Andreas Suchanek

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik


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wir also beginnen.« Sie machte einen Schwenk, Alex krachte in Jens Nähe zu Boden.

      Hustend hielt er sich den Hals. »Du verdammte …«

      »Ja ja, Gossenjunge, spar es dir.«

      Er griff seinen Stab und zielte auf die Schattenfrau.

      »Perfekt«, erwiderte die Feindin. »Und jetzt nicht bewegen.«

      Jen begriff zu spät, was die Schattenfrau plante. Wie hätte sie auch. Es gab Magie, die nur von bestimmten Gruppen eingesetzt werden konnte. Dazu gehörte ebenfalls der Zauber, der die Essenzstäbe verband. Nur ein Stabmacher vermochte ihn zu beherrschen.

      »Unum!«, rief die Schattenfrau.

      Wieder zuckten die Stäbe aufeinander zu, berührten sich an der Spitze. Ein grelles Leuchten entstand, ein Strahl ungebändigter Kraft, gespeist aus ihrer beider Sigil.

      Ihre Feindin ließ den Stab tanzen, dirigierte damit den Strahl gegen das unsichtbare Hindernis, welches das innere Podest umgab. Es glühte, Funken stoben davon …

      … ein Riss entstand.

      »Wunderbar.« Zufrieden betrachtete die Schattenfrau ihr Werk.

      Sie wartete, bis der wandernde Steg an der richtigen Position war und betrat ihn. Er trug sie zu dem Riss in der Barriere, der ständig größer wurde. Sie nahm die Glasphiole mit den wirbelnden Tintenbuchstaben auf und ließ sie in ihrem Nebelfeld verschwinden.

      Dann kehrte sie zurück.

      Jen keuchte. Schweiß rann über ihre Stirn. Der Zauber entzog ihnen beiden Essenz. Immer mehr und schneller.

      »Was denkt ihr, wie lange dauert es, bis wir zwei wunderschöne Aurenfeuer erleben dürfen?«, fragte die Schattenfrau. »Bernstein und Magenta.«

      »Weg von ihnen«, erklang eine gebieterische Stimme.

      »Ah, wenn das nicht unser brabbelndes Orakel ist«, kam es von ihrer Feindin zuckersüß. »Was hat dich so lange aufgehalten, Michel?«

      Nostradamus schritt mit wehendem Gewand über den Steg. Er hielt seinen Essenzstab erhoben, die Augen glühten in stiller Wut. »Unum Extingus.«

      Nichts geschah.

      »Da musst du schon etwas näherkommen«, erklärte die Feindin. »Ganz so dumm bin ich nicht, mein Lieber.«

      »Du bist es also«, sagte er. »Die Legende ist wahr.«

      »Erhelle mich.«

      Kraftschlag um Kraftschlag sauste durch die Luft. Langsam wich die Schattenfrau zurück, fing jedoch problemlos ab, was Nostradamus gegen sie führte. Der Unsterbliche richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Feindin.

      Jen keuchte. Ihre Hand zitterte. Die Essenz in ihrem Inneren war fast aufgebraucht. Das Sigil wand sich, wollte den Zauber nicht länger speisen, doch sie konnte nicht abbrechen. Alex ging es ähnlich, das spürte sie über die Verbindung. Er wehrte sich, schlug gegen die Fesseln der Magie.

      »Es gab stets nur Stabmacher, die ihr Geheimnis hüteten, bis ein Nachfolger bestimmt war«, erinnerte sich Nostradamus. »Aber die Legende besagt, dass einer die Regeln brach. Er teilte das Wissen um die Erschaffung der Essenzstäbe mit seiner Geliebten. Einer Frau, deren Herz so schwarz war, dass es auf ewig im Schatten gefangen blieb.«

      »Ach«, sie winkte ab, »zu viel der Ehre. Immer dieses Aufbauschen von Geschichten. Da werde ich ganz rot. Aber ja, das war ich.«

      »Du bist alt. Sehr alt.«

      »Nun werde mal nicht beleidigend.« Sie machte eine Handbewegung.

      Steine lösten sich.

      Es begann mit dem Podest. Der Lichtstrahl, der die Barriere darstellte, verschwand. Steinbrocken brachen heraus und fielen in die Tiefe. Der Boden bebte, die Wände erzitterten.

