mel. Aber jetzt, da man sich wie­der ein­rich­te­te, muss­te das Es­sen für uns bei­de bei je­dem Wet­ter durch den Gar­ten in mein klei­nes