schrieb, war die Rede von Blumen, Versen, vom Mond und den Sternen, mit einem Worte von allen den primitiven Requisiten, die eine mattgewordne Leidenschaft aufbaut, um den Schein aufrecht zu erhalten. Immer wieder erhoffte sie sich von dem nächsten Beieinandersein die alte Glückseligkeit, aber hinterher gestand sie sich jedesmal, daß sie nichts davon gespürt hatte. Diese Enttäuschung wandelte sich trotzdem in neues Hoffen. Emma kam immer wieder zu Leo voll Begehren und sinnlicher Erregung. Sie warf die Kleider ab und riß das Korsett herunter, dessen Schnuren ihr um die Hüften schlugen wie zischende Schlangen. Mit nackten Füßen lief sie an die Tür und überzeugte sich, daß sie verriegelt war. Mit einer hastigen Bewegung entledigte sie sich dann des Hemdes – und bleich, stumm, ernst und von Schauern durchströmt, warf sie sich in seine Arme.
Aber auf ihrer von kaltem Schweiß beperlten Stirn, auf ihren stöhnenden Lippen, in ihren irren Augen, in ihrer wilden Umarmung lebte etwas Unheimliches, Feindseliges, Todtrauriges. Leo fühlte es. Es hatte sich eingeschlichen, um sie zu trennen.
Ohne daß er darnach zu fragen wagte, kam er ferner zu der Erkenntnis, daß die Geliebte alle Prüfungen der Lust und des Leids schon einmal an sich selber erfahren haben mußte. Was ihn dereinst entzückt hatte, das flößte ihm jetzt Grauen ein.
Dazu kam, daß er gegen die täglich zunehmende Vergewaltigung seiner Person rebellierte. Er grollte ihr ob ihrer immer neuen Siege. Oft zwang er sich, kalt zu bleiben, aber wenn er sie dann auf sich zukommen sah, ward er doch wieder schwach, wie ein Absinthtrinker, den das grüne Gift immer wieder verführt.
Allerdings wandte sie alle Liebeskünste an: von ausgesuchten Genüssen bei Tisch bis zu den Raffinements der Kleidung und den schmachtendsten Zärtlichkeiten. Sie brachte aus ihrem Garten Rosen mit, die sie an der Brust trug und ihm ins Gesicht warf. Sie sorgte sich um seine Gesundheit und gab ihm gute Ratschläge, wie er leben solle. Abergläubisch schenkte sie ihm ein Amulett mit einem Madonnenbildchen. Wie eine ehrsame Mutter erkundigte sie sich nach seinen Freunden und Bekannten.
»Laß sie! Geh nicht aus! Denk nur an mich und bleib mir treu!«
Am liebsten hätte sie ihn überwacht oder gar überwachen lassen. Mitunter kam ihr letzteres in den Sinn. Es trieb sich in der Nähe des Boulogner Hofes regelmäßig ein Tagedieb herum, der dies wohl übernommen hätte. Aber ihr Stolz hielt sie davon ab.
»Mag er mich hintergehen! Dann ist er eben nichts wert! Was tuts? Ich halte ihn nicht!«
Eines Tages ging sie zeitiger von ihm weg als gewöhnlich. Als sie allein den Boulevard hinschlenderte, bemerkte sie die Mauer ihres Klosters. Da setzte sie sich auf eine schattige Bank unter den Ulmen. Wie friedsam hatte sie damals gelebt! Sie bekam Sehnsucht nach den jungfräulichen Vorstellungen von der Liebe, die sie sich damals aus Büchern erträumt hatte….
Dann erinnerte sie sich an ihre Flitterwochen … an den Vicomte, mit dem sie Walzer getanzt hatte, … an die Ritte durch den Wald … an den Tenor Lagardy … Alles das zog wieder an ihr vorüber…. Und mit einem Male stand ihr auch Leo so fern wie alles andre.
»Aber ich liebe ihn doch!« flüsterte sie.
Sie war dennoch nicht glücklich, und nie war sie das gewesen! Warum reichte ihr das Leben nie etwas Ganzes? Warum kam immer gleich Moder in alle Dinge, die sie an ihr Herz zog?
Wenn es irgendwo auf Erden ein Wesen gab, stark und schön und tapfer, begeisterungsfähig und liebeserfahren zugleich, mit einem Dichterherzen und einem Engelskörper, ein Schwärmer und Sänger, warum war sie ihm nicht zufällig begegnet? Ach, weil das eine Unmöglichkeit ist! Weil es vergeblich ist, ihn zu suchen! Weil alles Lug und Trug ist! Jedes Lächeln verbirgt immer nur das Gähnen der Langweile, jede Freude einen Fluch, jeder Genuß den Ekel, der ihm unvermeidlich folgt! Die heißesten Küsse hinterlassen dem Menschen nichts als die unstillbare Begierde nach der Wollust der Götter!
