Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Greise! Komm! Dir darf hinfort nichts Geheimnis bleiben, womit ich mich umgebe.«
Er nahm den Jüngling an die Hand, er führte ihn an eine Treppe, die mehrere Stufen abwärts in einen unterirdischen Saal führte, der nur spärlich erleuchtet war und wo das Auge, wenn es sich an die Dämmerung gewöhnte, Gerät entdeckte, das mit dem Orden der Tempelherren in Verbindung stand. Ein runder Tisch befand sich in der Mitte, daran saßen die Herren in geistlicher Kleidung, denen Georg vorgestellt wurde, die aber sogleich ihre Arbeit, in der sie gestört worden, fortsetzten. Der Herzog zog den Jüngling zu einem Sitze in der Nische, und nachdem er ihn lange und prüfend angeschaut, sagte er: »Udallan findet dich für würdig, zu uns zu gehören, doch er läßt dir freie Wahl. Was willst du tun?«
Georg schwieg, und jener fuhr lebhaft fort:
»Wir sind in der Arbeit, deren Ziel es ist, eine Vereinigung beider Orden zustande zu bringen. Bist du bekannt mit den Geheimnissen der schottischen Häuser?«
»Nicht sehr ausführlich,« antwortete Georg. »Eure Durchlaucht werden sich aus den Mitteilungen, die man Ihnen über mich gemacht, besinnen, daß ich nur etwas über ein Jahr in Schottland weilte. Ich kann also nur sehr oberflächlich mit den dortigen Einrichtungen bekannt sein. Es ist wahr, daß jene Grotten und unterirdischen Gemächer, die man mich sehen ließ, einen mächtigen Eindruck auf meine Seele machten; allein ich wurde nicht für würdig geachtet, über das Wesen dieser Dinge belehrt zu werden.«
»Der Jesuitenorden«, nahm der Herzog das Wort, »ist zu einseitig weltlich. Das Gemüt des Menschen bedarf des Geheimnisvollen. Es liegt ein kostbarer Schatz von solchen Kräften und Mitteln in den Erinnerungen der Templer, der Johanniter, der Deutschen Herren verborgen. Ihr, mein Herr Graf, seid dazu geschaffen, unsere Pläne zu begünstigen. Eure Zukunft in der Welt ist unsicher und berechtigt zu wenig Hoffnungen. Schon Eure zweifelhafte Abstammung, die Mesallianz Eures Vaters legt Euch Hindernisse in den Weg, wolltet Ihr Euer Glück an den Höfen suchen; als Ordensoberhaupt schwindet jede Fessel, und Ihr könnt viel, wenn auch im geheimen, wirken. Ich lebe mehr in der Welt, als es der Graf Udallan tut, ich gebe Euch den Rat, schließt Euch uns an.«
Georg, als er diese Worte hörte, bedachte den Rat der Kurfürstin und er fand Mut in sich, dem Herzog eine ausweichende Antwort zu geben, bei welcher dieser sich anfangs beruhigte. Er blieb noch ein paar Stunden im Walde, dann nahm er Abschied vom Herzog, der ihn freundlich entließ mit der Bitte, ihn bald wieder zu besuchen. Master Toni blieb dort, weil er mit dem Herrn noch mancherlei zu besprechen hatte. Erst nach drei Tagen stellte er sich wieder bei Hofe ein, wo Georg ihn bereits erwartete, um mit ihm seine Rückreise nach Heidelberg anzutreten.
Der Kurfürst und seine Gemahlin baten ihn zu bleiben, allein der junge Mann ließ sich nicht halten. Die Kurfürstin lächelte und sagte: »Wenn ich nur wüßte, welch ein Magnet Euch nach Heidelberg hinzieht?«
»Das kann ich Euch sagen, liebe Tante, meine edle, herzliebe Cousine ist's, die mir nicht aus dem Sinn geht, des Kurfürsten von der Pfalz Töchterlein.«
»Die hat Euch zum geistlichen Stande beredet?« fragte die Kurfürstin erstaunt.
»Sie hat mich nicht beredet,« erwiderte stockend der Gefragte, »aber –«
»Nun, was denn?« –
Georg versteckte sein Antlitz und sagte: »Ich schäme mich, es zu sagen, gnädige Frau. Sie hat mir's angetan, und da ich weiß, daß sie für mich zu hoch steht, so will ich lieber die Welt und alle Weiber verlassen! Ja, das ist die eigenste und lauterste Wahrheit.«
Die Fürstin sah ihn freundlich an. »Georg!« rief sie, »keine Narrheit, wie sie dein Vater oft trieb! Was nicht gleich ihm dargeboten wurde, das stieß er von sich und wollte es nicht.«
»Ja, das Blut meines Vaters ist in mir!« rief der Jüngling. »Leicht und sorglos durchs Leben gehen, das mag ich, kommt mir etwas in den Sinn, was ich nicht durchzusetzen vermag, da möchte ich, daß es sogleich aus mit mir wäre.«
»Also du liebst, armer Junge!« rief die Kurfürstin, »liebst deine Halbcousine?«
Georg senkte das Haupt und schwieg.
