deren Angus noch am Leben war. Die Frau von Angus dem Toten machte ein ziemlich mißbilligendes Gesicht; sie war nicht gerade begeistert von der Verbindung mit dem Hause Mondgesicht-mit-Schnauzbart.
Auf jeden Fall wurde Miranda Pryor mit dem Soldaten Joseph Milgrave getraut. Eine romantische Hochzeit hätte es werden sollen, aber es hatte nicht sollen sein. Zu viele Umstände verhinderten die erhoffte Romantik, wie selbst Rilla zugeben mußte. Erstens sah Miranda trotz Kleid und Schleier viel zu langweilig aus, um eine schöne Braut abzugeben, und zweitens weinte Joe während der ganzen Zeremonie ganz bitterlich, worüber Miranda sich unverständlicherweise ärgerte. Erst viel später vertraute sie Rilla an: „Am liebsten hätte ich zu ihm gesagt: ‚Wenn du es so schlimm findest, mich heiraten zu müssen, dann laß es doch bleiben.‘ Dabei hat er nur deshalb geweint, weil er die ganze Zeit an unseren Abschied denken mußte.“
Drittens bekam Jims, der sonst so umgänglich mit anderen Leuten war, plötzlich einen Anfall von Schüchternheit und Eigensinn und fing an, wie am Spieß nach „Willa“ zu kreischen. Niemand fand sich bereit, ihn hinauszubringen, weil niemand die Hochzeit verpassen wollte, also mußte Rilla, die die Brautjungfer war, ihn während der Zeremonie zu sich nehmen und ihn festhalten.
Viertens fing Sir Wilfrid Laurier an, verrückt zu spielen. Man hatte ihn in einer Ecke hinter Mirandas Klavier verstaut. Dort gab er plötzlich die eigenartigsten und schauerlichsten Geräusche von sich. Es fing an mit krampfartigen Würgelauten, die in ein scheußliches Gegurgel übergingen, und endete mit einem Gejapse, als ob er stranguliert würde. Keiner verstand ein Wort von dem, was Mr. Meredith sagte, außer in den kurzen Pausen, in denen Sir Wilfrid Luft holte. Keiner schaute die Braut an, bis auf Susan, die vor lauter Rührung den Blick nicht von ihrem Gesicht wenden konnte. Alle anderen starrten den Hund an. Miranda hatte erst vor lauter Aufregung gezittert, doch sobald Sir Wilfrid mit seiner Vorstellung begann, war es vorbei damit. Ihr einziger Gedanke war, daß ihr armer Hund im Sterben lag und sie nicht bei ihm sein konnte. Kein Wort der Traurede blieb ihr in Erinnerung.
Rilla, die trotz Jims versucht hatte, ein verzücktes und romantisches Gesicht zu machen, wie es sich für eine Kriegsbrautjungfer ziemte, gab den hoffnungslosen Versuch schließlich auf und war statt dessen bemüht, das unangebrachte Kichern, das sich ihr aufdrängen wollte, zu unterdrücken.
Sie wagte nicht, irgend jemanden im Raum anzusehen, schon gar nicht die Frau von Angus dem Toten, vor lauter Angst, sie könnte dann nicht länger an sich halten und müßte in ein lautes, höchst undamenhaftes Gelächter ausbrechen.
Immerhin, die Hochzeit fand statt, und danach gab es im Eßzimmer einen so verschwenderischen Hochzeitsschmaus, als seien dafür wochenlange Vorbereitungen nötig gewesen. Jeder hatte irgend etwas mitgebracht. Die Frau von Angus dem Toten hatte einen großen Apfelkuchen angeschleppt, den sie auf einem Stuhl im Eßzimmer abgestellt hatte, um sich nachher in ihrer Vergeßlichkeit darauf zu setzen. Das kam weder ihrer Stimmung noch ihrem schwarzen Seidenkleid zugute, und den Kuchen vermißte auch niemand bei dem fröhlichen Hochzeitsfest. Woraufhin die Frau von Angus dem Toten ihn schließlich wieder mit nach Hause nahm. Mondgesicht-mit-Schnauzbarts Hausschwein sollte ihn jedenfalls nicht bekommen.
Am Abend brachen Mr. und Mrs. Joe in Begleitung des wiederauferstandenen Sir Wilfrid zum Leuchtturm von Four Winds auf, der von Joes Onkel bewacht wurde. Dort wollten sie ihren kurzen Flitterabend verbringen. Una Meredith, Rilla und Susan wuschen das Geschirr ab, räumten auf, ließen ein kaltes Abendessen und Mirandas mitleidsvolle Notiz für Mr. Pryor auf dem Tisch zurück und traten den Heimweg an, während sich der geheimnisvolle Schleier der winterlichen Abenddämmerung über Glen ausbreitete.
„Es muß schön sein, eine Kriegsbraut zu sein“, bemerkte Susan gerührt.
Rilla fühlte sich ziemlich matt – vielleicht als Folge der ganzen Aufregung und Hektik der vergangenen sechsunddreißig Stunden. Irgendwie war sie enttäuscht. Die ganze Angelegenheit war ihr so albern vorgekommen und Miranda und Joe so weinerlich und langweilig.
