Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Ich will's nicht hoffen.«
»Sicherlich nicht, mein Vater,« erwiderte sie, und die Tränen waren ihr nahe. »Ich dachte nur: ein arm fürstlich Mädchen, dem es an Ländereien und großem Namen gebricht, die sich so herumwinden und kriechen muß, wenn jemand von etwas Hohem sich um sie kümmern soll, tut am besten, sie wählt sich einen armen Jungen von ihrer Art zum Begleiter durchs Leben.«
»Wer sagt dir,« rief der Kurfürst, »daß du ein armes deutsches Fürstenkind bist? Das Haus Pfalz ist hochgeachtet im deutschen Fürstenbunde, und hat dein Großvater sich die Frau vom Throne der drei Kronen geholt, so sehe ich nicht ein, weshalb ich mit dir niedriger hinaus soll? Zudem erhältst du einen namhaften Ehepfennig mit, nach dem schon mancher Königssohn lüstern sein soll. Ich will nicht hoffen, daß du niedriger von dir denkst, als es dir zukommt?«
Charlotte schwieg.
Das Gespräch war beendet. Es kamen Herren, die von Geschäften sprechen wollten, und die Tochter entfernte sich. Sie schlich durch die Dämmerung in den alten Fürstensaal. Der Mond war soeben aufgegangen und warf sein Licht durch die hohen Fenster. Da drüben an der Wand hingen die Bilder ihrer Ahnen. Sie hatte sie oft beobachtet, jetzt plötzlich kamen sie ihr in einem anderen Sinne vor; sie erblickte sich in ihrer Mitte. Dabei fiel ihr das trübe Geschick ihres Stammes ein, die vielfachen Hemmnisse und traurigen Schicksale, die ihre nächsten Vorfahren erlitten, und es erschien ihr zum ersten Male ihr Los als streng und unerbittlich. Es war, als ließe sich ein Vorhang nieder vor ihre Kindheit, die sie unschuldsvoll und heiter in Hannover und hier zugebracht, und schnitte sie plötzlich von allem ab, was Heimat und Freude war. Das Geschick der Fürstinnen ging drohend an ihr vorüber, sie kannte gar viele unglückliche Frauen darunter, manche Märtyrerinnen und manche elend um jede Lebensfreude Betrogenen. Sie sah sich selbst im dunkeln Trauerflore und hinter sich eine brennende Stadt. Eine Stimme rief: »Das wird dein Los sein!«
Ängstlich fuhr sie zusammen. Die Schatten des Saales hatten sie nach und nach eingehüllt, die Mondlichter waren kalt und schneidend, es war ein schauerlicher Aufenthalt, sie eilte, ihm zu entfliehen. Als sie die Türe öffnete, stand die Raugräfin auf der Schwelle. Sie stürzte sich in ihre Arme, und Luise umschloß sie sanft. »Sieh da,« rief sie, »dein Kranker kann schon sein Zimmer verlassen, er folgt mir! Da ist er.«
Und dem Diener, der Lichter brachte, folgte Georg, bleich, aber ohne den Arm seines Führers. Er grüßte freundlich die beiden Frauen.
»Mein liebes Vetterchen!« rief Charlotte. »Ach, du armes Käuzchen, was wird aus uns beiden werden?«
»Keine Jäger fürs erste!« rief die Raugräfin, »denn wer sich nicht vor der Sau zu schützen weiß, soll sich ihr nicht in den Weg stellen.« –
»Erst recht, Tantchen!« rief Georg. »Jetzt will ich mein Lebtag nichts als jagen. Ich will meinen Unfall auslöschen vor dem Angedenken der Menschen. Ach, wenn Paraclet das gesehen hätte; er, der mich immer schalt, weil ich ihm zu weibisch war.«
»Wer war Paraclet?« fragte die Raugräfin.
»Nichts!« entgegnete Georg zerstreut und unwillig, »es ist nur eine Erinnerung aus dem Kloster. Darf ich hinauf zu Seiner Liebden gehen?« fragte er Charlotten.
»Jetzt nicht,« erwiderte diese. »Der Vater hat Besuch; es sind Herren da, mit denen er sich eifrig unterhält. Sie sind heute nachmittag gekommen. Wir wollen später beide zusammen hinaufgehen. Ich muß ihm doch meinen Kranken, nunmehr Gesunden, vorstellen.«
In dem Augenblick ward die Saaltür aufgerissen. Es wurden mehrere Lichter gebracht, und der Kurfürst trat mit zwei Herren herein, die er der Raugräfin vorstellte. Der eine, ein nicht mehr ganz junger Mann, war elegant und vornehm gewachsen, er hatte einen dunklen Blick und sah sich damit überall forschend um. Er wurde als Gaston, Marquis von Rohan, genannt; der ihm folgte, war ungefähr von demselben Alter.
