auf eine möglichst harmlose Weise zu erklären. Er wollte einen Artikel für den »Leuchtturm von Rouen« daraus machen. Außerdem wartete eine Menge neugieriger Leute auf ihn. Alle wollten Genaueres wissen. Nachdem er mehreremals wiederholt hatte, Frau Bovary habe bei der Zubereitung von Vanillecreme aus Versehen Arsenik statt Zucker genommen, begab er sich abermals zu Bovary.
Er fand ihn allein. Canivet war eben fortgefahren. Karl saß im Lehnstuhl am Fenster und starrte mit blödem Blick auf die Dielen.
»Wir müssen die Stunde für die Feierlichkeit festsetzen!« sagte der Apotheker.
»Wozu? Für was für eine Feierlichkeit?« Stammelnd und voll Grauen fügte er hinzu: »Nein, nein … nicht wahr? Ich darf sie dabehalten?«
Um seine Haltung zu bewahren, nahm Homais die Wasserflasche vom Tisch und begoß die Geranien.
»O, ich danke Ihnen!« sagte Karl. »Sie sind sehr gütig….«
Er wollte noch mehr sagen, aber die Fülle von Erinnerungen, die des Apothekers Tun in ihm wachrief, überwältigte ihn. Es waren Emmas Blumen!
Homais gab sich Mühe, ihn zu zerstreuen, und begann über die Gärtnerei zu plaudern. Die Pflanzen hätten die Feuchtigkeit sehr nötig. Karl nickte zustimmend.
»Jetzt werden auch bald schöne Tage kommen….«
Bovary seufzte.
Der Apotheker wußte nicht mehr, wovon er reden sollte, und schob behutsam eine Scheibengardine beiseite.
»Sehn Sie, da drüben geht der Bürgermeister!«
Karl wiederholte mechanisch:
»Da drüben geht der Bürgermeister!«
Homais wagte nicht, auf die Vorbereitungen zum Begräbnis zurückzukommen. Erst der Pfarrer brachte Bovary zu einem Entschlusse hierüber.
Karl schloß sich in sein Sprechzimmer ein, ergriff die Feder, und nachdem er eine Zeitlang geschluchzt hatte, schrieb er:
»Ich bestimme, daß man meine Frau in ihrem Hochzeitskleid begrabe, in weißen Schuhen, einen Kranz auf dem Haupte. Das Haar soll man ihr über die Schultern legen. Drei Särge: einen aus Eiche, einen aus Mahagoni, einen von Blei. Man soll mich nicht trösten wollen! Ich werde stark sein. Und über den Sarg soll man ein großes Stück grünen Samt breiten. So will ich es! Tut es!«
Man war über Bovarys Romantik arg erstaunt, und der Apotheker ging sofort zu ihm hinein, um ihm zu sagen:
»Das mit dem Samt scheint mir übertrieben. Allein die Kosten….«
»Was geht Sie das an!« schrie Karl. »Lassen Sie mich! Sie haben sie nicht geliebt! Gehn Sie!«
Der Priester faßte Karl unter den Arm und führte ihn in den Garten. Er sprach von der Vergänglichkeit alles Irdischen. Gott sei gut und weise. Man müsse sich ohne Murren seinem Ratschluß unterwerfen. Man müsse ihm sogar dafür danken.
Aber Karl brach in Gotteslästerungen aus.
»Ich verfluche ihn, euren Gott!«
»Der Geist des Aufruhrs steckt noch in Ihnen!« seufzte der Priester.
Bovary ließ ihn stehen. Mit großen Schritten ging er die Gartenmauer entlang, an den Spalieren hin. Er knirschte mit den Zähnen und sah mit Blicken zum Himmel, die Verwünschungen waren. Aber auch nicht ein Blatt wurde davon bewegt.
Es begann zu regnen. Karls Weste stand offen. Nach einer Weile fror ihn. Er ging ins Haus zurück und setzte sich an den Herd in der Küche.
Um sechs Uhr hörte er Wagengerassel draußen auf dem Markte. Es war die Post, die von Rouen zurückkehrte. Er preßte die Stirn gegen die Scheiben und sah zu, wie die Reisenden nacheinander ausstiegen. Felicie legte ihm eine Matratze in das Wohnzimmer, er warf sich darauf und schlief ein.
Herr Homais war ein Freigeist, aber er ehrte die Toten. Er trug dem armen Karl auch nichts nach und kam abends, um Totenwache zu halten. Er brachte drei Bücher und ein Notizbuch mit. Er pflegte sich Auszüge zu machen.
