Annette Just

Systemische Schulsozialarbeit


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und interessierte Schulen stellen Kontakte her, um schulinterne Prozesse oder Projektvorhaben zu unterstützen. Das geschieht vornehmlich auf der Erwachsenenebene. Nach dem systemischen Denkansatz sollten sich Veränderungen dort, wo sie auf einer Projektebene (je nach Setting) entstehen, immer auch auf den nächstgelegenen Lehrer-, Eltern- und Schülerebenen widerspiegeln, als Rückkopplungseffekt sozusagen. Ohne dass wir näher darauf eingehen, stellt sich hier die Frage, wie es unseren Schülern in der Schule geht, den einzelnen mit individuellen Schwierigkeiten, Stress in der Klasse, Ausgrenzung oder anderen Belastungen. Was ist für Schüler vorgesehen, wenn »Früchte« der Schulentwicklungsberatung auf dieser Ebene nicht ankommen? Schüler sollen sich wohlfühlen, nicht unnötigem Druck ausgesetzt sein, damit sie individuell gefördert werden und ihre Potenziale entfalten können. Häufig werden jedoch Defizite beklagt und »Kritik an der Schule ist an der Tagesordnung«, so Huber (2011, S. 67). Er geht von einem pädagogischen Veränderungsansatz aus. Einerseits muss Schule sich verändern wollen, andererseits kann der individuelle Einsatz eines jeden bereits ein Anstoß für Verbesserung sein. Schließlich geht es um einen Prozess, bei dem für Veränderungsmaßnahmen auf jeder Ebene günstige Bedingungen geschaffen werden müssen, die sich an den Zielen ausrichten und diese Ziele fördern. »Dafür müssen externe Unterstützung und Hilfe zur Verfügung stehen« (ebd., S. 84).

      Mit einem Blick auf die Schulsozialarbeit und die dichten Berührungen im Schulalltag müssen also nicht nur effektive Kommunikationsbarrieren überwunden werden, sondern zur Gestaltung des beruflichen Alltags bedarf es der Anerkennung der unterschiedlichen beruflichen Grundpositionen und ihrer jeweils eigenen Entwicklungen. Wenn Schulentwicklungsberatung auf der Grundlage des systemischen Ansatzes durchgeführt wird, also Entwicklungsprozesse mit Blick auf den Einzelnen (Schüler, Lehrer) gestärkt werden, dann ist es umso wichtiger, dass auch die Schulsozialarbeit im gleichen Hause diesen Weg mitgeht.

      Da die Identität einer Schule sich stetig verändert, muss sie sich wie jedes System immer wieder neu reflektieren. Wenn Ziele vorhanden sind, können auch Alltagsbelastungen bewältigt und Hürden und Hindernisse gemeistert werden. So spricht Schley von einer sogenannten Situationslogik, die darauf verweist,

      »dass Aufgaben, Ziele und Konzepte immer kontextgebunden zu verstehen sind und aus der Logik der jeweiligen Situation ihren Sinn beziehen« (1998, S. 26).

      Es lohnt sich daher, die in einer Schule

      »bestehenden Bilder der Organisation Schule einmal aufzunehmen und zum Gegenstand der Reflexion zu machen, um die darin enthaltenen Werte und Leitgedanken zu entschlüsseln« (ebd., S. 15).

      Wenn etwas gut funktioniert, sollte man es beibehalten, wenn nicht, sollte man es ändern; und wenn man es beibehält, weil es eben funktioniert, sollte man es dennoch weiterentwickeln. Jedoch scheinen Veränderungsprozesse oft nicht ausreichend vorbereitet zu werden. Schulentwicklung ist immer ein Prozess, der von Dauer und Bewegung, Nähe und Distanz getragen wird, wobei diese Kräfte ein Gleichgewicht bilden (ebd. 1998, S. 28 f.). Auf dem Weg hin zu den einzelnen Beteiligten im Schulsystem, zu Schülern, Lehrern und Eltern wie auch zur Organisation »Schule« macht Schley dieses Gleichgewicht an verschiedenen Kräften und Qualitäten deutlich, nämlich an:

      •Dauer als Bedürfnis nach Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit

      •Bewegung als Bedürfnis nach Entfaltung, Entwicklung und Wachstum

      •Nähe als Bedürfnis nach Kontakt, Bestätigung, Lob, Austausch, Unterstützung und Verständnis

      •Distanz als Bedürfnis nach Eigenständigkeit, Eigenverantwortung, Unabhängigkeit und Selbstannahme.

      Viele unterschiedliche Persönlichkeiten befinden sich in der Schule. Es gibt die Lebendigen, die Skeptiker, die Überforderten, die Ideenreichen, die Langsamen, die Schnellen, die »Faulen«, die Kritiker u. v. m. Sie alle ins Boot zu holen bedarf einer hohen Kunst (systemischer Kompetenz und Haltung), weil alle jeweils auf ihre Weise dazu beitragen, die Qualität von Schule und das Wohlbefinden von Schülern, Lehrern und Eltern zu sichern. Systemische Beratung und methodische Intervention werden im schulischen Alltag nachvollziehbarer und dem Kollegium vertrauter, wenn sie zur Regel werden – auf allen Ebenen, auch in der Schulsozialarbeit an der Basis mit den Schülern.

