harmlosester Weise ein bißchen erholen, dann ists ihnen auch wieder nicht recht. Aber lassen wirs gut sein! Rechnen Sie auf mich! In allernächster Zeit tauch ich in Rouen auf: und dann wollen wir mal zusammen eine Kiste öffnen!«
Früher hätte sich Homais gehütet, einen derartigen Ausdruck zu gebrauchen, aber seit einiger Zeit gefiel er sich ungemein darin, den jovialen Großstädter zu spielen. Ähnlich wie seine Nachbarin, Frau Bovary, fragte er den Adjunkt auf das neugierigste nach den Pariser Sitten und Unsitten aus. Er begann sogar in seiner Redeweise den Jargon der Pariser anzunehmen, um den Philistern zu imponieren.
Eines Donnerstags früh traf ihn Emma zu ihrer Überraschung in der Küche des Goldnen Löwen im Reiseanzug, das heißt, in einen alten Mantel gemummt, in dem man ihn noch nie gesehen hatte, eine Reisetasche in der einen Hand, einen Fußsack in der andern. Er hatte sein Vorhaben keinem Menschen verraten, aus Furcht, die Kundschaft könne an seiner Abwesenheit Anstoß nehmen.
Der Gedanke, die Orte wiedersehen zu sollen, wo er seine Jugend verlebt hatte, regte ihn sichtlich auf, denn während der ganzen Fahrt redete er in einem fort. Kaum war man in Rouen angekommen, so stürzte er aus dem Wagen, um Leo aufzusuchen. Dem Adjunkt half kein Widerstreben: Homais schleppte ihn mit in das »Grand Café zur Normandie«, wo er, bedeckten Hauptes, stolz wie ein Fürst eintrat. Er hielt es nämlich für höchst provinzlerhaft, in einem öffentlichen Lokal den Hut abzunehmen.
Emma wartete drei Viertelstunden lang auf Leo. Schließlich eilte sie in seine Kanzlei. Unter allen möglichen Mutmaßungen, wobei sie ihm den Vorwurf der Gleichgültigkeit und sich selber den der Schwäche machte, verbrachte sie dann den Nachmittag, die Stirn gegen die Scheiben gepreßt, im Boulogner Hofe.
Um zwei Uhr saßen Leo und Homais immer noch bei Tisch. Der große Saal des Restaurants leerte sich. Sie saßen am Ofen, der die Form eines hochragenden Palmenstammes hatte, dessen innen vergoldete Fächer sich unter der weißen Decke ausbreiteten. Neben ihnen, im hellen Sonnenlichte, hinter Glaswänden, sprudelte ein kleiner Springbrunnen über einem Marmorbecken. An seinem Rande hockten zwischen Brunnenkresse und Spargel drei schläfrige Hummern; daneben lagen Wachteln, zu einem Haufen aufgeschichtet.«
Der Apotheker tat sich sozusagen eine Güte. Wenngleich ihn die Pracht noch mehr entzückte als das vortreffliche Mahl, so tat der Burgunder doch seine Wirkung. Und als das Omelett mit Rum aufgetragen ward, da offenbarte er unmoralische Theorien »über die Weiber«. Am meisten rege ihn eine »schicke« Frau auf, und nichts ginge über eine elegante Robe in einem vornehm eingerichteten Raume. Was die körperlichen Reize anbelange, da sei viel Fleisch »nicht ohne«.
Leo sah verzweifelt auf die Uhr. Der Apotheker trank, aß und schmatzte weiter.
»Sie müssen sich übrigens ziemlich einsam fühlen hier in Rouen«, sagte er plötzlich. »Aber schließlich wohnt ja Ihr Liebchen nicht allzuweit.« Da Leo errötete, setzte er hinzu: »Na, gestehen Sie nur! Wollen Sie leugnen, daß Sie in Yonville….«
Der junge Mann stammelte etwas Unverständliches.
»… im Hause Bovary jemanden poussieren….«
»Aber wen denn?«
»Na, das Dienstmädel!«
Es war sein Ernst. Aber Leos Eitelkeit war stärker als alle Vorsicht. Ohne sichs zu überlegen, widersprach er. Er liebe nur brünette Frauen.
»Da haben Sie nicht unrecht«, meinte der Apotheker. »Die haben mehr Temperament!«
Homais begann zu flüstern und verriet seinem Freunde die Symptome, an denen man erkennen könne, ob eine Frau Feuer habe. Er geriet sogar auf eine ethnographische Abschweifung. Die Deutschen seien schwärmerisch, die Französinnen wollüstig, die Italienerinnen leidenschaftlich.
»Und die Negerinnen?« fragte der Adjunkt.
»Das ist etwas für Kenner! Kellner! Zwei Tassen Kaffee!«
»Gehen wir?« fragte Leo ungeduldig.
» Yes!«
Aber zuvor wollte er den Besitzer des Restaurants sprechen und ihm seine Zufriedenheit aussprechen.
