Frau! Gnädige Frau!« rief Felicie, die ins Zimmer stürzte.
Das arme Ding war außer sich. Sie hielt einen gelben Zettel in der Hand, den sie von der Haustüre abgerissen hatte. Emma überflog ihn. Es war die Versteigerungsankündigung.
Dann sahen sich beide wortlos an. Herrin und Dienerin hatten längst keine Geheimnisse mehr voreinander. Seufzend sagte Felicie nach einer Weile:
»An der Stelle der gnädigen Frau ging ich mal zum Notar Guillaumin.«
»Meinst du?«
Diese Frage bedeutete: »durch dein Verhältnis mit dem Diener dieses Hauses weißt du doch Bescheid. Interessiert sich dieser Junggeselle für mich?
»Ja, gehn Sie nur, gnädige Frau! Es wird Ihnen nützen!«
Emma kleidete sich an. Sie zog ihr schwarzes Kleid an und setzte einen Kapotthut mit Jettbesatz auf. Damit man sie nicht sähe – es standen immer noch eine Menge Leute auf dem Markte – , ging sie zur Gartenpforte hinaus und den Weg am Bache hin.
Atemlos erreichte sie das Gittertor des Notars. Der Himmel war grau. Es schneite ein wenig. Auf ihr Klingeln hin erschien Theodor in einer roten Jacke auf der Freitreppe. Dann kam er und öffnete ihr. Er behandelte sie mit einer gewissen Vertraulichkeit, als ob sie ins Haus gehörte, und führte sie in das Eßzimmer.
Emmas Blick fiel flüchtig auf den breiten Porzellanofen, vor dem ein mächtiger Kaktus stand. An den braun tapezierten Wänden hingen in schwarzen Holzrahmen ein paar Kupferstiche: wollüstige Frauengestalten. Der gedeckte Tisch, die silbernen Schüsselwärmer, der Kristallgriff der Türklinke, der Parkettboden, die Möbel, alles blinkte in reinlicher, germanischer Sauberkeit.
»So ein Eßzimmer müßte ich haben!« dachte Emma.
Der Notar trat ein. Er drückte seinen mit Palmenblattstickerei verzierten Schlafrock mit dem linken Arm gegen den Leib; mit der andern Hand nahm er sein braunsamtnes Hauskäppchen zum Gruße ab und setzte es rasch wieder auf. Es saß ihm kokett etwas auf der rechten Seite seines kahlen Schädels, über den drei lange blonde Haarsträhne liefen.
Nachdem er Emma einen Stuhl angeboten hatte, setzte er sich an den Tisch, um zu frühstücken. Er entschuldigte sich ob dieser Unhöflichkeit.
»Herr Notar,« sagte sie, »ich möchte Sie bitten….«
»Um was denn, gnädige Frau? Ich bin ganz Ohr!«
Sie begann ihm ihre Lage zu schildern.
Guillaumin wußte bereits alles, da er in geheimer Geschäftsverbindung mit Lheureux stand, der ihm die Hypothekengelder zu verschaffen pflegte, die man dem Notar zu besorgen Auftrag gab. Somit kannte er – und besser als Emma – die lange Geschichte ihrer Wechsel, die erst unbedeutend gewesen, von den verschiedensten Leuten diskontiert, auf lange Fristen ausgestellt und dann immer wieder prolongiert worden waren. Jetzt hatte sie der Händler allesamt protestieren lassen und auf seinen Freund Vinçard abgeschoben, der die Angelegenheit nun in seinem Namen verfolgte, damit der andre bei seinen Mitbürgern nicht in den Ruf eines Halsabschneiders gerate.
Sie unterbrach ihre Erzählung häufig durch Beschuldigungen gegen Lheureux, auf die der Notar ab und zu mit ein paar nichtssagenden Worten antwortete. Er verzehrte sein Kotelett und trank seinen Tee, – wobei er das Kinn gegen seine himmelblaue, mit einer Brillantnadel geschmückte Krawatte einzog. Ein sonderbares, süßliches und zweideutiges Lächeln spielte um seine Lippen. Als er sah, daß Emma nasse Schuhe hatte, sagte er:
»Kommen Sie doch näher an den Ofen heran! Halten Sie die Schuhe doch an die Kacheln … höher!«
Sie befürchtete, die Porzellankacheln zu beschmutzen. Aber der Notar sagte galant:
»Schöne Sachen verderben nie etwas!«
Sie machte einen Versuch, ihn zu rühren. Das brachte sie aber nur selbst in Rührung. Sie erzählte ihm von der Enge ihres häuslichen Lebens, von ihrem Unbefriedigtsein, von ihren Bedürfnissen. Der Notar verstand das: eine elegante Frau! Und ohne sich vom Essen abhalten zu lassen, drehte er seinen Stuhl nach ihr um. Er berührte mit einem Knie ihren Schuh, dessen Sohle am heißen Ofen zu dampfen begann.
