der rheumatisch war; Frau Franz, die über Magenbeschwerden klagte. Endlich brachten ihn die drei Pferde von dannen. Man fand aber allgemein, daß er sich nicht besonders liebenswürdig gezeigt habe.
Nunmehr wurde die Aufmerksamkeit auf den Pfarrer Bournisien gelenkt, der mit dem Sterbesakrament an den Hallen hinging.
Seiner Weltanschauung treu, verglich Homais die Geistlichen mit den Raben, die der Leichengeruch anlockt. Der Anblick eines »Pfaffen« war ihm ein Greuel. Er mußte bei einer Soutane immer an ein Leichentuch denken, und so verwünschte er jene schon deshalb, weil er dieses fürchtete.
Trotzdem verzichtete er nicht auf die gewissenhafte Erfüllung seiner »Mission«, wie er es nannte, und kehrte mit Canivet, dem dies von Larivière dringend ans Herz gelegt worden war, in das Bovarysche Haus zurück. Wenn seine Frau nicht völlig dagegen gewesen wäre, hätte er sogar seine beiden Knaben mitgenommen, damit sie das große Ereignis, das der Tod eines Menschen ist, kennen lernten. Es sollte ihnen eine Lehre, ein Beispiel, ein ernster Eindruck sein, eine Erinnerung für ihr ganzes weiteres Leben.
Sie fanden das Zimmer voll düstrer Feierlichkeit. Auf dem mit einem weißen Tischtuch bedeckten Nähtische stand zwischen zwei brennenden Wachskerzen ein hohes Kruzifix; daneben eine silberne Schüssel und fünf oder sechs Stück Watte. Emmas Kinn war ihr auf die Brust hinabgesunken, ihre Augen standen unnatürlich weit offen, und ihre armen Hände tasteten über den Bettüberzug hin, mit einer jener rührend-schrecklichen Gebärden, die Sterbenden eigen sind. Man hat die Empfindung, als bereiteten sie sich selber ihr Totenbett. Karl stand am Fußende des Lagers, ihrem Antlitz gegenüber, bleich wie eine Bildsäule, tränenlos, aber mit Augen, die rot waren wie glühende Kohlen. Der Priester kniete und murmelte leise Worte.
Emma wandte langsam ihr Haupt und empfand beim Anblick der violetten Stola sichtlich Freude. Offenbar fühlte sie einen seltsamen Frieden, eine Wiederholung derselben mystischen Wollust, die sie schon einmal erlebt hatte. Etwas wie eine Vision von himmlischer Glückseligkeit betäubte ihre letzten Leiden.
Der Priester erhob sich und ergriff das Kruzifix. Da reckte sie den Kopf in die Höhe, wie ein Durstiger, und preßte auf das Symbol des Gott-Menschen mit dem letzten Rest ihrer Kraft den innigsten Liebeskuß, den sie jemals gegeben hatte. Dann sprach der Geistliche das Misereatur und Indulgentiam, tauchte seinen rechten Daumen in das Öl und nahm die letzte Ölung vor. Zuerst salbte er die Augen, die es nach allem Herrlichen auf Erden so heiß gelüstet; dann die Nasenflügel, die so gern die lauen Lüfte und die Düfte der Liebe eingesogen; dann den Mund, der so oft zu Lügen sich aufgetan, oft hoffärtig gezuckt und in sündigem Girren geseufzt hatte; dann die Hände, die sich an vergnüglichen Berührungen ergötzt hatten; und endlich die Sohlen der Füße, die einst so flink waren, wenn sie zur Stillung von Begierden liefen, und die jetzt keinen Schritt mehr tun sollten.
Der Priester trocknete sich die Hände, warf das ölgetränkte Stück Watte ins Feuer und setzte sich wieder zu der Sterbenden. Er sagte ihr, daß ihre Leiden nunmehr mit denen Jesu Christi eins seien. Sie solle der göttlichen Barmherzigkeit vertrauen.
Als er mit seiner Tröstung zu Ende war, versuchte er, ihr eine geweihte Kerze in die Hand zu drücken, das Symbol der himmlischen Glorie, von der sie nun bald umstrahlt sein sollte. Aber Emma war zu schwach, um die Finger zu schließen, und wenn Bournisien nicht rasch wieder zugegriffen hätte, wäre die Kerze zu Boden gefallen.
Emma war nicht mehr so bleich wie erst. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck heiterer Glückseligkeit angenommen, als ob das Sakrament sie wieder gesund gemacht hätte.