Des weiteren schützte der junge Mann einen geschäftlichen Gang vor. Er wollte nun endlich allein sein.
»Ich begleite Sie natürlich!« sagte Homais.
Unterwegs erzählte er unaufhörlich von seiner Frau, von seinen Kindern, von ihrem Gedeihen, von seiner Apotheke, vom verwahrlosten Zustand, in dem er sie übernommen, und wie er sie in die Höhe gebracht habe.
Vor dem Boulogner Hofe verabschiedete sich Leo kurzerhand von ihm, eilte die Treppe hinan und fand seine Geliebte in der größten Erregung. Bei der Erwähnung des Apothekers geriet sie in Wut. Leo versuchte, sie durch allerlei vernünftige Gründe zu beruhigen. Es sei wirklich nicht seine Schuld gewesen. Sie kenne Homais doch. Wie habe sie nur glauben können, daß er lieber mit ihm statt mit ihr zusammen sei? Aber sie wollte gar nichts hören und schickte sich an, fortzugehen. Er hielt sie zurück, sank vor ihr auf die Knie, umschlang sie mit beiden Armen und sah sie mit einem rührenden Blick voller Begehrlichkeit und Unterwürfigkeit an.
Sie stand aufrecht vor ihm. Mit großen flammenden Augen sah sie ihn ernst, fast drohend an. Dann aber verschwamm dieser Ausdruck in Tränen. Ihre geröteten Lider schlossen sich, sie überließ ihm ihre Hände, die er an seine Lippen zog. Da erschien der Hausdiener. Ein Herr wünsche ihn dringend zu sprechen.
»Du kommst doch wieder?« fragte Emma.
»Gewiß!«
»Aber wann?«
»Sofort!«
Es war der Apotheker.
»Ein feiner Trick, nicht?« schmunzelte er, als er Leo erblickte.
»Ich wollte Ihnen Ihre Unterredung verkürzen. Sie war Ihnen doch offensichtlich unangenehm. So! Jetzt gehen wir zu meinem Freund Bridoux, einen Bittern genehmigen!«
Leo beteuerte, er müsse in seine Kanzlei. Aber der Apotheker lachte ihn aus und machte seine Witze über die Juristerei.
»Lassen Sie doch den Aktenkram Aktenkram sein! Zum Teufel, warum nur nicht? Seien Sie kein Frosch! Kommen Sie, wir gehn zu Bridoux! Seinen Terrier müssen Sie mal sehen! Der ist zu spaßig!« Und da der Adjunkt immer noch widerstrebte, fuhr er fort: »Na, da begleite ich Sie wenigstens! Werde in Ihrem Laden eine Zeitung lesen oder in irgendeinem alten Schmöker blättern.«
Leo war wie betäubt durch Emmas Unwillen, durch des Apothekers Geschwätz und vielleicht auch durch die Nachwirkung des reichlichen Frühstücks. Unentschlossen stand er da, während Homais immer wieder in ihn drang:
»Kommen Sie nur mit! Wir gehn zu Bridoux! Er wohnt keine hundert Schritte von hier! Rue Malpalu!«
Diese Aufforderung wirkte wie eine Suggestion. Aus Feigheit oder Narrheit oder aus jenem merkwürdigen Drange, der den Menschen mitunter zu Handlungen bewegt, die seinem eigentlichen Willen zuwiderlaufen, ließ sich Leo zu Bridoux führen. Sie fanden ihn in dem kleinen Hofe seines Hauses, wo er drei Burschen beaufsichtigte, die das große Rad einer Selterwasserzubereitungsmaschine drehten. Nach einer herzlichen Begrüßung gab Homais seinem Kollegen Ratschläge. Dann trank man den Bittern. Leo war hundertmal im Begriffe, sich zu empfehlen, aber Homais hielt ihn immer wieder fest, indem er sagte:
»Gleich! Gleich! Ich gehe ja mit! Wir wollen nun mal in den `Leuchtturm von Rouen’! Dem Redakteur guten Tag sagen. Ich mache Sie mit ihm bekannt, mit Herrn Thomassin.«
Trotzdem machte sich Leo endlich los und eilte wiederum in den Boulogner Hof. Emma war nicht mehr da. Im höchsten Grade aufgebracht, war sie fortgegangen. Jetzt haßte sie Leo. Das Stelldichein zu versäumen, das faßte sie als Beschimpfung auf! Nun suchte sie nach noch andern Gründen, mit ihm zu brechen. Er sei eines höheren Aufschwungs unfähig, schwach, banal, feminin, dazu knickerig und kleinmütig.
Dann wurde sie ruhiger; sie sah ein, daß sie ihn schlechter machte, als er war. Aber das Herabzerren eines Geliebten hinterläßt immer gewisse Spuren. Man darf ein Götzenbild nicht berühren: die Vergoldung bleibt