Гюстав Флобер

Gesammelte Werke von Gustave Flaubert


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der Hauptschuldige. Es sei ein wahres Glück, daß er ihr versprochen habe, die unselige Generalvollmacht zu vernichten….

      »Was?« unterbrach Emma ihre Rede.

      »Jawohl! Er hat mir sein Wort gegeben!«

      Emma öffnete ein Fenster und rief ihren Mann. Der Unglücksmensch mußte zugeben, daß ihm die Mutter das Ehrenwort abgenötigt hatte. Da ging Emma aus dem Zimmer, kam sehr bald wieder und händigte ihrer Schwiegermutter mit der Gebärde einer Fürstin ein großes Schriftstück ein.

      »Ich danke dir!« sagte die alte Frau und steckte die Urkunde in den Ofen.

      Emma brach in eine rauhe, scharfe, andauernde Lache aus. Sie hatte einen Nervenchok bekommen.

      »Ach du mein Gott!« rief Karl aus. »Siehst du, Mutter, es war doch nicht recht von dir! Du darfst ihr nicht so zusetzen!«

      Sie zuckte mit den Achseln. Das sei alles »bloß Tuerei!«

      Da lehnte sich Karl zum ersten Male in seinem Leben gegen sie auf und vertrat Emma so nachdrücklich, daß die alte Frau erklärte, sie werde abreisen. In der Tat tat sie das andern Tags. Als Karl sie noch einmal auf der Schwelle zum Bleiben überreden wollte, erwiderte sie:

      »Nein, nein! Du liebst sie mehr als mich, und das ist ja ganz in der Ordnung! Wenn es auch dein Nachteil ist. Du wirst ja sehen…. Laß dirs wohl gehn! Ich werde ihr nicht sogleich wieder – sozusagen – zusetzen!«

      Nicht weniger als armer Sünder stand er dann vor Emma, die ihm erbittert vorwarf, er habe kein Vertrauen mehr zu ihr. Er mußte erst lange bitten, ehe sie sich herabließ, eine neue Generalvollmacht anzunehmen. Er begleitete sie zu Guillaumin, der sie ausstellen sollte.

      »Sehr begreiflich!« meinte der Notar. »Ein Mann der Wissenschaft darf sich durch die Alltagsdinge nicht ablenken lassen.«

      Karl fühlte sich durch diese im väterlichen Tone vorgebrachte Weisheit wieder aufgerichtet. Sie bemäntelte seine Schwachheit mit der schmeichelhaften Entschuldigung, er sei mit höheren Dingen beschäftigt.

      Am Donnerstag darauf, in ihrem Zimmer im Boulogner Hofe, in Leos Armen war sie über die Maßen ausgelassen. Sie lachte, weinte, sang, tanzte, ließ sich Sorbett heraufbringen und rauchte Zigaretten. So überschwenglich sie ihm auch vorkam, er fand sie doch köstlich und bezaubernd. Er ahnte nicht, daß es in ihrem Innern gärte und daß sie sich aus diesem Motiv kopfüber in den Strudel des Lebens stürzte. Sie war reizbar, unersättlich, wollüstig geworden. Erhobenen Hauptes ging sie mit Leo durch die Straßen der Stadt spazieren, ohne die geringste Angst, daß sie ins Gerede kommen könnte. So sagte sie wenigstens. Insgeheim erzitterte sie freilich mitunter bei dem Gedanken, Rudolf könne ihr einmal begegnen. Wenn sie auch auf immerdar von ihm geschieden war, so fühlte sie sich doch noch immer in seinem Banne.

      Eines Abends kam sie nicht nach Yonville zurück. Karl war außer sich vor Unruhe, und die kleine Berta, die ohne ihre »Mama« nicht ins Bett gehen wollte, schluchzte herzzerreißend. Justin wurde auf der Poststraße entgegengesandt, und selbst Homais verließ seine Apotheke.

      Als es elf Uhr schlug, hielt es Karl nicht mehr aus. Er spannte seinen Wagen an, sprang auf den Bock, hieb auf sein Pferd los und langte gegen zwei Uhr morgens im »Roten Kreuz« an. Emma war nicht da. Er dachte, vielleicht könne der Adjunkt sie gesehen haben, aber wo wohnte er? Glücklicherweise fiel ihm die Adresse des Notars ein, bei dem Leo in der Kanzlei arbeitete. Er eilte hin.

      Es begann zu dämmern. Er erkannte das Wappenschild über der Tür und klopfte an. Ohne daß ihm geöffnet ward, erteilte ihm jemand die gewünschte Auskunft, nicht ohne auf den nächtlichen Ruhestörer zu schimpfen.

