Franz Treller

Die besten Wildwestromane & Seegeschichten


Скачать книгу

um Salve aus ihrer gedeckten Stellung heraus auf die Angreifer; die Schlacht war an allen Fronten in ein erbittertes Stadium eingetreten. Als ein paar in der Nähe stehende französische Kanonen jetzt mit Donnergetöse ihre Ladung entließen, sprang der Irre auf, raste wie besessen umher und begann aus voller Kehle zu singen. Und zwar sang er sonderbarerweise ein altes englisches Weihnachtslied. Schauerlich gellte es durch das Waffengetöse:

      »Holy Christmas

      Merry time ...«

      Er hatte die ersten Töne kaum über die Lippen gebracht, als Bob Green sich erhob, fassungslos auf den tanzenden und gröhlenden Mann starrte und mit jäh erblaßtem Gesicht stammelte: »Wie kommst du an das Lied, Mann? Wo, um alles in der Welt, hast du das Lied her?«

      »Holy Christmas

      Merry time«,

      gröhlte der Irre. Bobs Augen wollten fast aus den Höhlen; seine Stirn hatte sich über den buschigen Brauen wie in angestrengtem Nachdenken zusammengezogen. Die anderen, die nichts von dem Vorgang begriffen, sahen mit verblüfften Gesichtern zu.

      »Menschenskind, Ned? Bist du etwa Ned?« schrie der Bootsmann mit beinahe überschnappender Stimme.

      Der tanzende Sänger hielt ein und sah den Bootsmann aus glasigen Augen an; seine Augen verkniffen sich. »Ned?« sagte er leise, »Ned?« Und plötzlich lief es wie ein Aufleuchten des Begreifens über sein verstörtes Gesicht, ein Funke brach in den Augen auf. »Ned!« rief er, »ja, jetzt weiß ich wieder: Ned! Bob und Ned! Bob und Ned! Eine Frau war da, die rief immer: Bob und Ned! Zu Bett, Bob und Ned! Und dann saß sie am Bett und sang: ›Holy Christmas, Merry time ...‹«

      Dem bärbeißigen Seemann standen mitten im Gewoge der in allernächster Nähe tosenden Schlacht plötzlich Tränen in den Augen. »Das ist doch nicht möglich, das ist doch fast nicht möglich«, stammelte er ein über das andere Mal. »Ned? Mein Bruder Ned – das ist schon so lange her. Aber ich weiß es nun, da ist gar kein Zweifel mehr möglich, hab' immer schon sowas gefühlt, nach einer Ähnlichkeit gesucht; weiß es nun: Mutters Gesicht, Mutters Gesicht war es, was ich sah. Ach du lieber Gott, Ned, was hat man mit dir denn gemacht?« Er hatte den unglücklichen Geistesverwirrten bei beiden Armen gepackt und starrte ihm ins Gesicht, als vermöchte er es immer noch nicht zu fassen. Die dröhnenden, donnernden, knatternden Geräusche der Schlacht störten ihn nicht mehr. »Ist es denn möglich?« stammelte er immer von neuem, »mein Bruder Ned! Und hat keinen Verstand mehr! Und läuft schon so lange neben mir her! Und ich hatt' immer so ein Gefühl – –«; er schüttelte den Mann, daß ihm die blonden Haare wirr um das Gesicht flatterten; »Ned«, keuchte er, »ist es denn wirklich wahr? Sieh mich doch an, bist du Ned?«

      »Ned!« lachte der Irre; er wußte das jetzt wieder, aber deswegen war es in seinem Hirn nicht klarer geworden; auch er stammelte, seine Augen glänzten wie im Fieber, er versuchte dem bärtigen Seemann die Wangen zu streicheln. »Bob«, lallte er, »Bob und Ned! Mutter – gute Frau – Holy Christmas – Bob und Ned! Ned bleibt bei Bob! Immer bei Bob!«

      Immer noch mehr verblüfft als erschüttert standen der alte Burns und der junge Lord neben den beiden Männern. Das Ganze schien so unglaublich, daß sie es hier, im Getümmel der Schlacht, noch nicht zu verarbeiten vermochten. »Das ist wahrhaftig das merkwürdigste Erlebnis, das ich je hatte«, flüsterte Richard Waltham. Dem alten Puritaner aber schien dieses seltsame Wiederfinden zweier seit langer Zeit getrennten Brüder wie ein gutes Omen; er glaubte darin Gottes Hand zu erkennen. O Gott, betete er heimlich, gib mir meine Kinder zurück! Du bist wunderbarer als alles, was Menschenhirn zu erdenken vermag!

      Inzwischen war die Schlacht weitergegangen. Die Gefährten sahen jetzt flüchtende Franzosen an sich vorüberlaufen, um tiefer im Gehölz Deckung zu suchen; gleich darauf erschienen in Pulverdampf eingehüllt auch schon die scharlachfarbenen Röcke der englischen Infanterie. In weit auseinander gezogener Linie gingen die Grenadiere mit gefälltem Bajonett vor.

