Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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auch täglich kränker und gibt in matter Leutseligkeit alles zu, was man von ihr verlangt. Ja, es ist Zeit, Freunde, es ist Zeit, Madame, daß wir endlich alle schlafen gehen. Gute Nacht!«

      Die Gestalt stieg jetzt vom Stuhl und wollte entschlüpfen, doch sie wurde im Triumph wieder eingeholt. Man hatte Massiello erkannt, und als er jetzt seine seltsame Kleidung näher vorwies, lachte alles, der Herzog am meisten. Die gute Stimmung schien vollkommen wieder hergestellt. Jokonde allein hatte sich im Sessel zurückgelehnt und spielte mit ihren Locken, sie mochte nicht mitlachen, weil sie nicht begriff, worin der Scherz bei der sonderbaren Rede lag, doch war sie am tollen Massiello dergleichen gewöhnt. Sie wußte, daß der Herzog ihn liebte und nicht ohne seinen Humor, wie er es nannte, leben konnte. Die Klostergeschichte des Grafen, sagte der Fürst, läßt noch immer ihre Bitterkeit spüren, da müssen wir schon zu der Musik unsre Zuflucht nehmen, um durchaus jede Spur zu vertilgen. Jokonde und der Abt traten ans Pianoforte und Massiello, der in den Notenblätter wühlte, rief: »Wenn wir Deutschen nur nicht alle Dinge so ernsthaft nähmen; so besitzen wir auch keine durchaus fröhliche Musik. Wir kennen die kleinen seltsamen Geschöpfe, wie sie da aufs Blatt gezeichnet sind, noch lange nicht von ihrer schalkhaften Seite; wie es uns an einer Musik fehlt, die den geistreichen Konversationston nachahmt, so ist uns auch jene fremd, welche im bacchantischen Strudel das ganze Füllhorn des Momus umstürzt und auf der Tonleiter bis in die schallenden possenhaften Laute hinauffliegt. Ich wollte einmal alle Torheiten der Jugend in einem wunderlichen Liede zusammenfassen, es müßte ein höchst ergötzliches Lied werden; die Musik dazu wäre ein anhaltendes ausgelassenes Gelächter. Ich glaube, damit könnte ich alle Greise und alte Mütterchen wieder jung machen.« – »›Ein sonderbarer Gedanke,‹ rief der Herzog, doch nicht ganz ohne Wahrheit; warum bewegt uns ein herzlich Lachender immerdar zum Mitlachen, wenn wir auch die Ursache des Gelächters nicht kennen, offenbar ist es der Zauber jener hüpfenden, rollenden, schrillenden breitzerplatzenden Töne, die so mächtig auf uns wirken. Unsere Musik entfernt sich zu sehr von der Natur, sie sollte mehr Naturlaute in sich aufnehmen, und weniger Regel und Kombination.« –

      Robert, Massiello und Eduard entfernten sich, um eine Gesellschaft von Freunden zu besuchen, die in zwangloser Laune in einem bekannten Weinhause zusammen zu kommen pflegten. Jokonde und der Abt hatten vor den Notenblättern Platz genommen; nebenbei lag der Herzog im Armsessel, und spiele mit den Ohren des kleinen Bolognesers. Die Musik hub im weichesten Moll an, die Töne gingen wie fromme Einsiedler ins Gebirge, dann rauschte und lärmte es, wilde Gebirgswasser stürzten in den Weg, plötzlich tönte das laute Gespräch der Einsiedler dazwischen, die sich eine alte verblichene, aber großartige Sage erzählten, alles war dunkel und trübe, endlich zerriß der Wolkenflor, lachende Passagen zogen in die Höhe und ganz oben im Diskant erklang eine alberne Posse und frische Mädchenkörper schüttelten sich im anmutig kichernden Gelächter dabei; plötzlich trat im Baß ein alter wahnsinniger König auf und warf ganze Händevoll schwarzer Tulpen und glühender Feuerlilien in den Kreis der Mädchen; sie flohen erschreckt auseinander, und der alte Wahnsinnige begann, mit Krone und Zepter geziert, einen unheimlich wankenden Tanz in den tiefsten Tönen, so daß sich der wehende traumartige Mantel Mal auf Mal in die benachbarten Gebüsche verfing. Allen wandelte ein Schauer und Entsetzen an und es war gut, daß der Abt die Sprünge des Alten schnell mit einem hellen Lichtakkord abschnitt, der plötzlich ernst lieblich in einen vollen, mit andächtigen Menschen und singenden Priestern angefüllten Morgengottesdienst im Schiffe einer kühnen gotischen Kathedrale fiel und das Allerheiligste drinnen sanft beleuchtete. Nun war alles Friede und hohe Duldung, sanfter Ernst und heilige Bedeutsamkeit. Die tiefen Brustseufzer der Orgel hörte man nur die menschliche Sünde tönen, Engel wehten mit azurnen Fittichen kühle Frühlingsluft der Vergebung, der Buße herab, in den Beichtstühlen lagen auf den rotsamtenen Kissen schöner Mädchenlippen kostbare Festungsschlüssel, die die festesten Plätze dem Himmel offen gaben.

