Annette Just

Systemische Schulsozialarbeit


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Ein Teilbereich der Sozialen Arbeit ist die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII). Je nach kommunaler Struktur und Organisation ist die Schulsozialarbeit diesem Ressort zuzuordnen. Eine eindeutige gesetzliche Grundlage besteht nicht, wohl aber ein intensives Bemühen darum. Zu den neuesten Entwicklungen der Schulsozialarbeit als Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule wie auch zu kontroversen fachlichen und politischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte auf der Suche nach Eindeutigkeit liegt eine ausführliche Fachliteratur vor (z. B. Speck 2006; Spies u. Pötter 2011; Just 2016a, b, c). Folgt man den Kinder- und Jugendberichten der Bundesrepublik Deutschland von 1961 bis 2013 (Just 2016b), etabliert die Schulsozialarbeit sich zwar zunehmend als ein neues Arbeitsfeld der Jugendhilfe, jedoch benötigt sie nach Ansicht des 14. Kinder- und Jugendberichtes (Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend 2013) ein fachliches Profil mit einem eigenständigen Angebot der individuellen Hilfe mit dem Schwerpunkt »Beratung«. Dazu soll dieses Buch beitragen.

       Was Schulsozialarbeit ist und was sie kann

      Schulsozialarbeit richtet sich an der Sozialen Arbeit aus. Hier sind ihre Handlungsoptionen, und hier ist sie zu Hause. Nun liegt dem bereits eine kleine Erschwernis zugrunde. Geht man von Methoden der Sozialen Arbeit aus, werden in erster Linie soziale Einzelfallhilfe, Gruppen- und Gemeinwesenarbeit, im erweiterten Fokus multiperspektivische Fallarbeit, Case-Management, auch klientenzentrierte Gesprächsführung, systemische Beratung, sozialpädagogische Begleitung, Familientherapie, Prävention, Jugendhilfeplanung oder soziale Netzwerkarbeit als Methoden der Sozialen Arbeit genannt. Geht man von den Zielgruppen der Sozialen Arbeit aus, wird sie meist mit Menschen beschrieben, die auf Unterstützung angewiesen sind und in der Fachliteratur nicht selten als »hilfebedürftig« gelten. Die gesellschaftliche Funktion der Sozialen Arbeit ist der sozialen Gerechtigkeit verbunden. In ihren Einrichtungen und Diensten zeigt sich jedoch eine enge Verkopplung von Hilfen, Sanktionen und Kontrollen in einer Wechselwirkung der Gewährung oder Ablehnung von Hilfen und finanziellen Zuwendungen.

      Schulsozialarbeit, ebenso (oder auch) bezeichnet als Soziale Arbeit in Schulen, ist anders aufgestellt. Ihre Zielgruppe ist begrenzt und nicht allgemein als »hilfebedürftig« einzuordnen. In der Schule geht es um schulische Beteiligte. Gemeint sind alle Schüler, Lehrer und Eltern in allen Schulformen mit individuellen Belangen aller Art aufgrund von (lang- oder kurzfristigen) Belastungs- und Problemsituationen. Die Kernaufgabe der Schulsozialarbeit besteht in der Beratung für Schüler, Lehrer und Eltern. Eine Beratungsmethode in der Sozialen Arbeit ist jedoch nicht vorhanden, sodass Beratung mithilfe von Methoden aus Teilen unterschiedlicher Therapieschulen pragmatisch angewandt wird (Weinberger 1994; Nußbeck 2006).

      Schauen wir uns zum Einstieg in die Schulsozialarbeit zwei Beispiele an.

      Der Schulsozialarbeiter Peter S. (38), früher im Altenpflegebereich tätig, arbeitet seit drei Jahren mit einer halben Stelle in der Schule. Er weiß, dass Lehrer es mitunter nicht leicht haben. Das ist nicht nur in der Literatur so beschrieben, er erlebt es auch. Aber was sollte er dagegen tun? Beratung ist anstrengend, wie er sagt, wenn zum Beispiel Familien eine jahrelange Streitkultur pflegen, die bei ihren Kindern in der Schule dazu führt, dass sie nicht miteinander sprechen »dürfen« und ein Konfliktpotenzial entsteht, das Lernen nicht mehr möglich macht. Aber was soll er tun, wenn Lehrer an ihn herantreten und untragbare Situationen in ihrer Klasse schildern? Übt er nicht selbst einen Spagat zwischen zwei Systemen aus, die unterschiedlicher nicht sein könnten? Ist er nicht selbst in einem System verankert, das zu Unklarheit neigt und eine gewisse Intransparenz, ja bisweilen sogar Willkür zeigt? Würde man ihn fragen, was er aus welchen Gründen wann wie wozu in der Schule genau tut, würde ihm die Antwort schwerfallen, sagt er. Wie soll er seine Rolle eindeutig vertreten, wenn er selbst seinen Auftrag nicht konkret bezeichnen kann und ihm die Möglichkeit, sich an eine professionelle Dienst- und Fachaufsicht zu wenden, nicht gegeben ist? Sein Arbeitgeber sei der Schulleiter, und nicht selten übernehme er als Schulsozialarbeiter die Hausaufgaben- oder Über-Mittag-Betreuung. Er wurschtele so vor sich hin, aus dem Bauch heraus, sagt er.