Charlotte glitt unbemerkt aus dem Saale. Georg folgte ihr.
Vor der Tür flüsterten sie miteinander.
»Was sie nur wollen?« fragte Georg.
»Ich weiß es nicht!« entgegnete Charlotte, aber sie zitterte so heftig, daß sie sich auf Georgs Schultern stützen mußte.
19.
Die Werbung
Die beiden fremden Herren waren noch da. Der Maler malte. Es war ein wunderliches, verstecktes, bewegtes Leben auf der Burg.
An einem Morgen saß die Prinzessin in einer Laube im Garten, der Kurfürst kam hinzu und setzte sich zu ihr, indem er freundlich den Arm um ihren Nacken schlug. »Was machst du hier, mein liebes Kind, so einsam, so allein?«
Die Prinzessin erwiderte, daß soeben erst die Raugräfin sie verlassen habe, die hinaufgegangen sei, um etwas zu besorgen.
Der Fürst schwieg. Er spielte mit den Ringen seiner goldenen Kette.
»Werden die französischen Herren noch lange hierbleiben?« fragte die Tochter.
»Weshalb nennst du sie so fremd?« entgegnete der Kurfürst. »Der eine behauptet, mit dir bekannt zu sein.«
»Mit mir bekannt?«
»Einst, vor mehreren Jahren, hat er dich als Kind gesehen und dir ein kleines, goldenes Bild geschenkt,« bemerkte der Vater.
»Ach, also ist er es doch!« rief Charlotte lebhaft. »Es war mir, als hätte ich ihn im Traum gesehen, er war damals ein junger, hübscher Mann.«
»Er kommt jetzt, um sein Andenken bei dir zu erneuern.«
»Wozu die vielen Umstände? Er hätte es lassen können,« erwiderte die Prinzessin. »Man kennt sich und man kennt sich nicht, weil man einander vergessen hat.«
»Er will aber von dir nicht vergessen sein.«
»Gar zu gütig. Was haben Eure Liebden da?«
Der Kurfürst zeigte ihr ein Bild in Miniatur, das er in der Hand hielt. »Wie gefällt dir dieser Herr, liebes Kind?«
»Ach, abscheulich!« rief sie, »er hat ja eine entsetzlich lange, rote Nase, und der Mund, wie ist der geziert und gekniffen. Dabei scheint er ein vornehmer Herr zu sein.«
»Sogar sehr vornehm!« erwiderte der Vater lachend, »so vornehm, daß man darüber sein unschönes Wesen vergißt.«
»Ich nicht,« rief Charlotte. »Und wie mag er erst in der Natur sein, denn die Maler schmeicheln immer. Eure Liebden haben die Güte, dem Herrn Chouan zu befehlen, daß er mir nicht schmeicheln soll.«
»Tut er das?«
»Gewiß. Ich sehe es schon; er macht aus mir eine hübsche Person!« rief die Prinzessin.
»Liebes Kind, in der Welt regiert der Schein,« sagte der Kurfürst. »Wenn du nur dem Manne, für den das Bild ist, gefällst, das ist die Hauptsache.«
»Dem Manne? Also ist es für einen Mann bestimmt?«
»Für diesen!« rief der Fürst und zeigte auf das Bild, das er in der Hand hielt.
»Um Gotteswillen!« rief die Prinzessin aufgeregt. »Soll ich diesem Manne gefallen? Es ist wohl gar der für mich bestimmte Bräutigam, von dem du stets in dunklen Reden gesprochen hast? O, Vater, Vater, wenn das wäre! Wenn du, ohne mich zu fragen, mich verkauft hättest! Ich könnte des Todes sein, wenn das wahr wäre! Aber es ist nicht wahr! Sprich, es ist nicht.«
»Laß das jetzt!« rief der Fürst lächelnd, »wir wollen ein anderes Mal davon sprechen.«
Die Prinzessin stürzte sich an seinen Hals. »Nun siehst du!« rief sie, »ich habe es gleich gesagt, das ist ein Scherz von dir. Nun ist alles gut.«
Der Kurfürst stand auf und machte sich bereit zu gehen. Die Aufregung, in der sich seine Tochter befand, war ihm nicht lieb. Er hatte geglaubt,