»Das ist freilich schlimm!« entgegnete die Kurfürstin. »Sie ist hochmütig und auf ihre Geburt stolz, ich kenne sie, denn ich habe sie lange Zeit bei mir gehabt. Auch will der Vater mit ihr hoch hinaus.«
»Darum will ich Mönch werden! Da ist uns beiden geholfen,« sagte Georg.
»Nicht Mönch,« rief die Kurfürstin, »nur ja nicht Mönch! Solange es einen Degen in der Welt gibt, ist auch Aussicht für einen jungen, beherzten und kräftigen Burschen, wie du bist. Sieh mal die Söhne meines Bruders, die jungen Raugrafen; das ist ein Blut mit dem deinen; auch sie haben keine ebenbürtige Mutter. Verbinde dich mit dem ältesten und zieht beide in die Welt, Euern Ruhm durch Euern Degen Euch erwerbend.«
»Mein Schicksal ist trüber,« sagte Georg. »Dadurch, daß mein Vater früh starb, konnte er nicht die Verbindung mit meiner Mutter sanktionieren lassen. Die Welt sah sie für seine Mätresse an, sie aber war mehr, und dadurch, daß ich bei ihrem Tode in völlige Schutzlosigkeit versank, wurde mein Gedächtnis gänzlich getilgt bei meinen Angehörigen. Nur die edlen Männer, die um mein Dasein wußten, sammelten die Papiere und die Beweismittel, in deren Folge ich in meine Rechte eingesetzt wurde. Die jungen Raugrafen wachsen neben ihrem Vater und ihrer Mutter auf; sie haben keine Prüfungs- und Läuterungsperiode durchzumachen gehabt.«
»Gleichviel!« rief die Kurfürstin, »folge meinem Rate! Das ist das einzige, womit ich dir dienen kann. Nur werde nicht aus albernem Trotze ein Mönch! Die Kutte läßt sich nicht wieder abstreifen, bedenke das. Es ist just wie mit deinem Vater, der auch behauptete, mit uns sei es zu Ende, und wir sollten für immer vom Throne abtreten; siehe da, wir haben es nicht getan, das Glück hat sich gewendet, und wir stehen mit größeren Hoffnungen da, als wir je haben hegen dürfen.«
Georg küßte der Tante die Hand und entfernte sich niedergeschlagen. Den andern Tag war er fort. An Vater Antonius schrieb er, daß er sich Bedenkzeit ausbäte, und trug ihm auf, ihn bestens bei dem Herrn Herzog zu empfehlen.
17.
Venus und Adonis
Mit welcher Glut der Empfindung sah der junge, feurige Liebhaber die Türme Heidelbergs aus der Ferne leuchten. Er stieg ab vom Pferde, brachte ein Stück Papier hervor und schrieb Verse nieder, die der liebliche Schein der Abendröte in ihm wachgerufen. Es war ein Liebesgedicht an Charlotte. Als er es vollendet, brach er ein großes Blatt vom Baume, wickelte die verliebten Strophen hinein und steckte es mit einer Nadel fest. Sie sollte es finden und nicht wissen, von wem es sei. So schlich er langsam näher. Als er in die Schatten des Tores eintrat, kam ihm ein Weib entgegen, das er öfters oben in der Burg gesehen, die grüßte ihn. Er dankte ihr und sagte in gutem Mute: »Was macht Fräulein Lottchen?« Die sah ihn verwundert an und antwortete: »Gestern haben wir sie begraben!«
Georg wurde schlimm; ihm drohte Finsternis vor den Augen, kaum hielt er sich am Brückenpfeiler. Als ihm wieder besser wurde, stürzte er auf die Frau zu und schrie wie wahnsinnig: »Was sagt Ihr? Die Prinzessin tot!«
»Ei, nicht die!« rief jene, zurückweichend, »wer spricht von der Prinzessin. Fräulein Charlotte Bärweiler, meines gnädigen Herrn Tochter, meine ich. Sie war eine gute Freundin des gnädigen Fräuleins auf dem Schlosse.«
»Wie du mich erschreckt hast!« rief Georg und richtete sich bleich wieder in die Höhe. Er stürmte weiter und kam eben in dem Schlosse an, als man zu Abend speiste. Der Kurfürst begrüßte ihn, nahm ihm die Briefe von seiner Schwester ab, Charlotte war nicht gegenwärtig. Als Georg, an der Tür lehnend, düster vor sich hinsah, kam sie die Stiege hinab, das jüngste Kind ihres Vaters auf den Armen. Es war ein Bübchen, schon sechs Jahre alt; als sie Georg erblickte, ließ sie das Kind zu Boden gleiten, lief, ganz rot vor Freude, auf den Zurückgekommenen zu und rief: »Grüß dich Gott, lieb Vetterlein! Bist du wieder da!« –