Fedor Jagor

Singapore, Malacca, Java. - Reiseskizzen von F. Jagor


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fortwachsen. So sendet der Wald immer einen Gürtel junger Pflanzen vor sich her, indem er weiter in's Meer rückt. Sind die Bäumchen etwas grösser geworden, so entspringen am Umfange des Stammes Luftwurzeln, die in einem Bogen den Sumpf erreichen. Diese Wurzeln senden seitlich wieder Wurzeln aus, und schliesslich steht der Stamm, der 30 bis 40 Fuss hoch wird, auf einem domartigen Geflecht von Luftwurzeln, das bei Ebbe entblösst, bei Fluth gewöhnlich bis an den Stamm bedeckt ist, dann hat man einen Wald im Meer. Auch von den Aesten senken sich Luftwurzeln herab, die, wenn sie den Boden erreichen, darin weiter wachsen als Stützen der Aeste, aber zu selbstständigen Bäumen werden, wenn die Verbindung mit der Mutterpflanze aufgehoben wird. Das Holz wird hauptsächlich zur Feuerung benutzt, die Rinde zum Gerben (sie enthält mehr Tannin als die Eichenrinde), auch zum Färben dient sie den Eingebornen. Die Rizophorenwälder sind ein Lieblingsaufenthalt für Krokodile, Krabben, Einsiedlerkrebse und viele Gastropoden; auch Austern sitzen an den Stämmen; mit der Behendigkeit einer Eidechse kriecht und hüpft mittelst der Brustflossen ein sonderbarer Fisch auf dem Schlamme umher (Periophthalmus sp. div.). Dergleichen Sümpfe sind ein sicherer Zufluchtsort für Seeräuber, und gewöhnlich wegen ihres dichten, für die Sonnenstrahlen undurchdringlichen Laubdaches eine Quelle böser Miasmen. In Singapore aber, wo sie nur einen schmalen Gürtel bilden, werden sie durch die beständig mit einander wechselnden Land- und Seebrisen hinreichend gelüftet.

      

      Wie gefährlich dergleichen Sumpfwaldungen zuweilen sind, zeigt folgende Notiz aus meinem Tagebuch: „14. Juni 1858. Als wir uns bei der dicht vor der NW.-Küste von Borneo (5° 04' N' 115° 12' O.-Gr.) liegenden Insel Moarro befinden, kommt ein Boot auf uns zu und meldet, dass das vor uns vor Anker liegende Schiff, die englische Barke Anna Maclean, in Noth sei. Unser Kapitän begiebt sich an Bord, bald darauf nehmen wir das Schiff in's Schlepptau und bugsiren es in den Hafen von Labuan. Das Schiff hatte, um Kohlen zu laden, auf Moarro, der Mündung eines Flusses gegenüber, angelegt, der viele Meilen weit durch die Sumpfwälder fliesst, aus denen hier die Küste von Borneo besteht. Der Nachts wehende Landwind hatte ihm die giftigen Miasmen wie aus der Mündung eines Trichters zugeführt; in wenigen (2?) Tagen war die ganze Mannschaft theils erkrankt, theils gestorben. Der Kapitän, der Steuermann, 3 Matrosen waren todt, nur ein Mann war noch dienstfähig.”

      Unser Lootse, der uns gestern durch die Rhiow-Strasse gebracht, führte uns heut durch das Gewirr der Gassen von Singapore nach dem Handelshaus, dem unser Schiff konsignirt war. Man hatte uns frühestens 14 Tage später erwartet, ich fand die liebenswürdigste Aufnahme.

      Zunächst wollte ich eine Fahrt durch die Stadt machen, und nahm deshalb einen Palankin, so heissen die hiesigen Miethswagen; es sind länglich viereckige, vierrädrige Kasten, mit Vorder- und Rücksitz, ringsum von Jalousien umgeben und mit einem kleinen Pony bespannt, beispiellos billig (1 Dollar pro Tag) und sehr zweckmässig, bis auf den Anstrich, der weiss statt schwarz sein sollte. Der Kutscher war ein Kling (Telinga von der Küste Koromandel), fast schwarz, mit einem grossen Turban und einem Lendentuch, sonst unbekleidet, doch sah er nicht unanständig aus, da die dunkle Farbe den Eindruck des Nackten fast aufhebt. Mitten auf der Stirn trug er einen Fleck von rothem Ocker, so gross wie eine Oblate. Alle Hindus haben dergleichen Abzeichen von verschiedener Form an der Stirn, und bezeichnen dadurch die religiöse Sekte, der sie angehören.