Der Priester verfehlte nicht, die Umstehenden darauf hinzuweisen, ja er gemahnte Bovary daran, daß der Herr zuweilen das Leben Sterbender wieder verlängere, wenn er es zum Heil ihrer Seele für notwendig erachte. Karl dachte an den Tag zurück, an dem sie schon einmal, dem Tode nahe, die letzte Ölung empfangen hatte.
»Vielleicht brauche ich noch nicht zu verzweifeln!« dachte er.
Wirklich sah sie sich langsam um wie jemand, der aus einem Traum erwacht. Dann verlangte sie mit deutlicher Stimme ihren Spiegel und betrachtete darin eine Weile ihr Bild, bis ihr die Tränen aus den Augen rollten. Darnach legte sie den Kopf zurück, stieß einen Seufzer aus und sank in das Kissen.
Ihre Brust begann alsbald heftig zu keuchen. Die Zunge trat weit aus dem Munde. Die Augen begannen zu rollen und ihr Licht zu verlieren wie zwei Lampenglocken, hinter denen die Flammen verlöschen. Man hätte glauben können, sie sei schon tot, wenn ihre Atmungsorgane nicht so fürchterlich heftig gearbeitet hätten. Es war, als schüttle sie ein wilder innerer Sturm, als ringe das Leben gewaltig mit dem Tode.
Felicie kniete vor dem Kruzifix, und sogar der Apotheker knickte ein wenig die Beine, während Canivet gleichgültig auf den Markt hinausstarrte. Bournisien hatte wieder zu beten begonnen, die Stirn gegen den Rand des Bettes geneigt, weit hinter sich die lange schwarze Soutane. An der andern Seite des Bettes kniete Karl und streckte beide Arme nach Emma aus. Er ergriff ihre Hände und drückte sie! Bei jedem Schlag ihres Pulses zuckte er zusammen, als stürze eine Ruine auf ihn.
Je stärker das Röcheln wurde, um so mehr beschleunigte der Priester seine Gebete. Sie mischten sich mit dem erstickten Schluchzen Bovarys, und zuweilen vernahm man nichts als das dumpfe Murmeln der lateinischen Worte, das wie Totengeläut klang.
Plötzlich klapperten draußen auf der Straße Holzschuhe. Ein Stock schlug mehrere Male auf, und eine Stimme erhob sich, eine rauhe Stimme, und sang:
‘Wenns Sommer worden weit und breit,
Wird heiß das Herze mancher Maid….’
Emma richtete sich ein wenig auf, wie eine Leiche, durch die ein elektrischer Strom geht. Ihr Haar hatte sich gelöst, ihre Augensterne waren starr, ihr Mund stand weit auf.
‘Nanette ging hinaus ins Feld,
Zu sammeln, was die Sense fällt.
Als sie sich in der Stoppel bückt,
Da ist passiert, was sich nicht schickt….’
»Der Blinde!« schrie sie.
Sie brach in Lachen aus, in ein furchtbares, wahnsinniges, verzweifeltes Lachen, weil sie in ihrer Phantasie das scheußliche Gesicht des Unglücklichen sah, wie ein Schreckgespenst aus der ewigen Nacht des Jenseits….
‘Der Wind, der war so stark … O weh!
Hob ihr die Röckchen in die Höh.’
Ein letzter Krampf warf sie in das Bett zurück. Alle traten hinzu. Sie war nicht mehr.
Zehntes Kapitel
Nach dem Tode eines Menschen sind die Umstehenden immer wie betäubt. So schwer ist es, den Hereinbruch des ewigen Nichts zu begreifen und sich dem Glauben daran zu ergeben. Karl aber, als er sah, daß Emma unbeweglich dalag, warf sich über sie und schrie:
»Lebwohl! Lebwohl!«
Homais und Canivet zogen ihn aus dem Zimmer.
»Fassen Sie sich!«
»Ja!« rief er und machte sich von ihnen los. »Ich will vernünftig sein! Ich tue ja nichts. Aber lassen Sie mich! Ich muß sie sehen! Es ist meine Frau!«
Er weinte.
»Weinen Sie nur!« sagte der Apotheker. »Lassen Sie der Natur freien Lauf! Das wird Sie erleichtern!«
Da wurde Karl schwach wie ein Kind und ließ sich in die Große Stube im Erdgeschoß hinunterführen. Homais ging bald darnach in sein Haus zurück.
Auf dem Markte wurde er von dem Blinden angesprochen, der sich bis Yonville geschleppt hatte, um die Salbe zu holen. Jeden Vorübergehenden hatte er gefragt, wo der Apotheker wohne.
»Großartig! Als wenn ich gerade jetzt nicht schon genug zu tun hätte! Bedaure! Komm ein andermal!«
Er verschwand schnell