Scott Meyer

PLÖTZLICH ZAUBERER


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langsam um. Für einen Moment sahen er und Martin sich direkt in die Augen. Dann sprintete Martin aus der Vordertür hinaus. Als er am Schlafzimmer vorbeikam, spähte ein weiterer Agent um die Ecke. Martin hetzte durch die Tür und machte sich auf den Weg zum Parkplatz. So schnell er konnte, rannte er mit den offenen Turnschuhen um die Ecken. Er freute sich zu sehen, dass sie sein neues Auto noch nicht abgeschleppt hatten. Er stieg ein und stieß so schnell er konnte aus der Parklücke. Nur knapp verfehlte er einen alten Mann, der gerade auf einem heruntergekommenen Fahrrad unterwegs war.

      Er wusste genau, wohin er fahren würde, und glücklicherweise lag das Ziel nur ein paar Kilometer entfernt. Er hatte nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, aber schon bald würde er alle Zeit haben, die er brauchte. Wahrscheinlich sogar zu viel. Doch jetzt musste er erst einmal handeln.

      Er schaute in den Rückspiegel und war nicht gerade überrascht, zwei dunkle Zivilfahrzeuge zu sehen, die sich ihm näherten. Blinklichter leuchteten an deren Kühlergrill. Er beschleunigte den Wagen, aber er gab sich nicht der Illusion hin, auf diese Weise entkommen zu können. Martin musste sie nur davon abhalten, sich vor sein Fahrzeug zu setzen. Er wusste, er würde ihnen entwischen können. Nur von wo und wohin er flüchten würde, das war die Frage.

      Er wollte sich auf keinen Fall aus einem Auto heraus teleportieren, das in Bewegung war. Er hatte schon genug verpatzt und wollte nicht riskieren, dass jemand verletzt oder getötet wurde. Martin wusste, dass Murphy und Miller sein erstes Verschwinden wahrscheinlich dokumentiert hatten, aber ein Video von so einem unerklärlichen Ereignis, würde wohl wie ein gestellter Film aussehen. Besonders, wenn das Video von den Männern gemacht worden war, die sein Verschwinden miterlebt hatten und sich in der peinlichen Lage befanden, dass ihnen ein Bursche in den Mittzwanzigern entwischt war. Sollte er jetzt aber in der Öffentlichkeit verschwinden, wenn mehrere Bundesagenten dabei zusahen, wäre das nur schwer zu erklären. Martin hoffte, dass er einen Moment für sich allein haben und ein paar nützliche Dinge schnappen könnte. Dann könnte er sich wenigstens kurz darüber Gedanken machen, wohin er eigentlich flüchten wollte.

      Er fuhr nun in Höchstgeschwindigkeit weiter und dachte, dass seine Verfolger die öffentliche Sicherheit bestimmt nicht riskieren würden, um ihn aufzuhalten, solange er keine Gefahr für andere darstellte. Was auch immer er vorhatte, er musste es schnell tun. Die beiden Zivilfahrzeuge wurden nämlich nun von mindestens drei Streifenwagen begleitet. Sie alle fuhren mit Blaulicht und heulenden Sirenen. Er war nur noch ein paar Blocks von seinem Ziel entfernt, und wenn er nicht gleich etwas unternahm, um ein wenig Abstand zwischen sich und seine Verfolger zu bringen, würde seine Flucht doch noch scheitern.

      Martins glänzender, roter Kombi führte die laute, hässliche Parade durch den ruhigen Vorort, in dem er aufgewachsen war. Er überfuhr ein Stoppschild, doch ein Strafzettel für einen Verkehrsverstoß war im Moment noch seine geringste Sorge. Er stellte sich sein Urteil vor. Zwanzig Jahre für Bankbetrug und im Anschluss daran Verkehrsschule. Das ist erst recht ein Grund, sich nicht schnappen zu lassen, dachte er.

      Er hatte eine Idee, die er sofort hasste, aber es war die einzige Idee, die momentan in seinem Hirn aufblitzte. Es blieb nur noch eine Kurve, bis er sein Ziel erreicht hatte – eine Neunziggradkurve nach links in die Straße hinein, in der er aufgewachsen war. Er hatte es immer vermieden, sein Handy während der Fahrt zu benutzen, aber in diesem Fall machte er eine Ausnahme. Martin öffnete die App und tippte auf den Reiter mit dem Kompass. Dann wählte er eine Stelle aus, die sich fast genau dort befand, wo er sein wollte. Die letzte Kurve tauchte auf. Sein Daumen schwebte über dem Bildschirm, während er das Gaspedal des brandneuen Autos durchdrückte und auf einen riesigen Baum zusteuerte, an dem er früher morgens auf seinem Weg zur Schule immer vorbeigekommen war. Er warf einen Blick auf das Handy in seiner rechten Hand, um sicherzustellen, dass sein Daumen die richtige Stelle auf dem Display treffen würde. Wenn ich den richtigen Zeitpunkt erwische, dachte er, entkomme ich ihnen. Wenn nicht, schreiben sie es vielleicht dem Tippen während der Fahrt zu. Das Auto sprang den Bordstein hoch und er legte in allerletzter Sekunde den Daumen auf den Bildschirm, kurz bevor er gegen den Baum fuhr.