Bournisien fand sich gleichfalls ein. Zwei hohe Wachskerzen brannten am Kopfende des Bettes, das man aus dem Alkoven hervorgerückt hatte.
Der Apotheker, dem das Schweigen unheimlich vorkam, drechselte Jeremiaden über die »unglückliche junge Frau«. Der Priester unterbrach ihn. Es sei nichts am Platze, als für sie zu beten.
»Immerhin«, versetzte Homais, »sind nur zwei Fälle möglich. Entweder ist sie, wie sich die Kirche ausdrückt, selig verschieden. Dann bedarf sie unsrer Gebete nicht. Oder sie ist als Sünderin von hinnen gegangen … Oder wie lautet hier der kirchliche Ausdruck? Dann….«
Bournisien unterbrach ihn und erklärte in mürrischem Tone, man müsse in jedem Falle beten.
»Aber sagen Sie mir,« wandte der Apotheker ein, »da Gott stets weiß, was uns not tut, wozu dann erst das Gebet?«
»Wozu das Gebet?« wiederholte der Priester. »Ja, sind Sie denn kein Christ?«
»Verzeihung! Ich bewundre das Christentum. Es hat zuerst die Sklaverei abgeschafft, es hat der Welt eine neue Moral geschenkt, die….«
»Davon reden wir nicht. In der Heiligen Schrift….«
»Gehen Sie mir mit der Bibel! Lesen Sie in der Geschichte nach! Man weiß, daß sie von den Jesuiten gefälscht ist….«
Karl trat ein, näherte sich dem Totenbette und zog langsam die Vorhänge beiseite.
Emmas Kopf war ein wenig nach der rechten Schulter zu geneigt. Ihr Mund stand offen und sah wie ein schwarzes Loch im unteren Teil ihres Gesichtes aus. Beide Daumen hatten sich fest in die Handballen gedrückt. Etwas wie weißer Staub lag in ihren Wimpern, und die Augen verschwammen bereits in blassem Schleim, der wie ein dünnes Gewebe war, als hätten Spinnen ihr Netz darüber gesponnen. Das Bettuch senkte sich von ihren Brüsten bis zu den Knien und hob sich von da an nach ihren Fußspitzen. Karl hatte die Empfindung, ein schweres Etwas, ein ungeheures Gewicht laste auf ihr.
Die Turmuhr der Kirche schlug zwei Uhr. Vom Garten her drang das dumpfe Murmeln des Baches, der in die dunkle Ferne strömte. Von Zeit zu Zeit schneuzte sich Bournisien geräuschvoll, und Homais kritzelte Notizen auf das Papier.
»Lieber Freund,« sagte er, »gehn Sie nun! Dieser Anblick zerreißt Ihnen das Herz!«
Sobald Karl das Zimmer verlassen hatte, begannen die beiden ihre Erörterung von neuem.
»Lesen Sie Voltaire!« sagte der eine. »Lesen Sie Holbach! Die Enzyklopädisten!«
»Lesen Sie die ‘Briefe einiger portugiesischen Juden’«, sagte der andre, »lesen Sie die `Grundlagen des Christentums’ von Nicolas!«
Sie regten sich auf, bekamen rote Köpfe und sprachen gleichzeitig ineinander hinein. Bournisien war entrüstet über die Vermessenheit des Apothekers, Homais erstaunt über die Beschränktheit des Priesters. Sie waren beide nahe daran, sich Beleidigungen zu sagen, da kam plötzlich Karl abermals herein. Eine unwiderstehliche Gewalt zog ihn her. Er mußte immer wieder die Treppe hinauf.
Er setzte sich der Toten gegenüber, so daß er ihr voll ins Antlitz sehen konnte. Er verlor sich in ihren Anblick, mit einer Innigkeit, die den Schmerz verscheuchte.
Er erinnerte sich an allerlei Legenden von Scheintoten und von den Wundern des Magnetismus. Er bildete sich ein, er könne sie wieder aufwecken, wenn er alle seine Willenskraft konzentriere. Einmal beugte er sich sogar über sie und rief ganz leise: »Emma, Emma!«
Er atmete so heftig, daß die Flammen der Kerzen flackerten….
Bei Tagesanbruch traf die alte Frau Bovary ein. Karl umarmte sie und brach von neuem in Tränen aus. Ebenso wie der Apotheker versuchte sie, ihm wegen des Aufwandes beim Begräbnisse Vorstellungen zu machen, aber er brauste so auf, daß sie schwieg. Hinterher beauftragte er sie sogar, baldigst in die Stadt zu fahren und das Nötige zu besorgen.
Karl blieb den ganzen Nachmittag allein. Berta