Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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nur alles noch leidlich gut vorüberging! Wirklich, jetzt atme ich auf und freue mich, daß ich Sie hier habe unter meinem Dach. So hübsch ist es freilich nicht bei mir, wie ich es bei Ihnen fand, da draußen, in der schönen Sturmnacht!« Noch immer hielt er ihre Hände fest, und lächelnd sahen sie sich in die Augen.

      Gustl, der mit der Wange auf den Händen lag, lind in die Kissen geschmiegt, guckte staunend an den beiden hinauf, und das verpflasterte Gesichtchen des Knaben färbte sich dunkelrot.

      Lautlos trat Martin in das Zimmer, um Ordnung zu machen. Er schien keine Augen zu haben, nur Hände, die geräuschlos hantierten. Als er mit dem Wasserbecken und mit den Tüchern über dem Arm das Zimmer verlassen hatte, sah er die geschlossene Tür an und wiegte den Kopf. Studierend stieg er über die Treppe hinunter. In der Küche legte die Jungfer Köchin gerade die drei Forellen, die Pepperl gebracht hatte, in den Eiskasten, als Martin eintrat. Beim Anblick des Kammerdieners gab es dem Jäger einen »Riß«, halb vor Wut und halb vor Schadenfreude; aber er mußte der Köchin Antwort geben, als sie fragte: »Hat denn unsere Durchlaucht das Fräuln schon gekannt?«

      »Gut auch noch! Z'erst hat er's droben am Sebensee troffen, neulich is er draußen gwesen bei ihr in der Leutasch, und gestern nacht, wie dös Wetter gwesen is, haben wir unterstehen müssen bei ihr, vom Abend bis auf d' Fruh. Ja, unser Duhrlaucht und d' Fräuln Petri, die zwei verstehn anander! Was die für austipfelte Sachen reden! Da reißt unsereiner d' Luser auf, sperrangelweit.«

      Martin schien diesem Gespräch keine Aufmerksamkeit zu schenken. Kaum aber hatte er die Küche verlassen, als er in seine Stube eilte und hinter sich die Tür verschloß. Nachdem er an den Fenstern die Vorhänge zugezogen hatte, schrieb er eine Depesche in englischer Sprache, nur die Adresse deutsch: »Baronin Pranckha, Hietzing, Wien. – Soeben flog der edle Falke mit weißer Taube in den Waldhorst. Erkenne Gefahr und warne.«

      » The faithfull!« unterschrieb er – »der Getreue!« – und schob die Depesche in die Tasche, um sie bei der Hand zu haben, wenn der Postbote käme. –

      Draußen vor dem Fenster ging Pepperl vorüber. Er machte langsame Schritte, und immer wieder schielte er zur Sennhütte hinunter, aus deren Schindeldach der Herdrauch quoll. Am liebsten wäre Pepperl in seiner Schadenfreude schnurstracks hinuntergelaufen, um dem »verloffenen Lampl« mit allem Hochgenusse menschlicher Bosheit ins Gesicht zu schreien: »Jagdverwalterin? Ja! Schmarrn!« Aber da lagen ihm zwei verwünschte Worte wie eiserne Riegel im Weg: »Wir sind fertig mitanander!» und »Mich siehst nimmer!« Daß er nach solchen Worten noch einmal die Schwelle dort unten überschreiten sollte – das war eine heikle Sache für einen, der in sich die Überzeugung trägt: »A bißl was muß der Mensch halten auf dös, was er sagt!« Und was ging ihn die ganze Geschichte weiter noch an? »Nix! Rein gar nix!« Für ihn hatte die Sache nur noch ein theoretisches Interesse, zu dem sich das angenehm prickelnde Bewußtsein gesellte: »Ich hab recht gehabt!« Jetzt konnte die Sache da unten ausfallen, wie sie wollte – er stand groß da! Mit dem Gefühl der Befriedigung, das den Praxmaler-Pepperl bei diesem Gedanken überkommen hatte, wollte er schon ins Försterhäuschen treten. Da hörte er über das Almfeld herauf das Klirren eines Bergstockes. Und am Waldsaum drunten erschien ein alter, weißbärtiger Bauer, gebeugt und etwas unsicheren Ganges. »Jesses! Da kommt er!« stotterte Pepperl, als er Burgis Vater erkannte. Mit langen Sprüngen rannte er über das Almfeld hinunter und schrie: »Brenntlinger! He! Brenntlinger! Da komm her! Da bin ich! Da!«

      Der Alte blieb stehen und guckte mit den stumpfen, rot geränderten Augen. Sein gebrochener, von einem sechzigjährigen Leben in Armut mürb geklopfter Körper steckte in einer übel zugerichteten Hülle. Es schien, als hätte der »gute alte Brenntlinger« eine der letzten Nächte im Straßengraben zugebracht und die Zeit noch nicht gefunden, die grauen Federn dieses harten Bettes von sich abzubürsten.