      »Das Contego Maxima …«

      »… ist die einzige Möglichkeit, direkt auf die magische Essenz zuzugreifen. Ich weiß«, fiel ihm die Schattenfrau ins Wort. »Genau deshalb benötige ich es. Denn was ist der Wall schon tatsächlich, wenn du ihn auf sein Grundelement reduzierst?«

      Nostradamus erbleichte. »Du kannst nicht so wahnsinnig sein. Nicht einmal dieser Zauber ist stark genug, den Wall zu vernichten. Du würdest Chaos anrichten. Risse in der Wirklichkeit, entartete Magie, Sigilmutationen.«

      »Du bist immer so dramatisch, mein Lieber.« Hinter der Schattenfrau war nur noch schwarzer Abgrund. »Aber mach dir keine Sorgen. Das Contego Maxima ist lediglich ein Bestandteil von etwas weitaus Größerem. An dem Tag, an dem du begreifst, wird es zu spät sein.«

      Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern, das als verstärkter Hall durch die Höhle getragen wurde und sogar das Beben übertönte. »Ich verspreche dir, Jen, ich werde alle töten, die du liebst. Erst am Ende bist du an der Reihe. Der Moment deines Begreifens wird dich in den Abgrund stürzen. Dann wirst du sterben.«

      Sie breitete beide Arme aus.

      Ohne einen sichtbaren Zauber auszuführen, schwebte die Schattenfrau in die Höhe. Ein Flammenschweif entstand, der von ihrem Körper in die Luft loderte. Die eine Körperhälfte blieb im Schatten verborgen, die andere wurde von Flammen umhüllt. Ihr Lachen tönte durch die Zerstörung und das Chaos.

      »Ich werde stärker sein als ihr alle. Das Castillo wird brennen, eure Schreie werden hallen. Das ist meine Rache!«

      Ein letztes Mal erklang ihr Lachen, brach sich an den Wänden und wurde zurückgeworfen wie die Stimme eines zornigen Gottes, der herabgestiegen war, um sie alle zu richten.

      Dann war sie fort.

      Jens Essenz war erloschen. Das Sigil zehrte von ihrer Aura, die sichtbar zu werden begann. Eine Hülle aus Magenta, die zitterte.

      Nostradamus wandte sich ihnen zu und brüllte: »Unum Extingus.«

      Der Zauber verwehte.

      Alex und Jen brachen in die Knie. Kraftlos sackten sie auf die steinernen Bodenplatten, von denen immer mehr in die Tiefe fielen.

      Nostradamus kam herbeigerannt, Panik loderte in seinem Blick.

      Dann schlug die Schwärze über Jen zusammen.

      19. Die Geliebte des Stabmachers

      Jen saß mit dröhnendem Kopf auf einem Stuhl. Alex lag neben ihr auf der Couch wie ein Häufchen Elend. Kurzerhand hatte er seine Schuhe weggekickt und die Füße hochgelegt. Hierzu lagen ihr ein paar böse Kommentare auf der Zunge, sie behielt sie jedoch für sich.

      Seit dem Unum sah sie Alex mit anderen Augen. Er hatte ein Leben im ständigen Überlebenskampf geführt. Nach dem Tod seines Vaters war er zum Familienoberhaupt geworden, hatte seine Mum beim Großziehen des kleinen Bruders unterstützt und obendrein auf sie aufgepasst. Diese Verantwortung hatte ihm die komplette Kindheit geraubt, ihn in ein enges Korsett aus schmerzhaften Entscheidungen gezwungen. Zwischen Jugendgangs, Schlägereien und Gewalt hatte er Alfie beschützt und versucht, einen anderen Weg zu gehen. Einen, der ständig Rückschläge für ihn bereit gehalten hatte. Auch sein Macho-Gehabe wurde nun als das Offensichtlich, was es war: ein Schutzmechanismus. Einer, das musste sie sich selbst eingestehen, den sie in ähnlicher Form selbst kultiviert hatte. Nicht zu vergessen die ganzen Kindereien, die er ständig tat.

      Er hat zum ersten Mal keine Verantwortung, kann aus sich herausgehen und leben. Die Magie gibt ihm Freiheit. Himmel, da steht uns ja noch Furchtbares bevor.

      Sie würde auf ihn aufpassen müssen.

      Nostradamus schob ihnen zwei japanisch aussehende Tassen ohne Griff herüber. »Trinken.«

      Widerstandslos kippten sie das Gebräu hinunter, das nach Minze, Honig und Schokolade schmeckte. Sofort breitete sich Wärme in ihren Mägen aus, durchströmte schließlich den ganzen