      Ich liess mir die Tour, die ich machen wollte, ins Malayische übersetzen, lernte die Worte nach dem Klang auswendig, und hatte die Genugthuung, sogleich vom Kutscher verstanden zu werden, was er durch einen Salam (Anlegen der Hände an die Stirn und Verneigung) ausdrückte. Er ergriff das Pferd am Zügel und lief in kurzem Trabe mit ihm davon. Einige Male setzte er sich während der Fahrt auf das vorn angebrachte Brett und versuchte, das Pferdchen von dort aus zu lenken. Dies gelingt aber selten auf die Dauer, da die meisten hiesigen Ponies zu eigenwillig sind, dann muss der arme Bursche wieder absteigen und nebenher laufen. So kamen wir bald vor die Stadt, die Landstrasse wurde immer einsamer. Ich liess halten und stellte den Kutscher zur Rede, er vertheidigte sich sehr fliessend, doch konnten wir gegenseitig kein Wort verstehen. Endlich kehrte er aber um und führte den Wagen an die Stelle zurück, wo ich eingestiegen war. Hier brachte ein vorübergehender Kling, der Englisch verstand, Alles in Ordnung. Es ergab sich, dass der Kutscher fast ebenso fremd war, als ich, kein Wort Malayisch verstand und nur auf meine Ortskenntniss gerechnet hatte. Ich habe dies so ausführlich erzählt, weil ganz ähnliche Auftritte täglich vorkommen und sie so bezeichnend für die Art der Eingebornen sind, die auf die Frage, ob sie Dies oder Jenes wissen oder können, immer Ja antworten, wenn sie glauben, dass solche Kenntniss oder Fähigkeit ihnen Vortheil bringen werde; sehen sie aber mehr Mühe als Lohn voraus, so machen sie es natürlich umgekehrt.

      Nachmittags begegnete mir eine grosse Kling-Prozession, der ich folgte. Den Zug eröffnete eine Musikbande, dann kamen einige Paare, die lange Stecken trugen, mit denen sie gegenseitig Schein-Angriffe machten und parirten; sie besassen grosse Gewandtheit und Sicherheit. Ihnen folgte paarweis ein Zug von Hindus, deren nur um die Hüften verhüllter, sonst nackter Körper mit gelbem Turmerikpulver[6] eingerieben war. Die Meisten trugen Hals- und Armbänder aus aufgefädelten kleinen weissen Blüthen. Einige dieser Leute hatten sich einen etwa fusslangen Spiess durch Lippen und Zunge, einen zweiten Spiess durch Backen und Zunge gestossen. Andere hatten sich auf jeder Seite des Körpers in der Gegend der Hüften zwei zwei Zoll lange Einschnitte gemacht, und durch die so entstandenen Oesen lange Stricke gesteckt, die von davor- und dahintergehenden Männern beständig hin- und hergezogen wurden. Unmittelbar auf sie folgten die Götter, deren Gunst durch diese Verstümmelungen erlangt werden sollte, theils auf Schultern getragen, theils auf Ochsenkarren gezogen. Es waren schöne Gruppen darunter: vor den reich drapirten Nischen, in welchen sich die Bilder der Gottheiten, von Gold und Silber glitzernd, befanden, standen je zwei junge Hindu-Mädchen in sehr glänzender Kleidung von Gold- und Silberbrokat, die auffallend an die Festkleider der Mutter Gottes in katholischen Kirchen erinnerte. Sie trugen langgestielte Wedel von weissen Federn, die sie feierlich hin- und herbewegten. Später überzeugte ich mich, dass es keine wirklichen Mädchen waren, sondern Knaben, die ihre Rollen so täuschend spielten. Auf einem freien Platz vor der Stadt machte der Zug Halt. Es waren viele Zuschauer anwesend, vorwiegend Klings, Chinesen, Malayen, fast kein Europäer. Die Meisten kauerten, hockten, sassen auf dem Boden, nur die hintersten Reihen standen. Jeder hatte gewiss die ihm behaglichste Stellung eingenommen, die aber zum Theil der Art war, dass sie bei uns kaum ein Turner auf die Dauer ausgehalten hätte. Diese Leute, die von Jugend auf nie einen Stuhl oder Tisch benutzen, weder enge Kleider, noch Schuhe tragen, wissen aus ihren unteren Gliedmassen viel mehr Nutzen zu ziehen, als wir. Die Beine müssen häufig als Arme aushelfen, wobei die Füsse die Stelle der Hände vertreten; so heben sie Sachen vom Boden auf, ohne sich zu bücken, halten das eine Ende eines Gegenstandes mit den Füssen fest, während sie das andere Ende mit den Händen bearbeiten. Besonders verstehen sie sich durch die grosse Gelenkigkeit ihrer Beine eine Auswahl bequemer Stellungen zu verschaffen und die Last des Oberkörpers so geschickt zu balanciren, dass sie nicht ermüden können. Selbst wenn man ihnen einen Stuhl anbietet, ziehen sie die Beine in die Höhe und richten sich auf dem Sitz ein, als ob sie am Boden sässen. Diese beneidenswerthe Fertigkeit ist aber leider nur in der ersten Jugend zu erlernen, in Kinderstuben, wo es keine Stühle giebt, und nur, wenn die Ausbildung der Füsse nicht durch Schuhe gehemmt wird.

      Ueber die Bedeutung des Festes konnte ich in Singapore nichts Zuverlässiges erfahren, später aber fand ich in den Blaubüchern der Präsidentschaft Madras, dass auch dort das Naruppuh-terunaul oder Feuerfest