Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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woll­ten, um sie gab es kei­ne Ei­fer­sucht. Es war köst­lich, sich mit ih­nen zu bal­gen und im Kin­der­land zu sein, ich seg­ne­te mich nur je­den Tag, dass ich sie nicht zu er­zie­hen brauch­te. Eine Schild­krö­te, die des Nach­mit­tags pünkt­lich zur Tee­stun­de an mei­ne Gar­ten­tür poch­te und sich ar­tig zum Tee­tisch setz­te, um ih­ren ge­wohn­ten Lecker­bis­sen zu emp­fan­gen, ge­hör­te mit in die klei­ne Ge­sell­schaft. Mit schwar­zen, afri­ka­nisch aus­staf­fier­ten Pup­pen wur­de die Emin-Pa­scha-Ex­pe­di­ti­on vor­ge­stellt, die da­mals die gan­ze Kul­tur­welt in Auf­re­gung hielt und von mir mit atem­lo­sem An­teil ver­folgt wur­de, wie zu­vor schon der Zug St­an­leys durch den dunklen Erd­teil und sei­ne Auf­fin­dung Li­ving­sto­nes mich be­geis­tert hat­ten, – herz­er­fri­schen­de Er­eig­nis­se, von de­nen ich mir eine Ver­jün­gung un­se­rer gan­zen alt­ge­wor­de­nen Zi­vi­li­sa­ti­on er­hoff­te. Deutsch­lands ers­te ko­lo­nia­le Er­wer­bun­gen wur­den von mir mit Ju­bel be­grüßt wie lau­ter of­fe­ne Fens­ter aus der Stick­luft ins Freie. Es war die ein­zi­ge Zeit mei­nes Le­bens, wo ich mir ge­wünscht hät­te, sel­ber Kin­der zu ha­ben, ein hal­b­es Dut­zend Söh­ne, die ich alle zu For­schungs­hel­den hät­te er­zie­hen mö­gen. So muss­te ich mich be­gnü­gen, dass ich die Klei­nen mei­ner Brü­der hat­te, de­nen ich in ih­rer Un­schuldss­pra­che, die der Spra­che der Poe­sie so ver­wandt ist, von die­sen großen Din­gen er­zäh­len konn­te, als ob es Mär­chen wä­ren oder die Ge­sän­ge der Odys­see. Das brach­te mich über man­che dunkle Stun­de weg, aber je­der grö­ße­re schöp­fe­ri­sche Ver­such en­dig­te wie der Aufflug ei­nes kran­ken Vo­gels am Bo­den. Fast al­les, was ich in je­nen dür­ren Jah­ren schrieb, dar­un­ter auch die Mehr­zahl der »Ita­lie­ni­schen Er­zäh­lun­gen«, ist auf ge­le­gent­li­chen Rei­sen, in Som­mer­auf­ent­hal­ten da und dort, wie auf Raub ent­stan­den.

      Bes­ser als da­zu­mal in der Be­dräng­nis der Nähe kann ich heu­te die Zwangs­läu­fig­keit in dem Ge­schick der un­se­li­gen Frau er­ken­nen, die so an ih­rem bes­ten Le­ben vor­über­leb­te. In der klein­städ­ti­schen Um­welt und der Bil­dungs­schicht, aus der sie stamm­te, hät­te sie ge­wiss ein Glück nach ih­rem Her­zen fin­den kön­nen. Aber bei mei­nem Bru­der, für des­sen Per­sön­lich­keit ihr der Maß­stab fehl­te und des­sen Glücks­um­stän­de sie über­schätzt hat­te, war sie aus ih­rer Sphä­re ge­tre­ten, ohne in der sei­ni­gen, nach der sie kein Ver­lan­gen trug, hei­misch zu wer­den, und das nahe Zu­sam­men­sein mit ei­ner Fa­mi­lie wie der uns­ri­gen brach­te sie in eine Stel­lung, der sie in­ner­lich nicht ge­wach­sen war. Dass dann gleich zu An­fang ih­rer Ehe der böse Geist ih­rer Mut­ter kom­men muss­te, ihr die Fä­den zu ver­wi­ckeln, das war für die­se Na­tur zu viel. Ein lie­ben­des Herz hät­te sich frei­lich zu­recht­ge­fun­den, aber sie lieb­te nicht, sie konn­te gar nicht lie­ben, denn ihr gan­zes We­sen wohn­te im Ne­ga­ti­ven. Ich habe mich spä­ter oft ge­fragt, ob es denn gar nicht mög­lich ge­we­sen wäre, aus der un­glück­li­chen Haus­ge­nos­sen­schaft et­was Bes­se­res her­aus­zu­ho­len; aber das war auch dem großen Her­zen mei­ner Mut­ter, die ihr ja gar nicht im Wege stand, nicht ge­lun­gen.

      Erst in der To­des­krank­heit mei­nes Bru­ders er­wach­te in der Frau das Men­schen­tum, dass sie ihn sorg­sam und treu­lich pfleg­te und auch die An­ge­hö­ri­gen nicht ab­wehr­te, die er um sich ver­sam­melt woll­te; die wärms­te Aner­ken­nung lohn­te ihr da­für. Aber nach sei­nem Hin­gang fiel sie in ihre alte Art zu­rück; man sah sich nicht mehr, ich ver­nahm nur durch Drit­te noch ge­le­gent­lich von ihr und ver­lor sie schließ­lich ganz aus den Au­gen. Da war es er­schüt­ternd zu hö­ren, wie sie am spä­ten Ende noch eine tra­gi­sche Höhe er­stieg, in­dem sie, alt und mür­be ge­wor­den und nun selbst in Bit­ter­nis­se ge­ra­ten, sich ent­schloss, ihr miss­glück­tes Le­ben frei­wil­lig zu en­di­gen. Die­se all­zu her­be Süh­ne wirft ein mil­dern­des Licht auf al­les Ver­gan­ge­ne, das ja nicht ihr ge­woll­tes Werk, nur die Aus­wir­kung ih­res bö­sen Gestir­nes war. Ger­ne möch­te man sich vor­stel­len dür­fen, der nie ver­stan­de­ne Le­bens­ge­nos­se sei ihr drü­ben – in dem Drü­ben, an das er von sei­ner Na­tur­wis­sen­schaft aus nicht glau­ben konn­te –, er­bar­mend ent­ge­gen­ge­kom­men und habe die rat­lo­se See­le an einen Ort des Frie­dens ge­führt.

