Гюстав Флобер

Gesammelte Werke von Gustave Flaubert


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im entferntesten dachte sie daran, daß sie sich prostituierte.

      Achtes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem Wege fragte sie sich: »Was werde ich ihm sagen? Womit soll ich anfangen?«

      Je näher sie kam, um so bekannter erschienen ihr die Büsche und Bäume, der Ginster am Hange und schließlich das Herrenhaus vor ihr. Die zärtliche Liebesstimmung von damals tauchte wieder auf, und ihr armes gequältes Herz schwoll im Nachhall der vergangenen Seligkeit. Ein lauer Wind strich ihr übers Gesicht. Schmelzender Schnee fiel, Tropfen auf Tropfen, von den knospenden Bäumen hernieder ins Gras.

      Wie einst schlüpfte sie durch die kleine Gartenpforte und ging über den von einer doppelten Lindenreihe durchschnittenen Herrenhof. Die Bäume wiegten säuselnd ihre langen Zweige. Sämtliche Hunde im Zwinger schlugen an, aber trotz ihres Gebells erschien niemand.

      Sie stieg die breite, mit einem hölzernen Geländer versehene Treppe hinauf. Die führte zu einem mit Steinfliesen belegten staubigen Gang, auf den eine lange Reihe verschiedener Zimmer mündete, wie in einem Kloster oder in einem Hotel. Rudolfs Zimmer lag links ganz am Ende. Als sie die Finger um die Türklinke legte, verließen sie plötzlich die Kräfte. Sie fürchtete, er möchte nicht zu Haus sein, ja, sie wünschte es beinah, und doch war es ihre einzige Hoffnung, der letzte Versuch zu ihrer Rettung. Einen Augenblick sammelte sie sich noch, dachte an ihre Not, faßte Mut und trat ein.

      Er saß vor dem Feuer, beide Füße gegen den Kaminsims gestemmt, und rauchte eine Pfeife.

      »Mein Gott, Sie!« rief er aus und sprang rasch auf.

      »Ja, ich! Rudolf! Ich komme, Sie um einen Rat zu bitten!«

      Weiter brachte sie trotz aller Anstrengung nichts heraus.

      »Sie haben sich nicht verändert! Sie sind noch immer reizend.«

      »So,« wehrte sie voll Bitternis ab, »das müssen traurige Reize sein, mein Freund, da Sie sie verschmäht haben!«

      Und nun begann er sein damaliges Benehmen zu erklären. Er entschuldigte sich in halbschürigen Ausdrücken, da er etwas Ordentliches nicht vorzubringen hatte. Emma ließ sich durch seine Worte fangen, mehr noch durch den Klang seiner Stimme und durch seine Gegenwart. Dies war so mächtig, daß sie sich stellte, als schenke sie seinen Ausflüchten Glauben. Vielleicht glaubte sie ihm auch wirklich. Er deutete ein Geheimnis an, von dem die Ehre und das Leben eines dritten Menschen abgehangen hätte.

      »Das ist ja nun gleichgültig«, sagte sie und sah ihn traurig an. »Ich habe schwer gelitten!«

      Rudolf meinte philosophisch:

      »So ist das Leben!«

      »Hat es wenigstens Ihnen Gutes gebracht, nach unserer Trennung?« fragte sie.

      »Ach, nichts Gutes und nichts Schlechtes!«

      »Dann wäre es vielleicht besser gewesen, wenn wir damals nicht voneinander gegangen wären?«

      »Ja! Vielleicht!«

      »Glaubst du das?« fragte sie, indem sie aufseufzend ihm näher trat. »Ach Rudolf! Wenn du wüßtest! Ich habe dich sehr lieb gehabt!«

      Jetzt war sie es, die seine Hand ergriff. Eine Zeitlang saßen sie mit verschlungenen Händen da wie damals, am Bundestage der Landwirte. In einer sichtlichen Regung seines Stolzes kämpfte er gegen seine eigene Rührung. Da schmiegte sich Emma an seine Brust und sagte:

      »Wie hast du nur glauben können, daß ich ohne dich leben sollte! Ein Glück, das man besessen, vergißt man nie! Ich war ganz verzweifelt! Dem Tode nahe! Ich will dir alles erzählen, du sollst alles erfahren. Aber du! Du hast mich nicht einmal sehen mögen!«

      In der Tat war er ihr seit drei Jahren ängstlich aus dem Wege gegangen, in jener natürlichen Feigheit, die für das starke Geschlecht charakteristisch ist. Emma sprach weiter, unter zierlichen Sendungen ihres Kopfes, schmeichlerischer als eine verliebte Katze.

