Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe)
»In Gabes, einer Stadt in Medien, die an der Grenze der Wüste liegt und eben deshalb mir oft zur lieben Freistatt wurde, lebten vor vielen Jahren drei Männer, die um ihrer Weisheit willen berühmt waren. Sie waren jedoch auch sehr arm, was dort ein seltener Umstand war, denn zu Gabes wurde alle Wissenschaft hoch in Ehren gehalten und gut belohnt. Aber bei diesen drei Männern konnte es kaum anders zugehen, denn einer von ihnen war uralt, der zweite war aussätzig und der dritte war ein schwarzer Neger mit wulstigen Lippen. Den Menschen galt der erste als zu bejahrt, um sie noch lehren zu können, dem zweiten wichen sie aus, weil sie die Ansteckung fürchteten, und dem dritten wollten sie nicht zuhören, weil sie zu wissen vermeinten, daß aus Aethiopien noch niemals Weisheit gekommen sei.
»Die drei Weisen indessen schlossen in ihrem Unglück Freundschaft. Tags bettelten sie an derselben Tempelpforte, und nachts schliefen sie auf demselben Dach. So hatten sie zum mindesten Gelegenheit, sich die Zeit dadurch zu verkürzen, daß sie gemeinsam über alles Wunderbare nachgrübelten, was sie an Dingen und Menschen beobachteten.
»Eines Nachts, als sie nebeneinander auf einem Dach schliefen, das dicht mit rotem, betäubendem Mohn bewachsen war, erwachte der Aelteste, und kaum hatte er umhergeblickt, als er auch schon die beiden anderen weckte. ›Gelobt sei unsere Armut, die uns zwingt, draußen im Freien zu schlafen!‹ sagte er zu ihnen. ›Erwachet und erhebet Eure Blicke zum Himmel!‹
»Nun,« sprach die Dürre mit etwas sanfterer Stimme, »dies war eine Nacht, die keiner, der sie erschaut hat, jemals vergessen könnte. So strahlend war der Luftraum, daß der Himmel, der sonst fast stets einem Gewölbe gleicht, tief und durchsichtig schien und wie von Meereswellen erfüllt war. Das Licht wogte hin und her, und die Sterne schienen in unterschiedlicher Tiefe zu schwimmen, einzelne inmitten der Lichtwogen, andere auf deren Oberfläche.
»Aber in weiter Ferne und hoch oben in den Lüften sahen die drei Männer ein schwaches Dunkel erstehen. Und dieses Dunkel durchflog den Luftraum wie ein Ball und kam immer näher, und je mehr dieser Ball sich näherte, desto stärker leuchtete er, aber er leuchtete so wie Rosen – möge Gott sie alle verdorren lassen! –, wenn sie die Knospe sprengen. Der Ball vergrößerte sich mehr und mehr, und nach und nach zersprang seine dunkle Hülle, und das Licht entströmte ihm in vier lichten Blättern, die sich zu seinen Seiten abzweigten. Als er endlich so tief herabgeschwebt war, wie der zunächst stehende Stern, machte er Halt. Da bogen sich die dunklen Enden der Hülle weg, und es entfaltete sich Blatt um Blatt eines herrlichen, rosenfarbenen Lichtes, das wie ein Stern inmitten der Sterne strahlte.
»Als die armen Männer dies gewahrten, sagten sie sich in ihrer Weisheit, daß zu dieser Stunde ein mächtiger König auf Erden geboren sein müsse, ein König, dessen Macht noch größer sein würde als die des Cyrus oder Alexanders des Großen. Und sie sprachen zueinander:
›Lasset uns hingehen zu den Eltern des Neugeborenen und ihnen berichten, was wir erschaut haben! Mag sein, sie belohnen uns mit einem Beutel Gold oder einer goldenen Armspange.‹
»Da nahmen sie ihre langen Wanderstäbe und begaben sich auf den Weg. Sie wanderten durch die Stadt und durchschritten das Stadttor, aber dort schwankten sie einen Augenblick, denn vor ihnen erstreckte sich die große, unfruchtbare (ach, so anmutige) Wüste, die die Menschen verabscheuen. Da sahen sie, daß der neue Stern einen schmalen Lichtstreifen über den Wüstensand warf, und mit dem Stern als Wegweiser wanderten sie getrost ihres Weges dahin.
»Die ganze Nacht durch gingen sie über die weite Sandebene, und auf der Wanderung sprachen sie von dem jungen, neugeborenen König, den sie in einer goldenen Wiege, mit Edelsteinen spielend, finden würden. Sie verkürzten sich die Nachtstunden, indem sie davon redeten, wie sie vor seinen Vater, den König, und seine Mutter, die Königin, hintreten würden, um ihnen zu verkünden, daß der Himmel ihrem Sohne Stärke und Macht, Schönheit und Glück verleihen würde, und daß er mächtiger als Salomo werden sollte.
»Sie prahlten, daß sie von Gott dazu berufen seien, den Stern zu erschauen. Sie sagten sich, daß die Eltern des Neugeborenen sie nicht geringer als mit zwanzig Beuteln Gold belohnen könnten. Vielleicht würden sie ihnen sogar so viel geben, daß sie nie wieder die Qual der Armut zu fühlen brauchten.