      Der etwas andere Blick auf Schule ist für die Schulsozialarbeit ein wichtiger, da es weniger um Diskussion als vielmehr um Verstehen geht. Der etwas andere Blick auf Schule soll im Folgenden (Abb. 36) die bestehenden Bilder der Organisation »Schule« (s. o., Zitate Schley) aufnehmen und bei allen Beteiligten die Bereitschaft zur Entdeckung von Wirklichkeit wecken, damit sie verstehen, neu sehen und hinterfragen.

      Insofern meint der Begriff »Schule« nicht das Schulgebäude, nicht die Ausstattung, nicht die Schulpolitik, sondern das Leben, das alltägliche Gewusel nach vorgegebenen Regeln und Normen, das recht übersichtlich abläuft, solange jeder mitspielt. Das gilt für alle Beteiligten.

      In komplexen Systemen wie der Schule muss nicht nur der äußere Organisationsaufbau, sondern muss auch die gelebte Kultur mitgedacht werden. Sie ist in jeder Schule anders. Sie wird getragen von internen individuellen Beziehungen. König und Volmer (2008, S. 451) beschreiben eine Organisationskultur als das von den Beteiligten eines sozialen Systems geteilte Kommunikationssystem, das Denken, Fühlen und Handeln der Personen in diesem System. Beratung in komplexen Systemen ist daher auch immer mit ihrer gelebten Kultur und dem Grad der Zufriedenheit mit ihr verbunden. Auch hier stellen sich Fragen, was man beispielsweise tun kann, um die Kultur einer Schule zu verändern. Wir können konkreter fragen:

      •Was kann Schule tun, um eine Kultur der Zufriedenheit (Achtsamkeit) zu entwickeln?

      •Was kann die Schulsozialarbeit dazu beitragen?

      •Was ist, wenn Schule eine neue Kultur des achtsameren Umgangs gar nicht konkret will, weil vielleicht alles am Ende zu anstrengend ist? (Und wenn doch, wie geht die Schulsozialarbeit damit um?)

      Fragen wir weiter:

      •Wie genau sieht die Dienstleistung in der Schule aus? Wer sind ihre Kunden, und wie wird sie ihnen gerecht?

      •Wie werden Lehrer und Schulsozialarbeiter vor Überforderung geschützt? (Vgl. Just 2004, 2016a, b)

      Hubrig und Herrmann (2005, S. 250) stellen weitere Fragen:

      »Welche besonderen Verhaltensweisen brauchen wir, um diesen Anforderungen gerecht zu werden (gegenüber der Behörde – gegenüber den Eltern – gegenüber den Schülern – gegenüber der eigenen Mission – gegenüber den Kollegen – gegenüber der Hierarchie)?«

      … und gegenüber uns selbst?

      Systemisch betrachtet, nehmen wir Schule aus einer interessierten und wertschätzenden Perspektive wahr. Das ist unsere Haltung. Wir sind interessiert an ihrem Funktionieren. Das muss nicht heißen, mit allem einverstanden zu sein. Für die systemische Schulsozialarbeit ist die Sicht, die zum Erkennen des Funktionierens des Systems »Schule« führt, von elementarer Bedeutung. Diese Sicht leugnet nicht die Vielzahl an Problemfaktoren, die sich in der Organisationsstruktur, auf der Schulleitungsebene, im Lehrerkollegium und in Schulgremien (Konferenzen) ergeben, im Gegenteil, sie nimmt sie als Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Auch auf der Interaktionsebene – zwischen Schülern und Schülern, Klassengemeinschaften, Peergroups oder bei Elternkontakten mit Lehrern und ohne Lehrer – sind Problemfaktoren erkennbar. Sie sind beobachtbar, erwachsen aus den jeweiligen Systemen und sind durch Wechselbeziehungen und Austausch miteinander verbunden. Aus systemischer Sicht ist das So-oder-so-Funktionieren eines Systems durch die eigene Strukturbestimmung vorgegeben. Die eine Schule hat den einen Ruf, die andere einen anderen. Regeln, Normen und Bestimmungen aus der Umwelt (hier: Bildungspolitik/Schulverwaltung), die das System Schule von außen tangieren, wirken bis in die Spitzen seiner Subsysteme hinein (das betrifft Klassen, Kollegium, Elterngremien, Gruppen, einzelne Personen, nicht zu unterschätzen: Familien), in denen unterschiedliche Interaktionen und Reaktionen stattfinden, die nicht selten bis zur Überforderung (zu Psychosomatik, Burn-out, Familienkonflikten) reichen und in der