      Der Herzog lächelte bei dieser Stelle sanft in sich hinein, er legte sich über, als zöge er mit dem Munde die Töne in sich und seine Lippen samt dem warmen wehenden Atem drängten sich an Jokondens Wange, die davon befangen wurde und stockte. Als sich Jokonde zum Kuß neigte, warf sich der Herzog lachend zurück, und das gekränkte Mädchen spielte mit zwei brennenden Zorn- und Schamröten weiter, indem ihre Hände wie in geknickten Blumen wühlten. –

      Die Freunde hatten sich beim alten Fleakwouth versammelt, um in später Nacht zu helfen und zu ratschlagen, denn der Alte war durch die halbgelungene Ausführung eines seltsamen Versuches dem Tode nahe gebracht worden. Massiello, der gekommen war, ihn zu besuchen, hatte ihn in seinem Armstuhl ohnmächtig, und mit Blut bespritzt gefunden, in der herabgesunkenen Rechten ein Pistol eingeklemmt. Die alte Haushälterin war, durch einen Schuß herbeigerufen, erschreckt ins Zimmer gestürzt, wo sie dann vor einer halben Stunde schon den Herrn in dem bedaurungswerten Zustand entdeckte. Ein Arzt, den die Freunde herbeigerufen, erklärte jedoch die starke Verwundung am Haupte nicht für tödlich; es wurden sogleich Umschläge besorgt, Arzneimittel eingerührt, und als der Kranke mit den Zeichen eines dumpfen Bewußtseins das Auge öffnete, ward er aufs Bett gebracht und der Ruhe überlassen, indes der Doktor und die Freunde sich in das abgeschlossene Seitenzimmer begaben, um über den wunderlichen Vorfall sich zu verständigen.

      »Ich kenne den alten, halb wahnsinnigen Freund,« sagte der Doktor, »so viel derlei finstere Charaktere sich erkennen und durchschauen lassen, und so habe ich schon lange eine Ahnung gehegt, er werde sein Leben nicht auf dem natürlichen Wege beschließen. Besonders hat mir das Pistolenstückchen, wie er es zu nennen pflegte, immer, wenn er davon sprach, Grausen und Entsetzen eingejagt. Es liegt in dem Gedanken etwas ganz Fürchterliches, den letzten Lebensreiz noch in einem Spiel mit dem Tode zu finden.«

      »Wie meinen Sie das?« fragte Eduard, »was ist es mit jenem Pistolenstückchen?«

      Der Arzt fuhr in seiner Rede fort. »In einer zwanzigjährigen Bekanntschaft bin ich oft Zeuge der finstersten und drohendsten Anfälle der Melancholie des Alten gewesen. So traf ich ihn eines Abends allein im Gemach, eine kleine Lampe brannte vor ihm, sein bleiches Haupt war auf beide Arme gestützt, und den vor ihm liegenden Raum des Tisches nahm eine Pistole ein, die er mit weitgeöffneten, starren Augen betrachtete. Er bemerkte mein Eintreten nicht, obgleich die Flamme des Lämpchens im Zuge der geöffneten Türe aufloderte, und mein Schattenbild riesiggroß an der gegenüberstehenden Wand hinauffuhr.« Als ich nun dicht hinter ihm stand, vernahm ich mit Entsetzen, wie er folgende Worte leise, doch deutlich vor sich hinsprach: »Die Ladung ist drin, aber auf der Pfanne kein Pulver, – richte ich nun den Lauf gegen meine Stirne und drücke los, so erfolgt wohl kein Schuß – doch – es kann sich ja fügen – ein Körnchen von der schwarzen gräßlichen Masse blieb irgendwo in einem Ritzchen des Schlosses hängen, es springt ein Funke hinzu – die Ladung entzündet sich und – – – O wie süß und lieblich – wahrlich, den Witz muß ich loben! Welch ein Kitzel von Wollust liegt in der kurzen unbedeutenden Frage: Wird es zünden, wird's nicht? Wie süß und zärtlich umarmt sich Tod und Leben in dem kurzen, flüchtigen Zeitpunkt einer Sekunde. O der herrlichen Spannung, des markdurchrieselnden Schauers. Der gekrümmte Finger klopft an die Pforten der Ewigkeit und horcht, ob ein ›Herein!‹ ertöne oder nicht.«

      »Wahrhaft gräßlich!« rief Robert und rieb sich die Hände, »ich hätte den Alten doch nicht für so originell gehalten.« Eduard fühlte diese Worte wie einen Stich in seine warme Brust; es stöhnte im Nebenzimmer und die Freunde stürzten hin. Der Alte war erwacht und hatte sich vollkommen auf seinem Lager angerichtet. Als er die bekannten Gesichter gemustert hatte, sagte er verdrüßlich: »Also noch immer die alte Ware, nichts Neues, nichts Besseres – und da hat man mir etwas um den Kopf gebunden, einen neuen Reif um das alte baufällige Fass. Gebt Acht, Freunde, der Wein, der drinnen gärt, ist so böser Natur, daß er die morsche Tonne wohl noch einmal ganz zersprengen wird.« – Massiello trat dem angeschossenen Silberhaupte nahe, schob die greisen ehrwürdigen Locken vom Ohr und rief leise hinein: »Das war Selbstmord, was Ihr versucht habt, Alter, schämt Euch!« »Warum,« war die Antwort, »ein Jeglicher hat sein Steckenpferd, ich zum Beispiel liebe nun den Selbstmord.« »Alter, Alter,« rief Robert, »wenn Du gesund wirst, so geh in die Kirche, da wird man Dir gute Sitten lehren.« – »Kirche?« entgegnete der Greis, und sein zahnloser Mund lachte, »was ist das? Trifft man da lustige Gesellen, gute Unterhaltung? Fast muß ich's glauben, Söhnchen, da Du es mir anrätst. Ja, ja Freundchen, laß uns einmal