Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


Скачать книгу

einige alte wunderliche Gedanken haben schon etwas reden hören vom Einsturz des Leibes und wollen nur gradeswegs in die Unsterblichkeit schlüpfen! Zu früh, zu früh! – binden Sie wieder fester, liebster Doktor, lassen Sie durchaus nichts von meiner Persönlichkeit eschappieren.« – Robert hatte sich auf das Bett gesetzt und sah mit seinen großen schönen Augen dem Alten ins Gesicht. »Ich könnte,« sagte dieser, »jetzt als ein Sterbender, denn hoffentlich bin ich doch ein solcher, recht viele schöne Worte zu Euch, Freunde, sprechen, ja es wäre gar nicht unmöglich, daß ich sogar rührend würde und Euren ganz unwürdigen Wandel zu etwas recht Würdigem umkehrte, doch ich weiß schon, Du, Robert, denkst nun schon daran, wie sich meine beschädigte Person in einem Trauerspiel ausnehmen würde; Ihr Poeten liebt die Sünde und ohne sie könntet Ihr nichts machen; das allereinfachste Schüsselchen würde unschmackhaft werden; wenn der spanische Pfeffer der Hölle fehlte, suche nur von Zeit zu Zeit etwas weniger zu spielen, etwas schwächeren Punsch zu trinken, etwas weniger Leute um ihren ehrlichen Namen zu bringen, und jährlich ein hundert Mädchen weniger zu verführen, so wächst Dir allmählich etwas Christentum an. Es kann nicht schaden, ich habe es mit allen Dingen im Leben versucht, und alle haben, so lang sie neu sind, etwas Ergötzliches – doch, Freunde, das größte Elend, der entsetzlichste Jammer, dem Ihr nicht entgeht mit allen Grübeleien des Verstandes – das ist die Notwendigkeit, alle Morgen euren Rock anzuziehen, alle Abend ihn abzustreifen. O fürchterliches Elend, Marter über Marter!« – Er sank in seine Kissen zurück und seine Lippen wurden bleich. – »O Himmel,« stammelte er, »welche Seligkeit, da meldet sich etwas bei meiner Seele, ein Gefühl, das mir ganz neu ist, ich sage Euch, ganz neu. Etwas so Kaltes, Lachendes, Spitzes! Sollte es vielleicht der Tod sein? – Nein, o nein, doch nicht, es ist ein altes bekanntes Etwas, ich glaube, es ist die Reue, doch freilich tritt sie diesmal besonders kräftig auf; nun immerhin, ich werde mich auch von ihr etwas durchkitzeln lassen.« – Der Arzt trat jetzt ans Lager und verbat das weitere Sprechen, die Freunde entfernten sich still ins Nebenzimmer, und der Alte blieb allein, indem man ihn von Zeit zu Zeit murmeln und lachen hörte.

      Massiello warf sich weinend an Eduards Brust: »Laß uns umkehren, schöner, reicher Knabe,« rief er, »umkehren zu der einfachen, hölzernen, läppischen Jugend. O, über das Gift der heutigen Poesie und aller Poesie! Der Alte hat Recht. Ein Menschenkind, das seinen Gott liebt, das einen Kalender hat, wo der Mond und die Sonne rot gemalt drin stehen, und ein Weib, das nach diesem Kalender sieht, wenn Butter geschlagen und Leinwand gebleicht werden soll, ist solch ein Kind nicht glücklich?« Er trat an das Fenster und sang in die Nacht hinaus. Die Turmuhr schlug drei Uhr Morgens. Der Abt hatte sich davongemacht, um den Morgenschlummer, so wie den Morgenkaffee nicht zu versäumen. Robert sprach finster vor sich hin: »Der arme Fürst, seine Lage ist wahrhaft schrecklich; er liebt seine Braut nicht, kann sie nicht lieben und sieht nun ihrer Ankunft und der Verbindung, die ihn ewig in Fesseln schlagen soll, stündlich entgegen. Sein Herz, mit allen Genüssen schon frühe überhäuft, fühlt eine kalte Leere, die Flamme der Sinnlichkeit befriedigt und erwärmt es nicht, und diese Jokonde, Himmel! diese duftlose, schöne Tulpe, kann sie geben, was sie nicht hat? – Er sucht einen Freund und geht herum, mit bebendem Finger an jede Brust klopfend, die ihm verwandt scheint, und auch hier findet er nicht, was er sucht. Mit einem gewissen koketten Stolz will er bei mir durchdringen, und weiß doch, daß jede Pretension mich unleidlich bindet und zwingt – da zürnt er, da verzweifelt er und sinkt kraftlos in sich selbst zusammen; doch so geht's dem Geiste, der sich nicht selbst zu genügen weiß.« – Eduard fühlte sich so bitter gestimmt, daß er hierauf nichts erwidern wollte und konnte; er entfernte sich, als er hörte, daß der Kranke in einen ruhigen Schlaf verfallen sei, und schlich am Hause Emiliens vorbei, ohne zu ihren Fenstern aufzublicken.

