einer sitzenden Position, obwohl er keinen Stuhl mehr unter sich hatte. Mit seinem gesamten Gewicht landete er deshalb genau auf seinem Steißbein. Er brach es sich zwar nicht, aber es fühlte sich so an, als hätte es genau das vorgehabt. Einen Moment lang nahm er sich Zeit. Dann stand er auf und ging zum Computer zurück. Die Nachbarin unter ihm stieß nun fester gegen die Decke und brüllte noch lauter. Er stellte sich vor, wie sie versuchte, ihre Kaution zurückzubekommen, und behauptete, dass die unzähligen Besenstielabdrücke schon dort gewesen waren, als sie eingezogen war. Das brachte ihn zum Lächeln.
Jetzt wusste er, dass er sich teleportieren konnte! Er wusste auch, dass er darüber nachdenken musste, wie er es tat, denn ansonsten würde er sich über kurz oder lang ernsthaft verletzen. Wieder schaute er auf die GPS-App. Er suchte sich eine Stelle aus, die anderthalb Kilometer entfernt war. Ein Ort, der gut beleuchtet sein würde, aber wo ihn gleichzeitig niemand sehen würde: ein Parkplatz an der Seite einer Boston Market Filiale. Er gab die Koordinaten ein, stand auf und winkelte dann die Beine etwas an, um etwaige Stöße dämpfen zu können. Für eine bessere Balance streckte er außerdem die Arme aus. Dann biss er die Zähne zusammen und drückte auf Enter.
Martin stand tatsächlich auf dem Parkplatz des Boston Market. Er war froh, dass er seine Arbeitskleidung nicht ausgezogen hatte, als er nach Hause gekommen war und dass sein Portemonnaie immer noch in seiner Tasche steckte. Er wünschte nur, er hätte seine Schuhe angelassen und seine Schlüssel in der Tasche, aber man konnte eben nicht alles haben. Er lebte in Seattle, darum war er dankbar, dass nur der Bürgersteig, und nicht die Luft selbst nass war. Sein Computer stand immer noch zu Hause. Darum konnte er sich nicht einfach dorthin zurück teleportieren. Stattdessen ging er zu Fuß, während er ein Boston Market Hackbratensandwich aß und darüber nachdachte, was er als Nächstes tun würde. Mit der Datei und auch mit dem Ersatzwohnungsschlüssel, der bei der Nachbarin unter ihm war.
Wer wäre besser geeignet?, dachte er. Sie ist schließlich immer zu Hause. Sie beobachtet stets ganz genau, was vor sich geht.
Seine Handgelenke, sein Knöchel und sein Steißbein schmerzten, aber der Heimweg und die ruinierten guten Wollsocken waren es ihm vollkommen wert. Sowohl wegen der Zeit, die er zum Nachdenken hatte, als auch wegen des Gesichtsausdrucks seiner Nachbarin.
»Warum sind Sie da oben die ganze Zeit so laut?«, fragte sie genervt.
»Was meinen Sie? Ich war doch gar nicht zu Hause. Ich war im Boston Market. Sehen Sie?«, entgegnete er und hielt seine Sandwichverpackung und seinen nun leeren Trinkbecher hoch.
»Warum tragen Sie dann keine Schuhe?«
Er schaute auf seine Füße.
»Ich mag es, leise zu gehen. Das wissen Sie doch.«
»Woher weiß ich denn, dass Sie die Sachen nicht vorher schon gekauft und sie jetzt einfach nur hier herunter gebracht haben?«
Martin kicherte. »Was macht denn mehr Sinn? Dass ich etwas Fast Food gegessen, meinen Müll aufbewahrt, absichtlich einen Haufen Lärm gemacht und mich dann aus meinem eigenen Apartment ausgesperrt habe, nur um hier runterzukommen und Sie zum Spaß anzulügen? Oder, dass ich einfach nur ohne Schuhe und Schlüssel losgelaufen bin, um beim Boston Market zu essen?«
Darauf wusste sie keine Antwort, denn keine dieser Optionen machte wirklich Sinn. Martin kehrte als müder, aber glücklicher Mann in sein Apartment zurück.
Er minimierte das Fenster der Datei nun und rief den App-Store für Android-Smartphones auf. Dort fand er eine Reihe von Emulatoren, mithilfe derer er die Datei auch auf seinem Handy aufrufen könnte. So musste er nicht mehr zwangsläufig zu Hause sitzen oder überhaupt irgendwohin gehen.
Doch auf seiner geistigen To-do-Liste stand noch ein weiterer Punkt.
