niederrennen.
Die Richter rüsten sich zum Spruche, halb stehen sie zum alten, halb zum neuen Rechte, so daß Stimmengleichheit droht. Da ergreift Athene den Stimmstein vom Altar, und indem sie denselben der Urne übergibt, spricht sie:
Mein ist es, abzugeben einen letzten Spruch,
Und für Orestes leg' ich diesen Stein hinein;
Denn keine Mutter wurde mir, die mich gebar, Nein, vollen Herzens lob' ich alles Männliche, Bis auf die Ehe, denn des Vaters bin ich ganz. Drum acht' ich minder sträflich jetzt den Mord der Frau, Die umgebracht hat ihren Mann, des Hauses Hort. Es sieg' Orestes auch bei stimmengleichem Spruch.
Eine andere Sage stellt den Untergang des Mutterrechtes in Athen in folgender Weise dar. »Unter der Regierung des Kekrops ereignete sich ein doppeltes Wunder. Es brach zu gleicher Zeit aus der Erde der Ölbaum, an einer anderen Stelle Wasser hervor. Der erschreckte König sandte nach Delphi, um das Orakel über die Bedeutung dieser Vorgänge zu befragen. Die Antwort lautete: Der Ölbaum bedeute Minerva, das Wasser Neptun, und es stehe nun bei den Bürgern, nach welcher von den beiden Gottheiten sie ihre Stadt benennen wollten. Kekrops beruft die Volksversammlung, in welcher die Männer und die Frauen Stimmrecht hatten. Die Männer stimmten für Neptun, die Frauen für Minerva, und da die Frauen eine Stimme mehr hatten, siegte Minerva. Darüber ergrimmte Neptun und ließ das Meer die Ländereien der Athener überfluten. Um den Zorn des Gottes zu besänftigen, legten jetzt die Athener ihren Frauen dreierlei Strafe auf: sie sollten ihr Stimmrecht verlieren, ihre Kinder sollten nicht länger der Mutter Namen tragen, sie selber sollten nicht mehr Athenerinnen genannt werden« 13.
So siegte das neue Recht. Die Ehe, die den Vater zum Haupte der Familie macht, das Vaterrecht besiegte das Mutterrecht 14.
13. Bachofen, Das Mutterrecht.
14. Als im Winter 1899 auf 1900 in Berlin, Wien usw. eine neue Bearbeitung der Orestie des Äschylus durch Herrn v. Wilamowitz-Möllendorf auf der Bühne erschien, waren Publikum und Kritik unfähig, den tiefen Sinn dieser Tragödie zu erfassen, sie standen ihr fremd gegenüber.
3. Legitime Frauen und Hetären in Athen
Wie in Athen vollzog sich der Übergang vom Mutter- zum Vaterrecht, sobald eine ähnliche Kulturentwicklung wie dort erreicht war, überall. Die Frau wird auf das Haus zurückgedrängt, sie wird isoliert und bekommt besondere Räume – die Gynäkonitis – angewiesen, in welchen sie lebt. Man schließt sie selbst vom Verkehr mit den das Haus besuchenden Männern aus. Das war der Hauptzweck der Isolierung.
Diese Umwandlung in den Sitten kommt bereits in der Odyssee zum Ausdruck. So verweist Telemachos seiner Mutter Penelopeia die Anwesenheit unter den Freiem, indem er ihr befiehlt:
Aber gehe nun heim, besorge deine Geschäfte,
Spindel und Web[e]stuhl, und treib' an beschiedener Arbeit
Deine Mägde zum Fleiße; die Rede gebührt den Männern,
Und vor allem mir, denn mein ist die Herrschaft im Hause! 15
Diese Auffassung war bereits die allgemeine zu jener Zeit in Griechenland. Noch mehr. Die Frau, auch wenn sie Witwe ist, steht unter der Herrschaft des nächsten männlichen Angehörigen, sie hat nicht einmal mehr die Wahl des Gatten. Des langen Hinhaltens durch die schlaue Penelopeia müde, wenden sich die Freier durch den Mund des Antinoos an Telemachos und fordern.
Siehe, nun deuten die Freier dir an, damit du es selber
Wissest in deinem Herzen, und alle Achaier es wissen!
Sende die Mutter hinweg und gebeut ihr, daß sie zum Manne Nehme, wer ihr gefällt und wen der Vater ihr wählt 16.