      Der Herzog hatte mehrere Gäste zu seiner schönen Jokonde geladen. Baumeister, Tapezierer und Maler waren in der Stille versammelt gewesen, um das kleine Fischerhäuschen in der einsamen Gasse mit einem neuen versteckten Anbau zu versehen, der der Bewohnerin verborgen blieb, so sehr die Neugierde das schöne Mädchen plagte, zu erfahren, was im Werke sei. Robert, Massiello, Eduard und der Herzog hatten gedichtet, komponiert, gemalt und Pläne entworfen zu dem Feste, dessen eigentlicher Grund ein Erröten auf Jokondens Wangen lockte, denn es galt den Jahrestag oder eigentlich die Jahresnacht zu feiern, wo der Herzog das schöne Kind von der Hand der Verschwiegenheit und Liebe sich antrauen ließ. Er war damals als ein junger, unbedeutender Mensch ins Haus ihrer Eltern getreten, ermüdet durch eine Fußreise in die Alpen und fast bis zum Tode ermattet, dazu ohne Geld und mit einem angenommenen Bauernnamen, so daß Jokonde dem armen Burschen seiner schönen Augen wegen einen, dem Vater abgezwungenen Kronendtaler ins Ränzchen steckte und ihn heimlich fragte: Wie heißt Er denn, mein Freund? Da hatte der Fürst sich lächelnd umgewendet und im Styl eines altgriechischen Göttermythos höchst pathetisch gerufen: Lothar, Erbprinz von –. Den Kronendtaler hatte das hübsche Mädchen bald wieder, und die Reise des armen Burschen in das Gebirge war für sie eine Reise aufs Gebirge der Hoheit und des Erdenglücks geworden. Als der Herzog sich jene ersten Liebesmomente vergegenwärtigte, sah er seine Jokonde mit einem so innigen Blick an, daß diese vor der Fülle von Seele erschrak, die in einer Männerbrust liegen kann; sie konnte nichts dagegen geben, als die gewöhnliche Dekoration – Sonnenschein, blauer Himmel, Lächeln, rechts im Vorgrunde ein Grübchen; der Souffleur ihres kleinen Herzchens lispelte die alten verbrauchten Worte hinauf. Der Herzog führte seine geputzte Schöne durch den Kreis der Gäste in jene bis jetzt verschlossenen Gemächer. Strahlende Helle goß aus bunten Kristalltulpen und weißen Lilien ihr Feuermeer in ein zierliches Zelt, das von der Liebesgöttin geordnet und hier und da mit einzelnen goldenen Pfeilen festgesteckt war. Es zeigte sich eine kleine Bühne und vor derselben saß Massiello mit zwei Musikern und blies eine sonderbare Musik ab deren Komposition Lachen erregte, aber zugleich auch Verdruß und Ärger. Jokonde freute sich kindisch, sie war über alle Beschreibung reizend: ein Brautkleid von weißer Seide umspannte den süßen Leib, goldene Schnüre hielten unten einige volle Myrthenbouquets gefesselt, in ihren gelben weichen Locken lag ein Kranz, dessen klares Diamantenband auf der hohen weißen Stirne festschloß. Sie blickte nun nach Robert, doch er war nicht da, indem endigte die Musik, und Massiello stieg mit einem langen Schritt auf die Bühne hinauf, deren Vorhang sich gehoben hatte.

      Man erblickte eine zauberhelle, prächtige Blumenlaube, wie sie so seltsam und herrlich nur aus der Phantasie aufblühen mag. Aus dem Boden empor flammten dunkle Feuerlilien in dichter Üppigkeit und bildeten gleichsam den Grund, hochgefärbte Rosenkelche schlossen sich an sie, und immer heller und geläuterter erschien die Glut, bis sie in stets blasser werdende Rosen, und endlich in weiße Zentifolien endete, deren letzte Sprosse hinauf silberhelle Sternblumen und weiße Frühlingsglocken bildeten. Ein mächtiges Blumenaroma überströmte das Gemach beim Aufrollen des Vorhangs. Die Landschaft hinter der Laube zeigte ferne Bläue, eine einsame Pinie stützte sich, wie in Gedanken verloren, auf die Schultern einer breiten Eiche, ein Paradiesvogel zog schweren, langsamen Flugs fern und immer ferner in die Landschaft hinein. Jetzt flog ein schöner, geflügelter Knabe auf die Bühne, er trug eine Lyra im Arm, und senkte sich wie im jauchzenden Entzücken der Jugend tief in die roten Blumen und schwankenden Rosenkelche hinein; dann begann er ein wunderlich feuriges Lied, das eine abenteuerliche, aber liebliche Sage behandelte: es war die Geschichte der Liebe. – »Gott liebte einst, liebte menschlich, liebte ein Weib, aber ein Götterweib, wie er ein Gott. Ihr Lächeln schuf den ersten Frühlingskeim und nach ihren Träumen bildete Gott die Blumen; sie aber liebte einen Raum im flutenden Meere der Schöpfung besonders und bat einst den Ewigen: Schaffe mir hierher ein Gestirn und schenke es mir, hier muß es köstlich sein zu wohnen, mild flammt das Licht des nächsten Fixsterns herüber und süß fließt der Strom der Lüfte dahin. Sie hatte den Wunsch kaum ausgesprochen, als in dem Momente die neugeschaffene Erde ihre Bahn dahinrollte – die kleine Erde, und der höchste Geist sprach mit Lächeln: da ist sie! nimm sie, schasse sie zu einem Paradiese um, sie sei dein Brautgeschenk, schalte mit ihr, wie es deiner Laune gefällt. Da sah die Gottgeliebte auf die kleine Erde mit rührender Freundlichkeit nieder, und dachte über Pläne nach, wie sie sie am zierlichsten schmücken solle. Endlich schuf sie ein sonderbares Wesen mit einem Barte, einem krausen Lockenkopf und in der Brust mit einem rotenklopfenden Herzen, und ihm zur Seite, nach ihrem eigenen Bilde, ein süßes kränkliches Püppchen, voll Sehnsucht und Tränen und voll Lächeln und Narrenspossen. Diese Beiden, sagte sie, sollen sich nun gegenseitig freuen und betrüben, beides bis zum Tode; es soll eines die Lippen des andern