      »Du liebst andre! Gesteh es nur! Ach, ich begreife das ja auch und entschuldige diese anderen! Du hast sie verführt, wie du mich verführt hast. Du bist der geborene Verführer! Hast alles, was uns Frauen verrückt macht. Aber sag! Wollen wir von neuem beginnen? Ja? Sieh, ich lache! Ich bin glücklich!… So rede doch!«

      Sie sah entzückend aus. Eine Träne zitterte in ihrem Auge, wie eine Wasserperle nach einem Gewitter im Kelch einer blauen Blume.

      Er zog sie auf seine Knie und strich mit der Hand liebkosend ihr Haar, über das der letzte Sonnenstrahl wie ein goldner Pfeil hinwegflog, funkelnd im Dämmerlicht. Sie senkte die Stirn, und er küßte sie leise und sanft auf die Augenlider.

      »Du hast geweint?« fragte er. »Warum?«

      Da schluchzte sie laut auf. Rudolf hielt das für einen Ausbruch ihrer Liebe, und da sie kein Wort sagte, nahm er ihr Schweigen für eine letzte Scham und rief aus:

      »O, verzeih mir! Du bist die einzige, die mir gefällt. Ich war ein Tor, ein Schwächling! Ein Elender! Ich liebe dich! Ich werde dich immer lieben! Aber was hast du? Sag es mir doch!«

      Er sank ihr zu Füßen.

      »So höre!… Ich bin zugrunde gerichtet, Rudolf! Du mußt mir dreitausend Franken leihen.«

      »Ja … aber….«

      Er erhob sich langsam, und sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an.

      »Du mußt nämlich wissen,« fuhr sie schnell fort, »daß mein Mann sein ganzes Vermögen einem Notar anvertraut hatte. Der ist flüchtig geworden. Wir haben uns Geld geliehen. Die Patienten bezahlten nicht. Übrigens ist der Nachlaßkonkurs meines Schwiegervaters noch nicht zu Ende. Wir werden bald wieder Geld haben. Aber heute fehlen uns dreitausend Franken. Deswegen sollen wir gepfändet werden. Und zwar gleich, in einer Stunde! Ich baue auf deine Freundschaft, und deshalb bin zu dir gekommen!«

      »Aha!« dachte Rudolf und ward plötzlich blaß. »Also darum ist sie gekommen!« Nach einer kleinen Weile sagte er gelassen: »Verehrteste, soviel habe ich nicht!«

      Er log nicht. Er würde ihr die Summe wohl gegeben haben, wenn er sie da gehabt hätte, obgleich es ihm wie den meisten Menschen unangenehm gewesen wäre, sich großmütig zeigen zu müssen. Von allen Feinden, die über die Liebe herfallen können, ist eine Bitte um Geld der hartherzigste und gefährlichste.

      Sie sah ihn erst lange fest an; dann sagte sie:

      »Du hast sie nicht!« Und mehrere Male wiederholte sie: »Du hast sie nicht!… Ich hätte mir diese letzte Schmach also ersparen können! Du hast mich nie geliebt! Du bist nicht mehr wert als die andern!«

      Sie verriet sich und ihre Frauenehre.

      Rudolf unterbrach sie und versicherte, er sei selbst in Verlegenheit.

      »Ach! Du tust mir sehr leid….«, sagte Emma. »Ja, ungemein!«

      Ihre Augen blieben an einer damaszierten Büchse hängen, die im Gewehrschrank blinkte.

      »Aber wenn man arm ist, dann kauft man sich keine Flinten mit Silberbeschlag, kauft man sich keine Stutzuhr mit Schildpatteinlagen, keine Reitstöcke mit goldnen Griffen!« Sie berührte einen, der auf dem Tische lag. »Und trägt keine solche Berlocken an der Uhrkette!« Ach, er ließ sich sichtlich nichts abgehen. Das bewies allein das Likörschränkchen im Zimmer. »Ja, dich selber, dich liebst du! Dich und ein gutes Leben! Du hast ein Schloß, Pachthöfe, Wälder! Du reitest die Jagden mit, machst Reisen nach Paris! Und wenn du mir nur das gegeben hättest!« Sie sprach immer lauter und nahm seine mit Brillanten geschmückten Manschettenknöpfe vom Kamin. »Diesen und andern entbehrlichen Tand! Geld läßt sich schnell schaffen! Aber nun nicht mehr! Ich will nichts davon haben! Behalt alles!« Sie schleuderte die beiden Knöpfe weit von sich. Sie schlugen gegen die Wand. Ein Goldkettchen zerbrach.

      »Ich, ach, ich hätte