„Wenn Miranda diesen jämmerlichen Hund nicht überfüttert hätte, dann hätte er auch keinen Anfall gekriegt“, schimpfte sie. „Ich habe sie noch gewarnt, aber sie sagte, sie könne doch den armen Hund nicht verhungern lassen, und er wäre doch bald alles, was ihr noch bleibt, und so weiter und sofort. Ich hätte sie schütteln können.“
„Der Trauzeuge war noch aufgeregter als Joe“, sagte Susan. „Als er ihr gratulierte und ihr alles Gute wünschte, sah sie nicht sehr glücklich aus. Aber das kann man unter solchen Umständen vielleicht auch nicht erwarten.“
Na, auf jeden Fall werden die Jungen was zu lachen haben, wenn ich ihnen davon schreibe, dachte Rilla. Jem wird sich totlachen über Sir Wilfrids Auftritt!
Doch wenn Rilla auch enttäuscht war über die Kriegshochzeit, so entsprach der folgende Morgen, als es für Miranda hieß, von ihrem Bräutigam auf dem Bahnhof Abschied zu nehmen, ganz ihren Vorstellungen. Die Morgendämmerung schimmerte so weiß wie eine Perle und so klar wie ein Diamant. Die jungen Tannen hinter dem Bahnhof waren von Rauhreif überzogen. Der kalte Mond hing über den Schneefeldern im Westen, während die goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne die Ahornbäume von Ingleside umsäumten. Joe nahm seine kleine blasse Braut in die Arme, und sie sah zu ihm auf. Rilla mußte plötzlich schlucken. Was machte es schon, wenn Miranda ein unbedeutendes, langweiliges Mädchen war. Was machte es schon, wenn sie die Tochter von Mondgesicht-mit-Schnauzbart war. Das zählte doch nicht im Vergleich zu dem hingerissenen, aufopferungsvollen Blick in ihren Augen – diesem immerwährenden Feuer der Liebe und Treue und dem Mut, Joe ohne Worte das Versprechen zu geben, daß sie und Tausende von anderen Frauen zu Hause auf sie warten würden, während ihre Männer an der Westfront die Stellung hielten.
Rilla machte kehrt, als sie merkte, daß es nicht richtig war, in so einem Augenblick zu spionieren. Sie ging bis zum Ende des Bahnsteigs, wo Sir Wilfrid und Monday hockten und sich gegenseitig musterten.
Sir Wilfrid schien zu bemerken: „Warum lungerst du in dieser alten Hütte herum, wo du es dir vor dem Kamin von Ingleside bequem machen und in Saus und Braus leben könntest? Spielst du Theater? Oder ist das eine fixe Idee von dir?“
Darauf Mondays knappe Antwort: „Ich habe eine Verabredung.“
Als der Zug abgefahren war, ging Rilla wieder auf die zitternde Miranda zu.
„Jetzt ist er fort“, sagte Miranda, „und kommt womöglich nie mehr wieder. Aber ich bin seine Frau, und ich will seiner würdig sein. Ich gehe jetzt nach Hause.“
„Willst du nicht lieber mit zu mir kommen?“ fragte Rilla. Bis jetzt wußte noch niemand, wie Mr. Pryor die Sache aufgenommen hatte.
„Nein. Wenn Joe sich den Hunnen stellen kann, dann werde ich mich wohl auch meinem Vater stellen können“, sagte Miranda tapfer. „Die Frau eines Soldaten darf kein Feigling sein. Komm, Wilfy. Ich gehe jetzt nach Hause und werde das Schlimmste über mich ergehen lassen.“
Aber so schlimm wurde es gar nicht. Vielleicht hatte sich Mr. Pryor gesagt, daß Haushälterinnen schwer zu bekommen waren und daß Miranda die Tür bei so vielen Milgraves offenstand – und nicht zuletzt gab es ja auch noch so etwas wie eine Trennungszulage. Er zeigte sich zwar mürrisch und sagte, sie hätte sich wohl ziemlich albern benommen, und das würde sie ihr Leben lang bereuen, aber das war auch alles, was er sagte. Mrs. Joe band sich daraufhin die Schürze um und ging wie immer an die Arbeit, während sich Sir Wilfrid Laurier, der vom Leuchtturm die Nase voll hatte, in seiner Kuschelecke hinter der Brennholzkiste schlafen legte und froh war, von Kriegshochzeiten fortan verschont zu bleiben.
Gertrudes Traum
An einem kalten, grauen Februarmorgen wachte Gertrude Oliver zitternd auf. Sie flüchtete sich hinüber in Rillas Zimmer und kroch zu ihr ins Bett.
„Rilla, ich habe Angst. Ich habe Angst wie ein kleines Kind, weil ich wieder einen meiner merkwürdigen Träume gehabt habe. Etwas Schreckliches steht uns bevor, ich weiß es!“
„Was war das denn für ein Traum?“ fragte Rilla.
„Ich stand wieder auf der Verandatreppe, so wie in dem Traum in der Nacht vor dem Leuchtturmfest. Am Himmel kam eine riesengroße, bedrohliche Gewitterwolke von Osten heran. Kaum sah ich ihren Schatten heranjagen,