      In dieser Situation vermochte Bob Green, der den wiedergefundenen Bruder zu Boden gerissen hatte, weil die Kugeln über ihnen durch die Zweige pfiffen, sich nicht länger zu halten. »Kommt!« brüllte er den anderen zu, »jetzt oder nie!« Und mit äußerster Lungenkraft, als müsse er einen Orkan an Bord seiner Sloop überbrüllen: »Hurra! Hurra! Hurra für Old-England! Hurra!« Hinter ihm suchten auch die anderen in dichtem Pulverdampf den Weg ins Freie. Nach vorn zu und im Gehölz selbst tobte wilder Kampf. Es war ein Wunder, daß keine der von beiden Seiten kommenden Kugeln sie traf. Sie traten keuchend aus dem Walde heraus und sahen sich einer ausgedehnten Linie englischer Grenadiere gegenüber, deren Bajonette im Sonnenlicht glänzten. Sie liefen auf die Linien zu, fortgesetzt »Hurra!« brüllend und wild mit den Armen gestikulierend.

      Ein Offizier, den blanken Degen in der Faust, brüllte sie an: »Seid ihr wahnsinnig? Wer seid ihr? Wohin wollt ihr?«

      »Engländer!« brüllten alle fast gleichzeitig zurück. »Waren Gefangene der Franzosen! Wurden dank eurer Tapferkeit befreit!«

      »Hinter die Linie!« Der Offizier winkte mit dem Degen. »Zurück! Zurück! Hinter die Linie!«

      Sie liefen geduckt zwischen den auseinandergezogenen Linien der zum Angriff gestaffelten Infanterie durch, hetzten und liefen mit keuchenden Lungen weiter bis zu einem anderen Gehölz, wo sie auf Miliz-Reservetruppen stießen.

      Sie waren hier kaum angekommen und wollten sich bei dem befehligenden Offizier melden, als sich im Rücken der Miliz ein wildes Geheul erhob. »Who-whoop!« gellte es, »who-whoop! Who-whoop!« Scharen heulender, tobender Indianer kamen heran. Gleichzeitig hörte man hinter den englischen Linien Kanonengebrüll. Die Miliz hatte im Augenblick Stellung bezogen; ihre Salven fielen, genau abgezirkelt, wie Hammerschläge. Ebenso schnell wie sie gekommen, fluteten die roten Angreifer zurück. An ihrer Stelle aber tauchten jetzt, den Engländern gänzlich unerwartet, lange Reihen französischer Infanterie auf, die sich den Rotröcken mit gellendem »Vive le roi!« entgegenwarfen.

      In dem Gehölz, in welchem die Gefangenen bis vor kurzem noch geweilt, hatte sich das blutige Spiel durch diesen überraschenden Angriff im Rücken der Front blitzschnell zu Gunsten der Franzosen gewendet; kämpfend und fechtend, unter furchtbaren Verlusten, zäh Schritt für Schritt verteidigend, gingen die Grenadiere zurück. Ins Freie getrieben, gerieten sie zwischen zwei Feuer. Es war kein Zweifel mehr: die aus dem Norden gemeldeten französischen Verbände waren zur Stelle und hatten sofort in den Kampf eingegriffen.

      Unsere Freunde schlossen sich den Miliztruppen an, die sich, nachdem sie den indianischen Angriff abgewiesen hatten, in einem zweiten Treffen sammelten. In dem anderen Gehölz wütete furchtbar der Kampf. Dort fochten englische Grenadiere jetzt mit ›französischen‹ Indianern, das heißt mit unsichtbaren Feinden; sie fielen haufenweise unter den aus dem Hinterhalt, aus Büschen und Baumkronen abgefeuerten Kugeln.

      Inmitten der in einzelnen Abteilungen gegliederten Milizen hielt zu Pferde ein junger Mann mit den Abzeichen eines Obersten der Kolonialmiliz. Burns und Waltham sahen ein klares, streng gemeißeltes Profil, ein Gesicht von fast klassischer Schönheit, das von zwei großen, strahlend blauen Augen belebt wurde. Der ganze Mann, mit seinem Pferd zu einer Statue verwachsen, bot das Bild eiserner, unerschütterlicher Ruhe. Er beobachtete das Hin- und Herwogen der Schlacht aufmerksam durch das Glas. Jetzt ließ er den Feldstecher sinken und sagte zu einem der neben ihm haltenden Adjutanten gewandt: »Genau, wie ich es vorausgesagt habe. Dieser verrückte Vorstoß der Regulären hat unsere ganze linke Flanke entblößt; das wird uns noch teuer zu stehen kommen. Reite zu den Pennsylvaniern, Putnam. Sie sollen sich bereithalten, die geworfenen Linientruppen aufzunehmen. Werden sie selbst angegriffen, sollen sie sich geordnet auf das Fort Necessity zurückziehen. Sollen aber keinesfalls die Fühlung mit mir verlieren. Wir werden hier gleich die ganze Meute, Franzosen und Rothäute, auf dem Nacken haben.«

      »Zu Befehl, Colonel!« Der Adjutant sprengte davon.

      Der Befehlshaber wandte sich einem anderen Adjutanten zu: »Sprengen Sie zurück, Gates, sagen Sie den Shawano, ich lasse bitten, die Burschen da drüben« – er wies mit der Hand – »in der Flanke zu fassen und den Rotröcken etwas Luft zu verschaffen.« Auch dieser Adjutant sprengte davon.

      Bewundernd starrten