Alexander von Ungern-Sternberg

Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien


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durchmachen und kennen!« rief Charlotte lebhaft. »Schon in der Schrift heißt es, der Himmel werde sich mehr freuen über einen bekehrten Sünder als über neunundneunzig bei ihrer Tugend verbliebene Gerechte.«

      »Alsdann habe ich Hoffnung, denn ich bin ein solcher bekehrter Sünder,« rief Georg und versank gleich darauf in trübes Nachdenken.

      »Das ist noch alles zu früh!« rief die Prinzessin. »Ihr werdet noch viel sündigen, und ich werde es auch. Die Sünde will ihr Recht haben.«

      »Gott behüte, mein Fräulein! Was sind das für Grundsätze!«

      Charlotte blickte ihn an und lachte: »Nicht wahr, ich bin ein wahres Teufelskind! Gar nicht auszukommen mit mir! Ganz wild und unbesonnen! Kommt, gebt mir einen Kuß!«

      Sie stiegen eben vom Pferde; Georg näherte sich ihrer Hand, die er eben in der seinigen hielt, er wollte sie küssen, aber sie schlang ihren Arm um seinen Nacken, zog seinen Kopf an sich heran und drückte einen herzhaften Kuß auf seine Lippen. »So!« sagte sie, »das war ein pfälzischer Kuß. So küßt man hierzulande, daß Ihr's nun wißt.«

      Durch des Jünglings Kopf zogen die alten, leichtfertigen Erinnerungen; er wähnte in diesem Augenblick jede Schranke gefallen und glaubte sich einer jener Frauen gegenüber, die er einst so oft in den Straßen von Paris ihm feurige Blicke hatte zusenden sehen. Die Einsamkeit des Waldes, die Stille des Orts machte ihn kühn. Mit einem raschen Griffe hatte er die junge Prinzessin umschlungen und suchte sie zu Boden zu werfen, indem sich seine Lippen ihrem Busen näherten. Allein wie eine Tigerkatze sprang das Mädchen zur Seite, und die fünf Nägel ihrer rechten Hand in die Wange des Jünglings begrabend, rief sie zornsprühend: »Was ist das? Ist Er toll, Freund? Was soll das? Weg mit der Hand, oder es ist Sein letzter Augenblick.«

      Georg wich zurück und sah sie erschrocken an.

      Die Prinzessin stieß ihren Fänger wieder in die Scheide, streifte ihre Kleider wieder in Ordnung und sagte dann, indem das heftige Rot des Zorns von der Wange wieder ablief: »Nun wollen wir die Jagd beginnen! Dort stehen unsere Leute.«

      »Aber, liebste Cousine, Ihr seid mir doch nicht böse!« stammelte Georg, vor ihr auf ein Knie sinkend. »Bedenkt, Ihr habt mich selbst dazu aufgefordert.«

      »Was?« rief sie höhnisch, »ich, aufgefordert? Sinnlos das! Kann man denn nicht einmal einem jungen Burschen einen Kuß in Ehren geben, ohne daß er sogleich darüber zum Narren wird? Geht, geht, Ihr scheint mir ein schönes Jugendleben geführt zu haben! – Herr Graf, dort wartet der Jäger auf Euch!« –

      Georg ging stumm auf seinen Platz. Er konnte sich nicht leugnen, die Jungfrau gefiel ihm; er hätte ums Leben gern seinen kühnen Angriff wiederholt, doch das ging nun und nimmer. Charlotte machte ein ernstes Gesicht die ganze Jagd über, und erst als sie zusammen nach Hause ritten, ließ sie sich von ihm vom Pferde heben und dankte ihm freundlich.

      16.

       Georg reist nach Hannover

       Inhaltsverzeichnis

      Den andern Morgen erschien Meister Toni mit einem Schreiben an seinem Bette. »Kleidet Euch an, junger Herr, wir müssen reisen. Hier ist ein Brief vom Pater Provinzial.«

      »Was will er?«

      »Der Herr Graf oder vielmehr der ehrwürdige Vater begehrt von Euch, daß Ihr nicht hier in Heidelberg sitzenbleibt, er hat Euch Briefe mitgeschickt nach Hannover. Ihr sollt daselbst ihre Liebden, die Frau Kurfürstin Sophie, Eure Tante, begrüßen.«

      »Hat das solche Eile?« fragte Georg unmutig. »Ich möchte vorher gern meine liebe Prinzessin Charlotte auffordern, nochmals mit mir eine Jagd zu versuchen.«

      »Der Befehl des Obern!« entgegnete Master Toni ernst und kurz.

      Georg nahm Abschied von Heidelberg und reiste mit dem Bruder Antonius ab. Vorher hatte er noch eine Unterredung mit Charlotte, der er die Versicherung gab, binnen einem Monat wieder zurückzusein. Die Prinzessin gab ihm Briefe an ihre Tante mit.

