Patricia Vandenberg

Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 3 – Arztroman


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Schlafzimmers. Alles war leicht zu erreichen. Pamela hatte ein eigenes Bad.

      Sie war überwältigt von der Großzügigkeit des Anwesens. Nicolas wohnte im Anbau bei Mary, Fiona auf Clemens’ Seite. Sie kamen erstaunlich gut miteinander aus. Pamela konnte an diesem Abend zum ersten Mal das Familienleben genießen. Alle waren versammelt am runden Tisch. Martha hatte für das Festessen gesorgt. Sie war von Pamela sehr angetan, die ihr mehr lag als die quirlige Fiona, der man aber zugestehen mußte, daß sie gute Laune verbreitete.

      Marius ging es bedeutend besser, wenn er auch bald wieder müde wurde. Dr. Norden kam gegen neun Uhr und gab ihm eine Injektion.

      »Wann wird es mal ohne gehen?« fragte Marius.

      »Sie können sagen, wenn Sie keine brauchen.«

      Aber er wußte, daß dies nur selten der Fall sein würde, und wie die Tage dahingingen, wußte es auch Marius immer deutlicher, daß jeder Tag nur noch ein geschenkter Tag war. Auch Pamela wurde sich dessen bewußt, wenn dazwischen auch immer mal ein paar gute Tage neue Hoffnung gaben.

      Jesco wurde ein gerngesehener Gast im Hause Campen. Er kam jede Woche einen Tag, und für Mary waren das Festtage, denn die Unterhaltung mit dem interessanten, weitgereisten Mann bereicherte ihr Leben und gab ihr Kraft für die nächsten Tage. Sie hätte es gern gesehen, wenn er bei ihnen geblieben wäre, aber das hätte ihn deprimiert, wenn er es auch nicht aussprach. In seiner gewohnten Umgebung, in der freien Natur, schöpfte er immer erneut die Kraft, die anderen aufzumuntern und ihnen Mut zuzusprechen. So war auch in kurzer Zeit ein inniges Verhältnis zwischen ihm und Pamela entstanden.

      Sie brachte es nicht fertig, ihrer Mutter zu schreiben, aber sie rief sie an und sagte ihr, daß sie ihren Vater kennengelernt hätte.

      »Dann bin ich ja für dich schon vergessen«, sagte Ines, und das Gespräch war beendet.

      Pamela erzählte es Jesco, und er schüttelte nur den Kopf.

      »Ich werde ihr schreiben«, erklärte er nach längerem Überlegen. »Egal, wie sie es auffaßt, aber vielleicht denkt sie dann doch einmal nach. Sie ist nicht mehr so jung, um sich wie ein trotziger Teenager zu benehmen.«

      An Pamela ging alles vorbei. Sie konnte kaum noch Freude empfinden, aber die Wärme, die Fürsorge, mit der Nicolas sie einhüllte, beglückte sie.

      Mary war meist still und in sich gekehrt, aber sie konnte Freude darüber empfinden, wie behutsam Clemens an die neue Beziehung zu Raphaela heranging, die nun schon öfter bei ihnen weilte und mit ihrem sanften, ausgeglichenen Wesen der richtige Gegenpol zu Fiona war, die einfach nicht begreifen wollte, daß eine so trostlose Atmosphäre im Hause herrschte, obwohl nun die Adventszeit begann, die man die Zeit der Hoffnung und Vorfreude nannte.

      Marius hatte keinen Zeitbegriff mehr. Er dämmerte meist vor sich hin, und die wenigen Stunden, in denen er ansprechbar war, konnten die melancholische Stimmung auch nicht mehr mildern. Jeder war bemüht, seine eigene Betrofffenheit zu überspielen, wenn man zusammen war.

      Dr. Norden hatte schon ein paarmal vorgeschlagen, Marius wieder in die Klinik zu bringen, aber alle waren geschlossen dagegen, weil sie Pamela nicht wieder dieser Einsamkeit überlassen wollten. Hier im Hause war jeder darauf bedacht, ihr Kraft einzuflößen, ihr zu zeigen, wie sehr man ihr zugetan war.

      Wenn Marius nach einer Infusion wieder für ein paar Stunden richtig wach war, verblüffte er alle, wie rege er denken konnte.

      Aber er sprach nicht mehr von Reisen, geschweige denn von Heirat. Zu Pamela sagte er sogar, daß er für sie alles Glück der Welt erhoffe. Als sie widersprechen wollte, legte er den Zeigefinger auf ihre Lippen.

      »Wir wollen uns nicht mehr gegenseitig täuschen, mein Engel. Ich werde nie mehr gesund, und ich bin so unendlich müde. Aber ich bin dankbar, daß du bei mir ausharrst.«

      »Ich werde dich niemals verlassen, Marius«, sagte sie mit fester Stimme.