      Das Haus, in dem der Adjunkt wohnte, besaß weder einen Türklopfer noch eine Klingel noch einen Pförtner. Karl schlug mit der Faust gegen einen Fensterladen. Ein Schutzmann ging vorüber. Karl bekam Angst und ging davon.

      »Ich bin ein Narr!« sagte er zu sich. »Wahrscheinlich haben Lormeaux’ sie gestern abend zu Tisch dabehalten!«

      Die Familie Lormeaux wohnte gar nicht mehr in Rouen.

      »Vielleicht ist sie bei Frau Dübreuil. Die ist vielleicht krank…. Ach nein, Frau Dübreuil ist ja schon vor einem halben Jahre gestorben…. Aber wo mag dann Emma nur sein?«

      Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er ließ sich in einem Café das Adreßbuch geben und suchte rasch nach dem Namen von Fräulein Lempereur. Sie wohnte Rue de la Renelle des Maroquiniers Nummer 74.

      Als er in diese Straße einbog, tauchte Emma am andern Ende auf. Er stürzte auf sie los und fiel ihr um den Hals.

      »Was hat dich denn gestern hier zurückgehalten?« rief er.

      »Ich war krank.«

      »Was fehlte dir denn? … Na und wo … Wie?«

      Sie fuhr mit der Hand über die Stirn und antwortete:

      »Bei Fräulein Lempereur.«

      »Das dachte ich mir doch gleich. Ich war auf dem Weg zu ihr.«

      »Die Mühe kannst du dir nun ersparen. Sie ist übrigens schon ausgegangen. In Zukunft rege dich aber nicht wieder so auf! Du kannst dir denken, daß ich mich nicht gar frei fühle, wenn ich weiß, daß dich die geringste Verspätung dermaßen aus dem Gleichgewicht bringt!«

      Das war eine Art Erlaubnis, die sie sich selbst gab, in Zukunft mit aller Ruhe über den Strang hauen zu können, wie man zu sagen pflegt. In der Tat machte sie nunmehr den ausgiebigsten Gebrauch davon. Sobald sie Lust verspürte, Leo zu sehen, fuhr sie unter irgendeinem Vorwand nach Rouen. Da dieser sie an solchen Tagen nicht erwartete, suchte sie ihn in seiner Kanzlei auf.

      Die ersten Male war ihm das eine große Freude, aber allmählich verhehlte er ihr die Wahrheit nicht. Seinem Chef waren diese Störungen durchaus nicht angenehm.

      »Ach was, komm nur mit!« sagte sie.

      Und er verließ ihretwegen seine Arbeit.

      Sie sprach den Wunsch aus, er solle sich immer in Schwarz kleiden und sich eine sogenannte Fliege stehen lassen, damit er aussähe wie Ludwig der Dreizehnte auf dem bekannten Bilde. Er mußte ihr seine Wohnung zeigen, die sie ziemlich armselig fand. Er schämte sich, aber sie achtete nicht darauf und riet ihm, Vorhänge zu kaufen, wie sie welche hatte. Als er meinte, die seien sehr teuer, sagte sie lachend:

      »Ach, hängst du an deinen paar Groschen!«

      Jedesmal mußte ihr Leo genau berichten, was er seit dem letzten Stelldichein erlebt hatte. Einmal bat sie ihn um ein Gedicht, um ein Liebesgedicht ihr zu Ehren. Aber die Reimerei lag ihm nicht, und er schrieb schließlich ein Sonett aus einem alten Almanach ab.

      Er tat das keineswegs aus Eitelkeit. Er kannte kein andres Bedürfnis, als ihr zu gefallen. Er war in allen Dingen ihrer Ansicht und hatte stets denselben Geschmack wie sie. Mit einem Worte: sie tauschten allmählich ihre Rollen. Leo wurde der feminine Teil in diesem Liebesverhältnisse. Sie verstand auf eine Art zu kosen und zu küssen, daß er die Empfindung hatte, als sauge sie ihm die Seele aus dem Leibe. Es steckte, im Kerne ihres Wesens verborgen, eine eigentümliche, geradezu unkörperliche Verderbnis in Emma, eine geheimnisvolle Erbschaft.

      Sechstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn Leo nach Yonville kam, um Emma zu besuchen, aß er häufig bei dem Apotheker zu Mittag. Aus Höflichkeit lud er ihn ein, ihn nun auch einmal in Rouen zu besuchen.

      »Gern!« gab Homais zur Antwort. »Ich muß sowieso einmal ausspannen, sonst roste ich hier noch ganz und gar ein. Wir wollen zusammen ins Theater gehen, ein bißchen kneipen und ein paar Dummheiten loslassen!«

      »Aber Mann!« mahnte Frau Homais besorgt. Die undefinierbaren Gefahren, denen er entgegenlief, ängstigten sie im voraus.

      »Was ist da weiter dabei? Hab ich meine Gesundheit nicht schon genug