      Als er aus dem Burgtor hinausritt, begegnete er dem Doktor Onofrius. Auf seine Grüße dankte jener ernst und feierlich.

      Die Kurfürstin Sophie empfing ihn wie ihren eigenen Sohn. Sie hatte nichts von ihm gehört, seitdem sie von der Mutter Abschied genommen; sie ließ sich alles erzählen, was unterdessen mit ihm sich zugetragen, bei welchem Anlasse der junge Mann Gelegenheit hatte, mit Umsicht und Klugheit seinen Bericht abzustatten. Die Kurfürstin fuhr ihm mit der Hand über die Stirn, glättete sein Haar und sagte mit großer Freundlichkeit: »Das sind seine Augen! O, ich kenne sie. So treu, so lieb und so verschmitzt. Mit solchen Augen hat er mich angesehen, wenn es darauf ankam, mich zur Teilnahme an irgendeiner kleinen Büberei zu bestimmen, die er vorhatte. Ach, Gott habe ihn selig, den armen Herrn!« –

      Georg faltete die Hände und sah sehr andächtig zu diesem Wunsche aus.

      »Hier ist noch ein Andenken, das er mich bat von ihm in Verwahrung zu nehmen, und das ich jetzt dir, seinem Sohn, überreichen will,« hub die gnädige Frau an, indem sie ein kleines Kruzifix von Gold aus einer Schachtel löste, und es an seinem Kettchen dem Grafen hinhielt. »Nimm es, und trage es zum Andenken an deinen Vater, Georg.«

      Der Jüngling küßte die schöne Hand, die es ihm gab, und versprach, es gut zu wahren.

      »Hoffentlich bleibst du nicht beim Orden,« nahm die Dame wieder das Wort. »Für dich ist die Welt! Du mußt Kriegsdienste nehmen und es zu etwas bringen. Mein Mann soll dir Empfehlungen an den kaiserlichen Hof mitgeben.«

      »Fürs erste muß ich warten, was ein edler Freund meines Großvaters, der Graf Udallan, über mich bestimmt,« erwiderte Georg. »Er ist's, dem ich vieles danke; er leitete meine frühe Jugend, und soviel ich weiß, ist er noch jetzt beschäftigt, nachdem er mich ein Jahr unter seinem unmittelbaren Schutz gehabt, für meine Zukunft zu sorgen.«

      »Der Graf Udallan!« rief die Kurfürstin, »lebt er noch? Wo ist er jetzt?«

      »In dem schottischen Gebirge lebt er vor aller Welt versteckt« erwiderte Georg. »Ich soll hier einen Mann aufsuchen, an den er mir Briefe übergeben hat und mit dem er befreundet ist.«

      »Der Herzog von Nassau-Siegen!« erwiderte die Kurfürstin. »Er lebt hier ebenfalls in der strengsten Zurückgezogenheit, in einem Walde bei Herrnhausen. Frage nur nach dem Waldschmied. Dir kann ich das Geheimnis wohl sagen, du bist an ihn gewiesen.«

      »Wie, nicht an Eurem Hofe?«

      »Nein! Er verabscheut alle Höfe,« entgegnete die Kurfürstin, »man muß ihm seinen Willen lassen. Zuweilen, aber auch nur versteckt, verkehren wir mit ihm. Er will den Orden der Templer mit dem Jesuitenorden verbinden, und deshalb führt er eine eifrige Korrespondenz mit dem Grafen Udallan. Beide arbeiten auf einen Zweck los. Die Jesuiten wollen noch nicht; sie halten sich allein für mächtig genug und wollen den alten Prunk der Geheimnisse nicht, mit dem die Templer sich umgeben. Dennoch hofft der Herzog, daß das Projekt zustande kommt.«

      »Ich danke Euch, daß Ihr mich darin einweiht,« rief Georg. »So werde ich ihm Rede stehen können, wenn er mich in seinen und meinen Angelegenheiten fragt.«

      »Du bist klug und erfahren genug, daß du es hören darfst!« sagte die Tante. »Zugleich warne ich dich, lasse dich nicht mit diesen Männern ein, sie wollen dich abziehen von der Welt, wohin du gehörst, und dich irgend in einen dunkeln Winkel stecken, wo deine Jugend und dein Leben zugunsten irgendeines alten chimärischen Planes zugrunde geht. Wenn sie dich zwingen sollten, so sage dich los; ich werde dir zur Seite stehen.«

      Georg dankte für die Güte seiner Tante und entfernte sich, indem er Toni in den Wald bei Herrnhausen folgte. Die Waldschmiede war bald gefunden.

      Sie begrüßten den Schmied, der sich für nichts anderes gab, als was sein Äußeres bekundete, erst als Antonius sich zu erkennen gab und die Briefe vorzeigte, ging des Herzogs Antlitz aus dem Stumpfsinn und der ernsten Begrüßung in das des Entzückens