      Es war ein Werktag, deshalb war in dem Vorort gerade niemand draußen, um sehen zu können, dass Martin mitten auf der Straße in sitzender Position auftauchte, etwa einen halben Meter über dem Boden. Martin fiel direkt auf die Straße unter ihm. Wieder landete er schmerzhaft auf dem Steißbein. Während er fiel, hörte er ein überraschend dumpfes und knirschendes Geräusch, als sein Auto zwei Blocks entfernt auf den Baum traf.

      Er kam auf die Füße und schaute dann angestrengt in die Ferne. Schließlich erkannte er, dass sich das, was von seinem Auto noch übrig war, förmlich um den Baumstamm gewickelt hatte. Er lächelte, als er sah, wie die Polizeifahrzeuge an das Wrack heranfuhren. Ihre Eile war plötzlich verschwunden. Die Bundesagenten, die sein Apartment auseinandergenommen hatten, stiegen aus den schwarzen Zivilfahrzeugen und rannten nun zu dem zerknitterten Wrack, um nachzusehen, ob der Fahrer einen Arzt oder eher einen Leichenbeschauer brauchte.

      Martins Glück währte allerdings nicht lange, denn es wurde von einem hupenden Auto hinter ihm zerstört. Er wirbelte herum und sah, dass sich ihm ein grüner Minivan näherte. Irgendwie hatte er komplett vergessen, dass er mitten auf der Straße stand.

      Martin sprang zur Seite, sah zum Wrack und seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Die Agents hatten die Hupe gehört und hatten Martin offensichtlich selbst aus dieser Entfernung erkannt. Sie deuteten in seine Richtung und kletterten dann wieder in ihre Autos. Die Fahrerin des Minivans, eine Frau mit glanzlosem braunem Haar und einem verkniffenen Gesichtsausdruck, warf Martin einen bösen Blick zu, als sie vorbeifuhr, aber Martin beachtete sie gar nicht. Er sprintete nämlich bereits durch einen Garten und in ein bestimmtes Haus, das er zu seinem Ziel auserkoren hatte.

      ***

      Walter Banks saß auf einem großen Sofa im Wohnzimmer seines Hauses, einer Ranch mit zwei Etagen in einem Vorort von Seattle. Er sah sich gerade die Wiederholung einer alten Sitcom an. Damals, als er noch gearbeitet hatte, hatte er gedacht, die Show wäre reine Zeitverschwendung. Jetzt waren er und seine Frau in Rente (er hatte bei Boeing gearbeitet, sie einen Schreibtischjob bei der Schulverwaltung gehabt) und die Kinder waren erwachsen und längst aus dem Haus. Deshalb hatte er jetzt mehr Zeit für TV-Shows, doch wie er feststellte, war das keine gute Sache. Er wusste nicht einmal den Namen der Show, die er gerade sah, aber er wusste, dass sie an der Vorlage einer Standardsitcom festhielt: Ein noch nicht mal mittelmäßig aussehender Kerl, verheiratet mit einer erstaunlich hübschen Frau, ist unglücklich.

      Walters Frau Margarita (die ihm in Sachen Attraktivität gleichkam, ihn aber sehr glücklich machte) war gerade in der Küche und tat, was auch immer sie dieser Tage so tat. Wenn man sie fragte, was ihr Hobby war, würde sie wohl basteln sagen. Basteln war allerdings ein sehr weiter Begriff, und jede Woche stellte sie etwas Neues aus etwas her, das er nicht wegschmeißen durfte, oder aus etwas, das er mit ihr im Bastelladen kaufen musste. Diese Dinge würden dann im Gang mit den Styroporkugeln stehen, der neben dem Gang mit den großen Pappkartonbögen war und gegenüber des Gangs mit den falschen Ficus-Bäumchen. Es waren die Ficus-Bäumchen, die ihn verwirrten. Was könnte jemand wohl daraus basteln?

      Das Fernsehprogramm interessierte ihn nicht mehr, darum stand Walter auf, um nachzusehen, was seine Frau gerade so im Schilde führte. Sie saß mit dem Rücken zur Tür am Esszimmertisch. Ein Großteil des Tisches war mit Zeitungen bedeckt. Weiße Tonflecken waren gleichmäßig auf der Zeitung verteilt. Als er sich ihr näherte, verwirrte ihn, was er sah. Er küsste seine Frau auf den Kopf.

      »Margarita, was machst du?«

      Sie drehte sich um und zeigte ihm, woran sie gerade arbeitete. »Ich mache Skulpturen von kleinen Elefantenrüsselmuscheln! Wir können sie unseren Freunden schicken. Ein kleines Andenken aus dem Nordwesten«, sagte sie und hielt eine hoch, an der sie momentan arbeitete, damit Walter seine Anerkennung zum Ausdruck bringen konnte.

      Er fragte: »Das ist eine Muschel?«

      »Sie ist noch nicht ganz fertig. Ich mache erst den Hals, und wenn der dann trocken ist, stelle ich die Muschel her.«

      In der Ferne hörten sie beide viele Sirenen ertönen. Sie wurden schnell lauter. Walter ging zu dem vorderen Fenster, das in Richtung Straße zeigte, um nachzusehen,