Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


Скачать книгу

Wangen und Lippen sei. – Die Gräfin sprang vor den Spiegel und ordnete ihre Halsbinde, sie warf den Überrock weg, und stand in einer kleinen engen Husaren-Jacke da, die sie mit verliebter kindisch-zärtlicher Hast zu verdecken strebte und noch lange mit dem Überrock spielte, ehe er ihr ganz entfiel, und sie in der Nacktheit der enganschließenden Bubenkleidung dastand. Enzio stand von fern, und ein errötendes Erstaunen lief seine vollen Wangen hinauf bis zur Stirne, Massiello neigte sich, andächtig die Hände faltend, und rief halb singend: »O du Adam, Eva und Schlange zugleich!« Der Abt schlug vor, sich auf die Polster um den Tisch niederzulassen, um doch endlich Ruhe und Elegie in die bunte Posse zu bringen. »Ihr werdet sonst nimmermehr bekannt und der schöne Wein verduftet.« Die beiden Mädchen ließen sich auf den Diwan nieder und Romeo, so wollte die Gräfin während ihres Exils ins Männerreich heißen, umschloß mit kecker Umarmung die lachende frischerrötende Jokonde; Robert warf beiden eine Handvoll buntes Zuckerwerk in den Schoß. »Schön,« rief Romeo, »der Einfall ist trefflich, diese ganz gemeinen und wohlbekannten Dinge will ich mir von neuem erklären lassen, doch wer falsch oder langweilig erklärt, hört es Unsterbliche! der verfällt in Strafe. Da, was ist das?« Sie hielt ein Zettelchen empor, auf dem ein Pärchen gemalt war, welches sich vor dem Priester die Hände gab. Der Abt ergriff es und rief: »O, das sind Eheleute!« »Was sind aber Eheleute, törichter Vater!« riefen beide Mädchen. »Ach,« sagte der Abt, »es sind zwei Geschöpfe, denen in Gasthäusern immer nur Ein Bett angewiesen wird, die gemeinschaftlich eine Quarantäne der Treue aushalten müssen, und die alle Dinge mit einander teilen, ausgenommen das Herz und den – Sarg.« »Gut, trefflich!« rief Romeo, »Ihr fallt nie aus Eurer Rolle, teurer Vater. Was ist dies?« fragte sie weiter Eduarden, indem sie aus Jokondens Schoß einen Zettel aushob, der mit zwei umgestürzten Altären die Unterschrift verband »Unglückliche.« »Unglückliche,« rief Eduard stockend, und warf einen glühenden Blick auf das reizende Knabenmädchen, »Unglückliche sind solche, die, wenn man ihnen Mandeln anbietet, immer die bittern herausfinden, denen das Butterbrot stets auf die rechte Seite fällt und die, wenn sie einmal an ihren Tränen ersticken, auf dem Kirchhof im ärmlichsten, dunkelsten Winkel begraben werden.« »O schön,« triumphierten Robert und Massiello, »das war in unserem Styl gesprochen.« »Nur still, die Reibe kommt an Eure Hoheit,« lachte Romeo und wühlte unter dem Tuche, sie zog eine Rose hervor und hielt sie dem Komponisten hin. Er erschrak: »Erbarmen! was läßt sich Neues hier sagen!« Dann zuckte aber ein schwindender Glanz über sein Antlitz und er lispelte vor sich hin: »Rosen sind Blumen mit sechs Staubfäden, die schönsten findet man auf Wangen von Mädchen, die zum erstenmal gestehen, daß sie aus einfachen Blumen gern in doppelte oder gefüllte verwandelt sein möchten.« Eine Stille herrschte, alle Wangen erröteten, ausgenommen die Enzios und des Abts, erstere, weil sie noch zu jung und zart, letztere, weil sie schon zu gelb und dickhäutig geworden. Die Gräfin warf die Blume fast zürnend dem Musiker hin, und glitt schnell zu einer neuen Frage; sie wandte sich an Robert, doch der entriß ihr mit einer geschickten Wendung das Tuch mit den Devisen, und streute sie bunt auf den Tisch aus; als Romeo zürnte, küßte er ihr mit leidenschaftlichem Entzücken die Hand. »Sie eingehen uns nicht,« rief Jokonde dazwischen, »Massiello und Robert sind in Strafe verfallen, ersterer, weil er zu viel, letzterer, weil er zu wenig gesagt, beide müssen uns etwas erzählen oder dichten, oder beides zusammen, wie Ihr wollt.« Sie war aufgesprungen und Enzio brachte ihr ein Glas Wasser, sie standen im Augenblick nebeneinander. »Himmel!« rief Massiello, »welch ein himmlisches Ebenmaß bei beiden und doch welche Verschiedenheit. – Stehen Sie, gräfliches Mädchen, und Du Enzio, halte Dich gerade neben ihr, nicht auf die Zehe erhoben, den Kopf in die Höh! – knöpfe deine Jacke fester, wahrlich, Ihr könntet Brüder sein, oder Schwestern, so lieblich variiert die Natur in den lüsternsten, süßesten Linien dasselbe Thema, nur das kernige Dur der Rückenlinie bei ihm gegen den Moll-Wellenschlag der reizendsten Form dort, dennoch aber beide ineinanderspielend, weiblich sehnsüchtig bei dem Buben, knabenhaft trotzig bei ihr. Sein großes blaues Auge sucht durch den Nebel das Rätsel der Form zu ergründen, es ahnet Geheimnis auf Geheimnis und schrickt immer wieder zurück, sie zu enthüllen, indes die jungfräuliche Psyche den blinden tappenden Amor gern mit einemmal ans Ziel führen möchte, um sich mit einem Triumphlächeln an seinem Entzücken zu laben.« Enzio errötete und richtete seinen Blick verstohlen aber mit Glut auf Romeo, als ihm dieser die Hand reichte, drückte er seine Wangen so heftig darauf, daß die blonden glänzenden Locken über sein Antlitz niederstürzten und es einhüllten. Als er wieder aufblickte, füllten Tränen sein Auge; Massiello schloß ihn in seine Arme und wünschte dem Gesunden heimlich Glück zu seinem aufdämmernden Liebesmorgen. Robert und Jokonde winkten und riefen schon lange, der erstere wollte etwas erzählen und hub jetzt an:

      »Ich wohnte in Rom in einer Villa bei einem ehrlichen Pächter aus der Campagna. Der Sommer war heiß, doch vor meinem Fenster, das ein dichtes Laubgewebe umspann, und wo mein Arbeitstisch stand, war es kühl, und wenn ich dichtete, pflegten die Blumen stärker zu duften. Meine Stube war klein; ein Bett, ein Tisch, auf dem ein Kruzifix stand, und eine Kopie der Schule von Athen an der Wand – dies war alles; über der Türe hing meine Flinte und auf einem Schränkchen stand eine Bronze-Büste Byrons. Mein Wirth war aus Albano und seine Tochter Lucia in der Tat ein schönes Mädchen; ihr Antlitz, ihr Hals umspann jenes süße geheimnisvolle Blaß-gelb das die italienischen Mädchen der Nacht ähnlicher macht als dem Tage, nur ihre Lippen waren vom lebhaftesten Roth; die Augen schwarz, die Wimper lang. Die Haare trug sie mit einem Knoten hinaufgezogen, so daß der Kontur des kleinen Ohres sich klar darstellte. Nie sah ich sie lächeln, wenig sprechen, ihr Gang war langsam aber fest, männlich fest. Sie kam öfters in meine Stube, und wir redeten mit einander von den Heiligen und Märtyrern, als ich aber einmal von Liebe sprach, und ihre runde Schulter küßte, blieb sie weg, und schickte ihren kleinen Bruder, wenn ich etwas nötig hatte. Wo ist Lucia, fragte ich diesen eines Morgens, warum kommt sie nicht? hat der Vater es ihr verboten? Nein, sagte Matteo, der Vater verbietet der Lucia nichts. – Warum kommt sie nicht? – Weiß nicht, Signor. – Liebt deine Schwester? – Ja, mich und den Vater. – Sonst Niemand? – Und die Heiligen. – Sonst Keinen? – Nein! – Hat sie einen Bräutigam? Matteo sah mich mit großen offnen Augen an und sagte: Ich glaube es nicht, die heilige Mutter zu St. Marco weiß am besten, wenn die Mädchen sich einen Buben ins Herz schließen; Lucia ist noch nie in St. Marco gewesen. – Er ging und ließ mich allein. Ein Unmut befiel mein Herz, ich war zu stolz, um mir zu gestehen, daß ich Lucia liebe, und doch kränkte mich ihre übermütige Kälte; ich suchte sie 'zu vergessen, allein in meinen Liedern lebte das braune, wunderliche Mädchen wieder auf. Freunde aus Rom kamen, ich gab mich ihnen hin, sie sollten mich zerstreuen; doch auch sie sprachen von Lucia und ihrer Schönheit. Jetzt schloß ich mich ein und wählte die Sehnsucht zu meiner Gesellschafterin. Schlaflos brachte ich die kurzen italienischen Nächte auf dem Lager zu; ach! es stieß dicht an Lucias Bette, nur durch eine Wand geschieden. Ich schrieb Briefe, schenkte Heiligenbilder und gab Matteo mündliche Aufträge, die er richtig besorgte; Lucia nahm nichts, beantwortete nichts, sie tat, als wenn ich nicht auf der Welt wäre. Ich durchlief alle Künste der wagenden Liebespolitik, ich erprobte sie alle, und sah jeden Pfeil abgleiten, machtlos zu Boden sinken. Wahrlich, Lucia ist kein Mädchen, hinter diesen braungelben Wangen fließt kein Blut! sie ist dem Belvedere entsprungen, ein kalter, griechischer, marmorner Traum, eine lebendig gewordene Demeter, die ihre herbe Keuschheit unter den üppigen Leib einer achtzehnjährigen Albaneserin verbirgt. – Auf seiner Wanderung ins Gebirgskloster von St. Geovanni pflegte ein korpulenter Barfüßler mich zu besuchen, ein Falstaf unter den Mönchen, eine Figur voll Wunderlaune und behaglicher Unwissenheit. An seinem stämmigen roten Halse hing ein grotesker Rosenkranz und an diesem zahllose Bündelchen, Abbildungen heiliger Leute und ihrer Geschichten. Fra Bartholo handelte mit diesen und hatte mir mit heiserer, erstickter Stimme alle jene schaurigen Legenden erzählt, welche Lucia aus meinem Munde wieder erfuhr. Jetzt kam er, ließ sich keuchend nieder und auf seine Fragen mußte ich ihm nun begreiflich machen, daß ich verliebt sei. Er sah mich an, zog ein sehr ernstes Gesicht, brachte die Augenbraunen dem struppigen Haarkranze fast nahe, schlüpfte mit dem Kinn in die Kutte hinein, hob sich dann langsam und gravitätisch, so weit es der rote dicke Hals erlaubte, und sagte – nichts. Wir saßen lange Zeit stumm bei einander und tranken eine Flasche Orvieto leer, dann ging er ins Gebirge, indem er versprach, nach zwei Tagen wieder zu kommen, um mir seinen Rath zu erteilen. Er kam auch wirklich und sein Rath war eben so neu als seltsam. Don Roberto, sagte er, geht auf euer Lager, stellt euch an, als wäret