      »Bis zum bitteren Ende. Ich habe mir alles anders vorgestellt, mein alles.«

      »Bis zum letzten Atemzug«, sagte sie leise und legte ihre Wange auf seine Hand.

      *

      Fiona war nach Paris gefahren, um ihre Wohnung aufzulösen und mit ihren Freunden Abschied zu feiern. Sie wollte in München studieren. Dank der guten Verbindungen, die die Campens und auch Jesco hatten, wurde das möglich.

      Am Abend vor dem zweiten Advent hatte Pamela das Gefühl, daß Marius endgültig Abschied nehmen wollte. Dr. Norden war gekommen, um ihm die übliche Injektion zu verabreichen, und er sprach dann mit Nicolas, der immer in der Nähe war. Dr. Norden wußte keine tröstenden Worte mehr.

      Seine Miene war ernst. Er sagte zu Nicolas, daß sie hoffen sollten, daß Marius ohne Schmerzen einschlafen konnte.

      »Möchtest du nicht ein paar Tage zu deinem Vater fahren, Pamela?« fragte Marius leise, aber mit klarer Stimme.

      »Was denkst du dir nur aus«, erwiderte sie. »Ich bleibe bei dir. Weihnachten steht vor der Tür.«

      »Und ich konnte kein Geschenk für dich kaufen. Nicolas, würdest du das bitte für mich tun?« Er spürte, wenn Nicolas in der Nähe war, auch wenn er nicht ans Bett trat. Aber jetzt kam er und setzte sich zu ihm. Pamela war gegangen, um Tee für Marius zu holen, sie hörte nicht, was Marius sagte, aber als sie wieder eintrat, hörte sie, wie er sagte: »Ich vertraue dir Pamela an. Versprich mir, daß du sie beschützen und für sie sorgen wirst, Nicolas.«

      »Ich verspreche es, Marius.«

      Pamela tupfte ihm die trockenen Lippen mit Tee, da er nicht trinken wollte. Sie beugte sich zu ihm und küßte ihn auf die Stirn. Sie erschrak, wie kalt diese war.

      »Hab’ Dank für alles, mein Engel«, flüsterte er.

      Als sie die Hände um sein Gesicht legte, sah er sie noch einmal an.

      Dann schlief er ein.

      Pamela blieb noch bei ihm sitzen, aber als sie sich dann erhob, taumelte sie. Nicolas fing sie auf und legte die Arme um sie. Sie barg den Kopf an seiner Schulter.

      »Wir werden ihn verlieren, Nicolas«, sagte sie tonlos.

      »Er wird in unserer Erinnerung immer bei uns sein, Pamela, aber du lebst. Das Leben wird weitergehen, und er will, daß es ein gutes und glückliches Leben für dich sein wird.«

      *

      Marius wachte nicht mehr auf. Sein Leben verlöschte ruhig und ohne Kampf. Sie waren alle bei ihm. Vielleicht spürte er es, als er hinüberschlummerte in die Ewigkeit, denn sein Gesicht, das so hager geworden war, war jetzt ganz entspannt.

      »Er hat jetzt seinen Frieden«, sagte Daniel Norden. »Er war ein großer und tapferer Mann.«

      Pamela hatte keine Tränen mehr. Sie war wie versteinert. Mary bewahrte Würde und zeigte Haltung. Sie legte den Arm um Pamela. »Was du für ihn getan hast, ist nicht in Worten zu sagen. Ich liebe dich dafür für immer. Du gehörst zu uns, Pamela.«

      »Ich liebe dich auch, Mama.« Und als sie über Marys Schulter hinweg in Nicolas Gesicht blickte, war es ihr, als würde Marius sie ansehen.

      Sie dachte an jenen Traum, in dem sie ihn zu erkennen glaubte und wußte plötzlich, daß es Nicolas gewesen war.

      Fünf Tage später war die Beerdigung und noch einmal ein schwerer Tag für sie alle, denn Marius war ein so bekannter Mann gewesen, daß alles kam, was Rang und Namen hatte.

      Eine dichte Schneedecke bedeckte die Erde, und so bot der Friedhof einen eher romantischen als traurigen Anblick.

      »Das würde Marius gefallen«, sagte Pamela gedankenvoll und blickte zum Himmel empor. Schneeflocken fielen auf ihr Gesicht und wurden zu blinkenden Tropfen, wie Tränen. Nicolas hielt ihre Hand fest umschlossen. Mary konnte Halt bei Jesco suchen, Clemens stand zwischen Raphaela und Fiona, und wenn sich manche darüber auch Gedanken machten, er wußte, wohin er gehörte und für wen sein Herz schlug. Auch Paul Norman war gekommen und zufrieden, daß Raphaela ihre Entscheidung getroffen hatte.