Als sie ihn aber um tausend Taler anging, biß er sich auf die Lippen und erklärte, es tue ihm ungemein leid, daß er die Verwaltung ihres Vermögens nicht rechtzeitig in die Hände bekommen habe. Es gäbe tausend Möglichkeiten, selbst für eine Dame, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Beispielsweise wären die Torfgruben von Grümesnil oder Bauland in Havre bombensichere Spekulationen. Er machte Emma rasend vor Wut, angesichts der enormen Summen, die sie zweifellos dabei gewonnen hätte.
»Weshalb sind Sie denn nicht zu mir gekommen?«
»Das weiß ich selber nicht«, erwiderte sie.
»Na, warum denn nicht? Sie haben wohl Angst vor mir gehabt? Ich sollte Ihnen wirklich deshalb böse sein! Wir hätten uns schon längst kennen lernen sollen! Ich bin aber trotzdem Ihr gehorsamster Diener! Das werden Sie mir doch glauben, hoffe ich!«
Er faßte nach ihrer Hand, drückte einen gierigen Kuß darauf und behielt sie dann auf seinem Knie. Er liebkoste ihre Finger und sagte ihr tausend Schmeicheleien. Seine fade Stimme gurgelte wie Wasser im Rinnstein. Seine stechenden Augen funkelten durch die spiegelnden Brillengläser; während seine Hände in die Ärmelöffnung von Emmas Kleid fuhren, um ihren Arm zu betasten. Sie fühlte seinen schnaubenden Atem auf ihrer Wange.
Sie sprang auf und sagte:
»Herr Guillaumin, ich warte….«
»Worauf?« sagte der Notar, plötzlich ganz bleich geworden.
»Auf das Geld!«
»Aber….« In seiner Lüsternheit ließ er sich bewegen zu sagen: »Na ja….«
Trotz seines Schlafrockes fiel er vor Emma auf die Knie und keuchte:
»Bitte, bleiben! Ich liebe Sie!«
Er umschlang ihre Taille.
Ein Blutstrom schoß Emma in die Wangen. Empört machte sie sich von dem Manne los und rief:
»Sie nützen mein Unglück aus! Das ist schamlos! Ich bin beklagenswert, aber nicht käuflich!«
Damit eilte sie hinaus.
Der Notar sah ihr ganz verdutzt nach. Sein Blick fiel auf seine schönen gestickten Pantoffeln. Sie waren ein Geschenk von zarter Hand. Dieser Anblick tröstete ihn schließlich. Überdies fiel ihm ein, daß ihn ein derartiges Abenteuer zu wer weiß was hätte verleiten können.
»Ein gemeiner Mensch! Ein Lump! Ein ehrloser Kerl!« sagte Emma bei sich, als sie hastigen Schritts an den Pappeln hinging. Ihre Enttäuschung über den Mißerfolg verstärkte die Empörung ihres Schamgefühls. Es war ihr, als verfolge sie ein unseliges Geschick, und dieses Gefühl erfüllte sie von neuem mit Stolz. Nie in ihrem Leben war sie hochmütiger und selbstbewußter gewesen und noch nie so voller Menschenverachtung. Ein wilder Trotz entflammte sie. Sie hätte alle Männer schlagen, ihnen ins Gesicht speien, sie niedertreten mögen. Während sie weitereilte, bleich, zitternd, verbittert, irrten ihre tränenreichen Augen den grauen Horizont hin. Mit einer gewissen Wollust bohrte sie sich in Haß hinein.
Als sie ihr Haus von weitem wiedersah, erstarrte sie. Die Beine versagten ihr. Sie konnte nicht weiter … Aber es mußte sein! Wohin hätte sie fliehen können?
Felicie erwartete sie an der kleinen Pforte.
»Gnädige Frau?«
»Es war umsonst!«
Eine Viertelstunde lang gingen sie zusammen alle Yonviller durch, die vielleicht ihr zu helfen geneigt wären. Aber bei jedem Namen, den Felicie nannte, wandte Emma ein:
»Unmöglich! Die tun es nicht!«
»Der Herr Doktor muß jeden Augenblick nach Hause kommen!«
»Ich weiß es! Laß mich allein!«
Sie hatte alles versucht. Nun mußte sie den Dingen ihren Lauf lassen. Karl würde