      Im Heuschuppen auf der Alm geboren, hatte er den Anstieg seines Lebens als Hüterbub begonnen, war Galtviehsenn geworden, und mit vierzig Jahren, als Milchviehsenn bei einem Jahreslohn von 137 Gulden 45 Kreuzern, hatte er geheiratet. Das kleine Burgerl in der Wiege konnte die Hochzeit der Eltern mitfeiern. Fünfzehn Jährlein später, als Burgi aus der Feiertagsschule kam, starb die Brenntlingerin an einem Leiden, das kein Doktor kurieren konnte, weil man keinen holte. Und während sich das junge Mädel hineinwuchs in die Almenarbeit, wurden dem Brenntlinger von Jahr zu Jahr die Knochen immer müder. Nun hatte er seinen Strohsack im Gemeindehaus liegen, und seinem Leben blühte nur noch jene einzige Blume, die nicht nach Honig, sondern nach Trebern duftete. Am liebsten hätte Burgi den Vater jeden Sommer zu sich in die Sennhütte genommen. Dagegen wehrten sich die Almbauern, die den unnützen Kostgänger nicht auf ihre Milchschüssel haben wollten. Also gab sie ihn, für fünf Gulden im Monat, beim Flurjäger in die Kost. Auf die Hand durfte sie dem Alten kein Geld geben, keinen Kreuzer. Sonst hätte er nie an seinen Hunger, nur immer an seinen Durst gedacht. Kein Wunder also, daß Brenntlinger mit einem Juchezer das große Los begrüßte, das er neulich beim Haus des Maler-Emmerle gezogen hatte. Zehn Gulden! Das hatte einen achttägigen Rausch gegeben. Keinen zehntägigen, nein, da hatte Pepperl sich verrechnet. Denn der gute alte Brenntlinger liebte nicht nur seinen Namensvetter, den Gebrannten, er liebte als braver Vater auch sein Kind. Bevor er vom Haus des Maler-Emmerle den Weg zum Buschenwirt genommen hatte, war er beim Kramer eingetreten und hatte um zwei Gulden für sein Mädel ein seidenes »Tüchel« gekauft. Das brachte er nun mit, an seiner Vaterbrust verwahrt und sorgfältig in das »Sonntagsblatt für das katholische Volk« gewickelt. Aber noch etwas anderes brachte er mit auf die Alm: einen halb ausgeschlafenen Katzenjammer, einen dürmeligen Kopf und einen so unsicheren Schritt, daß man Zweifel hegen konnte, ob der »gute alte Vater« sich für das Wohl und Wehe seines Kindes so energisch auf die Füße stellen würde, wie es der Praxmaler-Pepperl von ihm erwartete.

      »Brenntlinger! He! Brenntlinger! Da komm her! Da bin ich! Da!«

      Die aufgeregte Stimme drang nicht nur in die halbtauben Ohren des Alten, sie drang auch durch die Mauern der Sennhütte. Mit einem Sprung war Burgi bei der Tür. »Vater! Jesusmaria! Vater! Ja grüß dich Gott! Wo kommst denn her?« Da sah sie den Jäger wie einen Narren über das Almfeld herunterspringen. Sie erschrak. Nicht weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, nein! Wenn ihr der Herr Jagdverwalter in spe beim Herd und am Kammerfenster auch schon ein Dutzend Küsse und drüber abgeschwatzt und gestohlen hatte – ein Kuß in Ehren ist keine Sünd, am allerwenigsten ein Kuß von einem, der Jagdverwalter wird und »positivi« heiraten will. Und wenn auch dem »süßen Schmalger« nicht über den Schritt zu trauen war – einen, der »solchen Aussichten« hat, den mußte man doch wohl ein bisserl warm halten. Das riet nicht nur die Klugheit, dazu reizte auch ganz besonders der Gedanke, daß sich ein anderer grasgrün ärgern würde, wenn schließlich aus der »Sach« doch etwas werden sollte. Ein schlechtes Gewissen also hatte die Burgi nicht. Ganz im Gegenteil. Dennoch erschrak sie. Und als sie den Pepperl so rennen sah, hatte sie nur den einen Gedanken: die erste beim Vater zu sein! Sie machte einen Sprung wie ein Heuschreck, der die Sense blitzen sieht, und rannte, was sie rennen konnte. Auch Pepperl machte hurtige Beine. So liefen sie miteinander um die Wette, wie zwei Jagdhunde um einen Hirsch. Gleichzeitig erreichten sie den Alten. Keuchend packte ihn Burgi am linken, Pepperl am rechten Arm.

      »Vater! Zu mir kommst.«

      »Na! Zu mir! Ich hab dich bstellt.«

      »Zu mir kommst, Vater! Zu mir in d' Hütten!«

      »Z'erst zu mir! Ich muß dir ebbes sagen, was pressant is!«

      Der Alte stotterte immer: »Tuts mich net derreißen, Kinder! Net derreißen! Tuts mich net derreißen!«

      Mit Zerren und Streiten hatten sie den Alten bis zur Sennhütte gebracht. Burgi blieb Siegerin. Sie schob den Vater über die Schwelle, schlug die Tür zu und stieß den hölzernen Riegel vor. Für diesen Riegel hatte Pepperl nur ein Lachen. Wie da zu helfen war, das wußte er. Erst verschnaufte er ein bißchen, dann zog er das Messer aus der Tasche, schob die Klinge in den Türspalt und begann zu schieben. Aber merkwürdig! Der Riegel wollte nicht weichen wie sonst. Verwundert guckte Pepperl näher zu und sah statt des alten, morschen Holzstückes, mit dem die Tür seit einem halben Jahrhundert zufrieden gewesen war, eine blinkende Latte durch die Spalte schimmern. Wann war dieser neue Riegel an die Tür gekommen? Und warum?