Mit der Freiheit der Frau ist's jetzt zu Ende. Verläßt sie das Haus, so muß sie sich verhüllen, um nicht das Gelüste eines anderen Mannes zu erwecken. Im Orient, in dem die geschlechtlichen Leidenschaften infolge des heißen Klimas am lebhaftesten sind, wird noch heute diese Absperrungsmethode ins Extrem getrieben. Athen wird unter den alten Völkern für die neue Ordnung mustergültig. Die Frau teilt wohl des Mannes Bett, aber nicht seinen Tisch; sie redet ihn nicht mit seinem Namen an, sondern als »Herr«; sie ist seine Magd. Öffentlich durfte sie nirgends erscheinen, auf der Straße ging sie stets verschleiert und höchst einfach gekleidet. Beging sie einen Ehebruch, so sollte sie, nach dem Solonschen Gesetz, für ihren Frevel mit ihrem Leben oder ihrer Freiheit büßten. Der Mann konnte sie als Sklavin verkaufen.
Die Stellung der griechischen Frau in jener Zeit kommt plastisch zum Ausdruck in Euripides' »Medea« 17. Diese klagt:
Von allem, ach, was Seel' und Leben hat,
Sind doch wir Fraun die allerärmsten Wesen! Durch unsre Mitgift müssen wir den Gatten Erkaufen, – und was schlimmer ist als das: Fortan gehört ihm unser Leib zu eigen. Und furchtbar die Gefahr: wie wird er sein, Gut oder schlecht? – Denn Scheidung wird der Frau Ein Makel stets, und den ihr Anverlobten Verschmähen darf sie nicht. Und kommt sie nun Zu neuem Brauch und ungewohnter Sitte, Muß sie erraten – niemand lehrt' es sie – Wie ihres Gatten Art und Wesen ist. Und wenn dies alles glücklich uns gelungen Und gern und froh der Liebste mit uns lebt, Ja, dann ist unser Leben neidenswert – Sonst aber – besser tot! – der Mann, wenn ihm Sein Haus verleidet ist, er findet draußen, Was ihm den Kummer seiner Seele stillt, Bei einem Freund, bei Männern seines Alters; – Wir müssen nach des einen Auge sehn. Sie sagen wohl, wir leben ungefährdet Bequem zu Haus, indes sie Schlachten schlagen! Törichter Irrtum: lieber dreimal wollt' ich Im Kampfe stehn, als einmal nur gebären!
Ganz anders standen die Dinge für die Männer. Legte der Mann der Frau in Rücksicht auf die Zeugung legitimer Erben strenge Enthaltsamkeit gegen andere Männer auf, so war er nicht geneigt, sich gegenüber fremden Frauen die gleiche Enthaltsamkeit aufzuerlegen. Es entstand das Hetärentum. Frauen, die durch Schönheit und Geist sich auszeichneten, in der Regel Staatsfremde, zogen ein freies Leben im intimsten Umgang mit der Männerwelt der Sklaverei der Ehe vor. Darin wurde auch nichts Verabscheuungswürdiges gefunden. Der Name und der Ruhm dieser Hetären, die intime Beziehungen mit den ersten Männern Griechenlands pflogen und an ihren gelehrten Unterhaltungen wie an ihren Gelagen teilnahmen, ist bis auf unsere Tage gekommen, wohingegen die Namen der legitimen Frauen meist vergessen und verschollen sind. So war die schöne Aspasia die intime Freundin des berühmten Perikles, der sie später zur Gattin machte; der Name der Hetäre Phryne wurde in der Zukunft Gattungsname für jene Frauen, die sich für Geld preisgeben. Phryne stand zu Hyperides in intimen Beziehungen, und sie stand Praxiteles, einem der ersten Bildhauer Griechenlands, Modell zu seiner Aphrodite. Danae war die Geliebte des Epikur, Archäanassa jene des Plato. Andere berühmte Hetären waren Lais von Korinth, Gnathanea usw. Es gibt keinen berühmten Griechen, der nicht mit Hetären Umgang hatte. Das gehörte zu ihrer Lebensweise. Demosthenes, der große Redner, präzisierte in seiner Rede gegen Neära das geschlechtliche Leben der Männerwelt Athens also: »Wir heiraten das Weib, um eheliche Kinder zu erhalten und im Hause eine treue Wächterin zu besitzen; wir halten Beischläferinnen zu unserer Bedienung und täglichen Pflege, die Hetären zum Genuß der Liebe.« Die Ehefrau war nur der Kindergebärapparat, ein treuer Hund, der das Haus bewacht. Dagegen lebte der Herr des Hauses nach seinem bon plaisir, seiner Willkür. Oft ist es auch