Martin musste ziemlich lange suchen, bis er die Felder für Datum und Zeit fand. Er war nicht besonders überrascht, dass er diese Einträge in einer Form vorfand, die er verstehen konnte. Er vermutete einmal, das Programm hatte diese Einträge aus Zeitgründen genau so an die Menschen, die es erstellt hatten, weitergeleitet. Warum Generationen damit verbringen, neue Notationssysteme zu entwerfen, wenn man den Menschen das geben konnte, was sie bereits kannten? Etwas, das funktionierte und leicht zu verwalten war.
Eine lange Zeit schaute er intensiv auf die Zeitangabe. Im Grunde war sie die genaueste Uhr der Welt. Nur die Zahlen schienen danebenzuliegen. Doch dann stellte er fest, dass es sich um die Greenwich Mean Time handelte.
Er würde jetzt eine Zeitreise versuchen. Es nicht zu probieren, ging einfach nicht, auch wenn ihm diese Idee natürlich verständlicherweise Angst machte. Vorsichtig fügte er der Zeitangabe dreißig Sekunden hinzu, drückte auf Enter und … nichts passierte. Er überprüfte es noch einmal. Das Programm hatte seine Eingabe anscheinend nicht akzeptiert. Abermals versuchte er es, aber das Resultat war dasselbe.
Martin stieß einen langen Atemzug aus. »Wahrscheinlich ist es auch besser so.«
Eine Stimme aus der Ecke des Zimmers sagte plötzlich: »Versuch, in der Zeit zurückzureisen, und nicht vorwärts.«
Martin sprang erschrocken auf, danach blickte er zu der Stelle, woher die Stimme herkam. Er sah sich nun selbst mit seinem Smartphone in der Hand in der Ecke stehen. Auch er hielt es gerade in der Hand. Martin sah tatsächlich sich selbst. Kein Abbild. Kein Spiegelbild. Er sah sich.
Er hatte angenommen, dass er besser aussah.
Für einen Moment starrten sie sich gegenseitig an. Schließlich sprach Martin, der Zeitreisende: »Ich sagte, du sollst in der Zeit zurückreisen und nicht vorwärts.«
Der originale Martin war momentan viel zu sehr damit beschäftigt, durchzudrehen, anstatt zuzuhören, und bekam deshalb gar nicht mit, was Martin aus der Zukunft zu ihm gesagt hatte.
»Was?«, fragte er verwirrt und riss sich zusammen.
Martin aus der Zukunft schüttelte den Kopf. »Großartig. Jetzt bin ich verwirrt.«
»Du bist verwirrt?«
Martin aus der Zukunft sah irritiert aus. Er nuschelte etwas im Flüsterton, während er auf dem Smartphone herumtippte. Noch einmal schaute er auf, stellte Blickkontakt zum originalen Martin her und verschwand einfach.
Martin ging zu der Stelle, wo gerade noch sein Doppelgänger gestanden hatte. Keine Brandflecken oder etwas in der Art waren dort zu sehen. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, was mit der Stelle passierte, an der ein Zeitreisender auftauchte und wieder verschwand. Er wusste aber, dass er mehr erwartet hatte als … nichts.
Martin blickte auf sein Handy und sah das Feld mit der Zeitangabe in der Datei. Die Sekunden tickten. Schnell zog er dreißig Sekunden von der Zeit ab und drückte auf Enter.
Die Welt um ihn herum machte eine ziemlich schnelle Überblendung von jetzt zu der verstaubten Erinnerung an die Welt vor dreißig Sekunden. Er sah Martin aus der Vergangenheit in der Mitte des Zimmers stehen. Seine ganze Aufmerksamkeit hatte er auf den Handybildschirm gerichtet und er machte irgendwie einen ziemlich enttäuschten Eindruck.
Martin aus der Vergangenheit atmete einmal tief ein und aus und sagte dann: »Wahrscheinlich ist es besser so.«
Ihm tat der Martin aus der Vergangenheit leid. Ich sehe so traurig aus, dachte er.
»Versuch, in der Zeit zurückzureisen, und nicht vorwärts«, schlug er hilfsbereit vor.
Martin aus der Vergangenheit war ziemlich entsetzt. Mit echter Panik in den Augen sah er zu ihm. Er schaute erst ungläubig, dann überrascht und zu Martins immer noch währender Bestürzung auch enttäuscht.
Na großartig, dachte Martin. Ich sehe pummelig aus und man kann mir all meine Emotionen im Gesicht ablesen.
Martin beschloss, es noch einmal zu versuchen: »Ich sagte, du sollst in der Zeit zurückreisen und nicht vorwärts.«
Martin aus der Vergangenheit öffnete und schloss den Mund ein paar Mal. Schließlich schaffte er zu fragen: »Was?«
Martin war nicht sonderlich beeindruckt von sich selbst. »Großartig. Jetzt bin