Артур Шницлер

Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler


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und ich. Und eine Schwester hab’ ich, die ist verheiratet. Und die kommt mit ihrem Mann heute abend zu uns, wie immer am Donnerstag. Und darum muß ich nach Hause.«

      »Heute – aber doch nicht jeden Abend?« fiel Doktor Gräsler rasch ein.

      »Wie meinen das der Herr Doktor?«

      »Sie sind doch gewiß nicht alle Abende zu Hause, nicht wahr? Sie haben doch gewiß Freundinnen, die Sie besuchen … oder gehen ins Theater?«

      »Dazu kommt unsereins selten.« Plötzlich nickte sie jemandem, der auf der anderen Seite der Straße ging, freundlich zu. Es war ein einfach, in der Art eines besseren Handwerkers gekleideter, nicht mehr ganz junger Mann, der ein Paket in der Hand trug und ihren Gruß kurz und anscheinend ohne von Gräsler Notiz zu nehmen, erwiderte. »Das ist nämlich mein Schwager. Da ist die Schwester jedenfalls schon bei uns oben. Aber nun ist es auch wirklich höchste Zeit.«

      117 »Es wird Ihnen hoffentlich keine Unannehmlichkeit daraus entstehen, daß ich mir erlaubt habe, Sie so nahe bis an Ihr Haustor zu begleiten?«

      »Unannehmlichkeiten? Glücklicherweise ist man doch majorenn, und sie wissen schon bei mir zu Hause, mit wem sie es zu tun haben. Nun, adieu, Herr Doktor.«

      »Auf morgen!«

      »Ja.«

      Doktor Gräsler wiederholte: »Um sieben Uhr, Wilhelmstraße.«

      Sie stand noch immer, schien etwas zu bedenken, blickte plötzlich zu ihm auf und sagte dann etwas hastig: »Sieben Uhr, ja. Aber« – setzte sie zögernd hinzu – »weil Sie früher vom Theater sprachen, Sie werden mir doch nicht böse sein –«

      »Warum böse?«

      »Ich meine, weil Sie früher eben davon gesprochen haben – wenn Sie vielleicht gleich Billette fürs Theater mitbringen wollten, das wäre sehr hübsch. Ich bin so lange nicht da gewesen.«

      »Aber wie gern! Ich bin ganz glücklich, Ihnen eine kleine Gefälligkeit erweisen zu können.«

      118 »Nur keine teueren Plätze, wie Sie sie wahrscheinlich gewöhnt sind. Das würde mir gar keinen Spaß machen.«

      »Sie können ganz ruhig sein, Fräulein – Fräulein Katharina.«

      »Und Sie sind mir gewiß nicht böse, Herr Doktor?«

      »Aber – Fräulein Katharina, böse –!«

      »Also auf Wiedersehen, Herr Doktor.« Sie reichte ihm die Hand. »Jetzt muß ich mich wirklich beeilen. Morgen dürfte es ja doch etwas später werden.« Sie wandte sich so rasch ab, daß er den Blick nicht mehr erhaschen konnte, der ihre Worte begleitete. Aber in ihrer Stimme klang eine leise Versprechung nach.

      Als Doktor Gräsler wieder in seinen vier Wänden war, stellte das Bild Sabinens mit sehnsüchtiger Macht sich ein. Er fühlte das unabweisbare Bedürfnis, ihr zu schreiben, und wären es auch nur ein paar Worte. So teilte er ihr denn mit, daß er wohlbehalten angelangt sei, sein Haus in bester Ordnung vorgefunden, mit seinem alten Freund Böhlinger eine ernste, aber nicht 119 abschließende Unterredung geführt habe, daß er morgen, um die Zeit nicht ungenützt verstreichen zu lassen, das Krankenhaus besuchen werde, wo einer seiner alten Studienkollegen, wie er ihr ja gelegentlich erzählt, einer Abteilung vorstehe, und er unterschrieb die hastigen Zeilen. »In Freundschaft innigst grüßend Emil.« Er eilte nochmals auf die Straße und trug den Brief selbst auf den Bahnhof, damit er noch mit dem Nachtzug seiner Bestimmung entgegenreise.