      Maria K. (25) hat vor drei Monaten ihr Studium der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule beendet und eine Stelle (30 Stunden) als Schulsozialarbeiterin angetreten. Bis heute besteht ihre Hauptaufgabe darin, sich bei den Schülerinnen und Schülern vorzustellen und insbesondere bezugs- und leistungsberechtigte Eltern über das »Bildungs- und Teilhabepaket« (BuT) zu informieren. Der Schulsozialarbeitsauftrag ihres Arbeitgebers (das ist der Jugendhilfeträger für Stadtteilentwicklung) heißt »Inklusion in der Schule«. Der Inklusionsauftrag sei umfangreich, sagt Maria K. Ihre Aufgabe sei die Beratung für Schüler in schwierigen Situationen mit dem Zweck, sie in ihrer individuellen, sozialen und schulischen Entwicklung zu fördern. Ebenso beinhalte ihr Auftrag die Beratung für Eltern und Lehrer im Rahmen von Erziehungsfragen und einer guten Zusammenarbeit, und schließlich koordiniere sie die Verfahrensabwicklung nach dem BuT. Ihr Auftrag sei so formuliert, dass sie selbstständig arbeiten und ein »eigenes« Konzept erstellen könne. Die Frage nach dem fachlichen Konzepthintergrund beantwortet Maria mit »Beratung für Schüler, Lehrer und Eltern«. Nutzbringend für sie seien regelmäßige Treffen mit Schulsozialarbeitern aus anderen Schulen zum Austausch auf kommunaler Ebene (Schulamt). Vom Lehrerkollegium werde sie sehr geschätzt, und häufig werde bei ihr wegen Konflikten unter Schülern angefragt. Als ebenso förderlich erlebe sie die Zusammenarbeit mit den Inklusionsbeauftragten seitens der Kommune, die für bestimmte Schüler einige Stunden vor Ort tätig seien, sowie mit den Sonderpädagogen, die durch eine individuelle Förderung den Lernerfolg einzelner Schüler unterstützen sollen. Insofern sei auch Netzwerkarbeit gegeben, sagt Maria.

      So wie Maria K. und Peter S. arbeiten viele Schulsozialarbeiter. Unterschiedliche Träger der Jugendhilfe, Kommunen und Länder bieten (unterschiedliche) Schulsozialarbeit an. Meist bekleiden Schulleiter die Position der Dienst- und Fachaufsicht, und oftmals haben die Schulen keinen Einfluss darauf, ob, wann und über welchen Zeitraum eine schulsozialpädagogische Stelle eingerichtet wird. Als Folge finden zwischen Schulsozialarbeit (Jugendhilfe[träger]) und Schule (Schulleitung) regelmäßige Kooperationsgespräche über Verlauf, Entwicklung und Zielerreichung für beide Seiten eher weniger statt.

      Auch dort, wo Schulsozialarbeiter unter sich auf gleicher Augenhöhe kooperieren könnten, zeigt sich in der Praxis ein nicht gerade zuversichtliches Stimmungsbild. Schulsozialarbeiter leiden unter der Unsicherheit durch befristete Stellen oder durch die Verteilung von Stunden an mehreren Schulen und beschreiben ihre Tätigkeit als eine Koppelung schulsozialpädagogischer Aufgaben mit der Verwaltungsarbeit des Bildungs- und Teilhabepaketes (BuT). Nicht selten nehme die Verwaltungsarbeit einen größeren Raum ein, so eine Schulsozialarbeiterin an einer Realschule. Sie ist der Ansicht:

      »Ich erachte es als äußerst schwierig, im Schulalltag Fuß zu fassen, da ich nur halbtags arbeite, beide Bereiche bediene und Schulleitungen und Lehrer häufig nicht wissen, was wir genau machen, und Lehrer meist auch nicht nachfragen. Irgendwie bin ich einfach vorhanden mit Bezug zum Lehrerzimmer. Würden Lehrer nachfragen, sich für meine Arbeit interessieren, würde ich sie nur darüber informieren können, dass wir ganzheitlich und ressourcenorientiert im Sinne von Prävention, Beratung und Netzwerkgestaltung arbeiten und uns um Benachteiligte im Rahmen des BuT kümmern.«

      Befragte Schulleiter und Lehrer anerkennen »ihre« Schulsozialarbeit im eigenen Hause grundsätzlich und schätzen sie als sinnvoll ein, weisen aber auf das Erfordernis eines klaren Konzeptes hin, das nicht ausreichend zur Verfügung stehe. Ein Schulleiter (Gymnasium):

      »Ja, wir haben eine Schulsozialarbeiterin. Ich weiß aber nicht, was sie macht, und ich weiß auch nicht, was sie kann, und, ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wozu sie da ist.«

      Eine Lehrerin (Realschule):

      »Ob unsere Schulsozialarbeiterin ein Konzept hat, kann ich nicht sagen, ich glaube, sie kann alles machen, in der Lehrerkonferenz ist ein Konzept auf jeden Fall nicht vorgestellt worden.«

      Ein Lehrer (Sekundarschule):

      »Unser Schulsozialarbeiter ist in gutem Kontakt mit den Schülern […], aber wenn es richtige Probleme gibt, ist dann doch die Schulleitung oder sind die Lehrer gefragt.«

      Eine