Eherne Klänge dröhnten durch die Luft. Die Klosterglocke schlug viermal. Vier Uhr! Es dünkte Emma, sie säße schon eine Ewigkeit auf ihrer Bank. Unendlich viel Leidenschaft kann sich in einer Minute zusammendrängen, wie eine Menschenmenge in einem kleinen Raume….
Emma lebte nur noch für sich selbst. Die Geldangelegenheiten kümmerten sie nicht mehr. Aber eines Tages erschien ein Mann von schäbigem Aussehen und erklärte, Herr Vinçard in Rouen schicke ihn her. Er zog die Stecknadeln heraus, mit denen er die eine Seitentasche seines langen grünen Rockes verschlossen hatte, steckte sie im Ärmelaufschlag fest und überreichte ihr höflich ein Papier. Es war ein Wechsel auf siebenhundert Franken, den sie ausgestellt hatte. Lheureux hatte ihn seinem Versprechen entgegen an Vinçard weitergegeben.
Sie schickte Felicie zu dem Händler. Er könne nicht abkommen, liess er zurücksagen. Der Unbekannte hatte stehend gewartet und dabei hinter seinen dichten blonden Augenlidern neugierige Blicke auf Haus und Hof gerichtet. Jetzt fragte er einfältig:
»Was soll ich Herrn Vinçard ausrichten?«
»Sagen Sie ihm nur«, gab Emma zur Antwort, »… ich hätte kein Geld! Vielleicht in acht Tagen … Er solle warten … Ja, ja, in acht Tagen!«
Der Mann ging, ohne etwas zu erwidern. Aber am Tage darauf erhielt sie eine Wechselklage. Auf der gestempelten Zustellungsurkunde starrten ihr mehrfach die Worte »Hareng, Gerichtsvollzieher in Büchy« entgegen. Darüber erschrak sie dermaßen, daß sie spornstreichs zu Lheureux lief.
Er stand in seinem Laden und schnürte gerade ein Paket zu.
»Ihr Diener!« begrüßte er sie. »Ich stehe Ihnen sogleich zur Verfügung!«
Im übrigen ließ er sich in seiner Beschäftigung nicht stören, bei der ihm ein etwa dreizehnjähriges Mädchen half. Es war ein wenig verwachsen und versah bei dem Händler zugleich die Stelle des Ladenmädchens und der Köchin.
Als er fertig war, führte er Frau Bovary hinauf in den ersten Stock. Er ging ihr in seinen schlürfenden Holzschuhen auf der Treppe voran. Oben öffnete er die Tür zu einem engen Gemach, in dem ein großer Schreibtisch mit einem Aufsatz voller Rechnungsbücher stand, die durch eine eiserne, mit einem Vorhängeschloß versehene Stange verwahrt waren. An der Wand stand ein Geldschrank von solcher Größe, daß er sichtlich noch andre Dinge als bloß Geld und Banknoten enthalten mußte. In der Tat lieh Lheureux Geld auf Pfänder aus. In diesem Schrank lagen unter anderm die Kette der Frau Bovary und die Ohrringe des alten Tellier. Der ehemalige Besitzer des Café Français hatte inzwischen sein Grundstück verkaufen müssen und in Quincampoix einen kleinen Kramladen eröffnet. Dort ging er seiner Schwindsucht langsam zugrunde, inmitten seiner Talglichte, die weniger gelb waren als sein Gesicht.
Lheureux setzte sich in seinen großen Rohrstuhl und fragte:
»Na, was gibts Neues?«
Emma hielt ihm die Vorladung hin.
»Hier, lesen Sie!«
»Ja, was geht denn mich das an?«
Diese Antwort empörte sie. Sie erinnerte ihn an sein Versprechen, ihre Wechsel nicht in Umlauf zu bringen. Er gab das zu.
»Aber notgedrungen hab ichs doch tun müssen! Mir saß selber das Messer an der Kehle!«
»Und was wird jetzt geschehn?«
»Ganz einfach! Erst kommt ein gerichtlicher Schuldtitel und dann die Zwangsvollstreckung! Schwapp! Ab!«
Emma konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Sie hätte ihm beinahe ins Gesicht geschlagen. Ruhig fragte sie, ob es denn kein Mittel gebe, Herrn Vinçard zu vertrösten.
»Den und vertrösten! Da kennen Sie Vinçard schlecht! Das ist ein Bluthund!«
Dann müsse eben Lheureux einspringen.
»Hören Sie mal,« entgegnete er, »mir scheint, daß ich schon genug für Sie eingesprungen bin! Sehen Sie!« Er schlug seine Bücher auf: »Hier! Am 3. August zweihundert Franken … am l7. Juni hundertundfünfzig Franken … am 23. März sechsundvierzig Franken … am 10. April….«
Er hielt inne, als fürchte er eine Dummheit zu sagen.
»Dazu kommen noch die Wechsel, die mir