       Inhaltsverzeichnis

      Am nächsten Morgen, wie er es Sabinen in seinem Brief versprochen, begab sich Doktor Gräsler ins Krankenhaus, wurde vom Primarius willkommen geheißen und bat um die Erlaubnis, an der Visite teilnehmen zu dürfen. Er folgte ihr mit einer Aufmerksamkeit, die ihn selbst am meisten befriedigte, ließ sich nähere Aufschlüsse über Verlauf und Behandlung beachtenswerter Fälle geben und hielt auch mit eigenen abweichenden Ansichten 120 nicht zurück, wobei er den einschränkenden Satz zu gebrauchen pflegte: »Soweit es eben uns Badeärzten gelingt, den Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Medizin aufrecht zu erhalten.« Das Mittagessen nahm er mit einigen Sekundärärzten in einem bescheidenen Speisehaus gegenüber dem Spital und behagte sich so sehr in Gesellschaft der jungen Fachgenossen bei zünftigen Gesprächen, daß er sich vornahm, öfter wiederzukommen. Auf dem Heimweg besorgte er die Theaterbillette, zu Hause blätterte er in medizinischen Büchern und Zeitschriften um so zerstreuter, je weiter die Stunden vorrückten, teils in Erwartung einer Nachricht von Sabine, teils in unklaren Vorstellungen von dem wahrscheinlichen Verlauf des kommenden Abends. Um allen Möglichkeiten wohlgerüstet gegenüberzustehen, entschloß er sich, einen kalten Imbiß und ein paar Flaschen Wein bereit zu halten, was ja am Ende nach keiner Richtung hin verpflichtete. Er verließ seine Wohnung, besorgte die nötigen Einkäufe, ließ sie nach Hause schaffen; und ein paar Minuten vor sieben Uhr spazierte er in der 121 Wilhelmstraße auf und ab, diesmal nicht mit der romantischen Kopfbedeckung von gestern, sondern, um minder auffällig zu erscheinen, und auch, wie er sich einbilden wollte, um Katharinens Gefühle auf ihre Echtheit zu prüfen, mit dem altgewohnten steifen schwarzen Hut.

      Er betrachtete eben eine Auslage, als Katharinens Stimme hinter ihm erklang: »Guten Abend, Herr Doktor.« Er wandte sich um, reichte ihr die Hand und freute sich der anmutigen, wohlgekleideten Erscheinung, in der gewiß jedermann eine gut erzogene Bürgerstochter vermutet hätte, wofür sie ja auch, wie sich Doktor Gräsler sofort sagte, als Tochter eines Staatsbeamten unbedingt zu gelten hatte.

      »Was denken Sie wohl,« fragte sie gleich, »wofür mein Schwager Sie gestern gehalten hat?«

      »Davon habe ich keine Ahnung … Auch für einen Portugiesen etwa?«

      »Nein, das nicht. Aber für einen Kapellmeister. Er sagte, Sie sehen geradeso aus wie ein Kapellmeister, den er einmal gekannt hat.«

      122 »Nun, haben Sie ihn eines Besseren oder Schlechteren belehrt?«

      »Das hab’ ich getan. War es nicht recht von mir?«

      »O, ich habe keinen Grund, aus meinem Beruf ein Geheimnis zu machen. Und haben Sie denn zu Hause auch gesagt, daß Sie heute mit mir ins Theater zu gehen beabsichtigen?«

      »Das geht niemanden was an. Und es fragt mich auch keiner. Ich könnte doch wohl allein gehen, wenn es mir beliebte – nicht wahr?«

      »Gewiß könnten Sie, aber es ist mir lieber, so wie es sich eben gefügt hat.«

      Sie blickte zu ihm auf, nach ihrer Gewohnheit die eine Hand an den Rand ihres Hutes führend, und sagte. »Allein macht es einem keine rechte Freude. Theater ist nur in Gesellschaft schön. Es muß Jemand daneben sitzen, der auch lacht, und den man angucken kann und« –

      »Und? was wollten Sie sagen?«

      »Und in den Arm kneifen, wenn es besonders schön wird.«

      »Hoffentlich wird’s heute besonders schön – ich stehe jedenfalls zur Verfügung.«

      123 Sie lachte leise und ging rascher, als fürchtete sie, den Anfang zu versäumen.

      »Wir sind zu früh da,« sagte Doktor Gräsler, als sie vor dem Theatergebäude standen; »es ist beinahe noch eine Viertelstunde Zeit.«

      Sie hörte nicht auf ihn. Leuchtenden Auges lief sie ihm voraus in den ersten Rang, kümmerte sich kaum um ihn, als er ihr behilflich war, die Jacke abzulegen; und erst als sie nebeneinander auf ihren Plätzen in der dritten Reihe saßen, traf ihn ein dankbarer Blick.

      Doktor Gräsler suchte in dem mäßig besetzten Zuschauerraum nach bekannten Gesichtern. Hier und dort bemerkte er eines, dessen er sich zu erinnern vermochte. Ihn selbst, der im Dämmer saß, erkannte gewiß niemand.

      Der Vorhang hob sich. Man gab einen neueren deutschen Schwank. Katharina unterhielt sich vortrefflich, und oft lachte sie auf, aber