»Ich lag wie eine Löwin in der Wüste auf der Lauer«, sagte die Dürre, »und wollte mich mit allen Qualen des Durstes auf die Wanderer stürzen, sie aber entkamen mir. Der Stern geleitete sie die ganze Nacht, und als sich am Morgen der Himmel erhellte und alle die anderen Sterne verblichen, blieb dieser Stern beharrlich am Himmel stehen und leuchtete über der Wüste, bis er sie zu einer Oase geführt hatte, wo sie eine Quelle und fruchtreiche Obstbäume fanden. Dort ruhten sie den Tag über, und erst zur Nacht, als sie wieder den Sternenstrahl auf dem Wüstensand glänzen sahen, gingen sie weiter.
»Nach der Anschauung der Menschen«, fuhr die Dürre fort, »war diese Wanderung schön. Der Stern führte sie immer so, daß sie weder dursteten noch hungerten. Er geleitete sie an scharfen Disteln vorbei, er wich dem tiefen, losen Flugsand aus, sie entgingen durch ihn dem blendenden Sonnenschein und den glühenden Wüstenstürmen. Die drei sprachen beständig zueinander:
›Gott schützt uns und segnet unsere Wanderung. Wir sind seine Sendboten.‹
»Aber allmählich gewann ich dennoch Macht über sie,« erzählte die Dürre weiter. »Die Herzen der Sternwanderer wurden zu so trockenen Wüsteneien, wie jene, die sie durchschritten, sie waren voll unfruchtbarer Hoffart und wüster Begierde.
›Wir sind die Sendboten Gottes‹, wiederholten die drei Weisen, ›der Vater des neugeborenen Königs wird uns nicht zu reich belohnen, wenn er uns eine mit Gold beladene Karawane schenkt.‹
»Endlich führte der Stern sie über den vielgerühmten Jordanfluß und hierauf zu den Bergen Judäas. Und eines Nachts blieb er über der kleinen Stadt Bethlehem stehen, die auf einem Bergkegel zwischen grünen Olivenbäumen hervorschimmerte.
»Die drei Weisen blickten nach Schlössern, befestigten Türmen, Mauern und all dem anderen umher, das zu einer Königsstadt gehört, aber sie vermochten nichts dergleichen zu entdecken. Und was noch schlimmer war, das Sternenlicht geleitete sie nicht einmal zur Stadt hinein, sondern machte vor einer Felsenhöhle am Wegrande Halt. Dort glitt das milde Licht durch die Oeffnung hinein und zeigte den drei Wandernden ein Kindlein, das im Schoße seiner Mutter lag und in Schlaf gesungen wurde.
»Aber obwohl die drei Weisen wahrnahmen, daß das Sternenlicht des Kindes Haupt wie eine Krone umringte, blieben sie vor der Höhle stehen. Sie gingen nicht hinein, um dem Kleinen Ehren und Königreiche zu prophezeien. Sie wandten sich ab, ohne ihre Gegenwart zu verraten, sie flohen vor diesem Kinde und stiegen wieder bergaufwärts.
›Sind wir zu Bettlern ausgezogen, so gering und arm wie wir selber?‹ sprachen sie. ›Hat Gott uns hierher geführt, auf daß wir seiner spotten und dem Sohn eines Schafhirten Ehren weissagen? Dieses Kind wird niemals Höheres erreichen, als hier in diesen Tälern seine Herde zu hüten!‹«
Die Dürre hielt inne und nickte bekräftigend ihren Zuhörern zu. Habe ich nicht recht? schien sie sagen zu wollen. Es gibt mancherlei, das trockener ist als Wüstensand, aber nichts ist unfruchtbarer als das Menschenherz.
»Die drei Weisen waren noch nicht weit gegangen, als es sie bedünken wollte, daß sie sich verirrt hätten und dem Sterne nicht richtig gefolgt wären,« fuhr die Dürre fort. »Und sie wandten ihre Augen zum Himmel, um den Stern und den rechten Weg wiederzufinden. Aber da war der Stern, dem sie vom Morgenlande her gefolgt waren, vom Himmel verschwunden.
»Die drei Fremdlinge schraken heftig zusammen, ihr Gesicht zeigte tiefen Schmerz.
»Was nun geschah,« hub die Erzählerin wieder an, »war, nach Menschensinn beurteilt, vielleicht sehr erfreulich. Sicher ist, daß die drei Weisen, sobald sie den Stern nicht mehr erblickten, erkannten, daß sie vor Gott gesündigt hatten. Und es erging ihnen,« fuhr die Dürre erschauernd fort, »wie es der Erde im Herbst geht, wenn die starken Regengüsse beginnen. Sie bebten vor Schrecken, wie bei einem Gewitter, ihre Herzen wurden wieder weich, und in ihrem Gemüt sproßte die Demut wie grünes Gras empor.
»Drei Tage und drei Nächte durchwanderten sie das Land, um jenes Kind