      Von ei­ner sol­chen Ein­sicht konn­te frei­lich wäh­rend der Ver­damm­nis ei­nes Zu­sam­men­woh­nens, wo schließ­lich die ei­ge­ne See­le Ge­fahr lief, sich mit­zu­ver­gif­ten, kei­ne Rede sein. Schon das Wis­sen um all die Vor­gän­ge – Frau­en­au­gen müs­sen ja se­hen, ob sie wol­len oder nicht – war ent­wür­di­gend. In die­ses In­fer­no folg­te mir auch der un­sicht­ba­re Ge­fähr­te nicht mehr. Der große Leid­ver­wand­ler kann wohl Not und Tod in Schön­heit wan­deln, aber die Auss­trö­mun­gen ei­ner kran­ken See­le nicht. Es blieb nichts üb­rig als zu­sam­men­zu­pa­cken und zu wei­chen.

      Von jetzt ab war ich für eine lan­ge Rei­he von Jah­ren Vo­gel auf dem Zweig. Ohne fes­ten Wohn­sitz, mit nichts Ei­ge­nem als mei­nem Kof­fer, be­weg­te sich mein Le­ben durch un­zäh­li­ge Pen­sio­nen oder Miet­zim­mer im­mer im Kreis, bald nä­her bald fer­ner, um das in der Via del­le Por­te nuo­ve ver­blie­be­ne müt­ter­li­che Zen­tral­ge­stirn. Da sie von Ed­gar nicht las­sen woll­te, aber zu wel­ken mein­te, wenn sie mich nicht hat­te, blieb mir kei­ne an­de­re Wahl. Mich an all die Orte zu er­in­nern, wo ich nach­ein­an­der in Flo­renz ge­wohnt habe, ist mir nicht mehr mög­lich; an kei­nem war mei­nes Blei­bens. Bald war es ein Kla­vier im Hau­se, bald ein dröh­nen­der Neu­bau in der Stra­ße, bald der Weg­zug der Ver­mie­ter selbst, was mich von hin­nen trieb. Nie­mand konn­te die­ses ir­ren­de Le­ben be­grei­fen, das im­mer auf dem Sprun­ge war. Durch Freun­des­zu­spruch hat­te ich mich schon bei­na­he dazu be­we­gen las­sen, eine klei­ne Woh­nung vor der Stadt für Mama und mich zu mie­ten, wo sie statt von ihm zu mir zu wan­dern es um­ge­kehrt hal­ten soll­te. Aber ich fühl­te selbst mit Ban­gen den Miss­griff, den ich im Be­griff war zu be­ge­hen; da riet mir zum Glück der im­mer klar­bli­cken­de Freund Hil­de­brand drin­gend von dem Vor­ha­ben ab, weil ja dem Tem­pe­ra­ment mei­ner Mut­ter, das ge­wohnt sei, sich auf vie­le Men­schen zu ver­tei­len, durch die­se Lö­sung gar nicht ge­dient wäre und ich mit ihr al­lein kei­ne Samm­lung zur Ar­beit fän­de. Ich war ihm dank­bar für die­ses Wort, das nur aus­sprach, was ich sel­ber wuss­te, denn er sprach da­mit mein Ge­wis­sen frei, und auch mei­ne Mut­ter war es zu­frie­den, wenn ich nur nicht ganz von ihr gin­ge. Wenn sie die Macht über die Kin­der hat­te und ih­ren Spi­ri­tus­ko­cher, um sich zu ver­sor­gen, dazu die Mög­lich­keit, so oft die Sehn­sucht sie trieb, mich zu se­hen, so woll­te sie wei­ter nichts vom Le­ben. Da flog dann plötz­lich ein­mal die Türe auf und sie wie ein ver­stürm­ter klei­ner Vo­gel an mei­nen Hals. Wer konn­te ihr böse sein, wenn sie auch gleich Hut und Um­hang auf die Blät­ter mei­nes Schreib­tischs warf? Sie leg­te im­mer erst ein Bün­del Schmer­zen bei mir ab. Da­nach aber trat das Über­per­sön­li­che in sein Recht; sie er­zähl­te mir von ir­gend­ei­ner na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ent­de­ckung, von der sie aus Ed­gars me­di­zi­ni­schen Zeit­schrif­ten wuss­te, oder den Auss­pruch ei­nes grie­chi­schen Den­kers, der ihr eben in die Hän­de ge­kom­men war. Denn sie hör­te nie auf, sich mit der Fra­ge nach dem Un­wiss­ba­ren zu be­schäf­ti­gen; so­gar in ih­rem hand­großen Haus­hal­tungs­büch­lein – sie führ­te wahr­haf­tig sol­che, was ihr nie­mand zu­trau­te – fand ich spä­ter noch die man­nig­fachs­ten phi­lo­so­phi­schen Lehr­mei­nun­gen zwi­schen die Zah­len ein­ge­streut. – Schlimm wur­de es nur, wenn eine län­ge­re Un­päss­lich­keit sie zwang das Bett zu