Christine von Bergen

Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman


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sehr effektiv.«

      Sie glaubte, nicht richtig zu hören. Verstand er denn gar nichts? Wut stieg in ihr hoch. Wut auf Heiko, der sie nur als gut funktionierende Maschine sah, Wut auf ihre Mutter, die sie ständig zu dieser Karriere anspornte und jetzt Heiko ins Rennen geschickt hatte, um ihr den Kopf zurechtzurücken, und Wut auf sich selbst, dass sie das alles jahrelang mit sich hatte machen lassen.

      Sie legte beide Handflächen auf den Tisch und beugte sich zu ihrem Agenten hinab.

      »Hör mir jetzt gut zu, Heiko«, begann sie. Und ohne sich von dem irritierten Ausdruck in seinen wasserhellen Augen zurückhalten zu lassen, fuhr sie mit fester Stimme fort: »Ich werde nicht mehr tanzen. Ich beende meine Karriere. Hier und heute. Streich mich von deiner Liste. Ich bin nicht mehr zu vermitteln.«

      Vielfältige Gefühle spiegelten sich auf dem roten Gesicht von Heiko wider: Verblüffung, Unsicherheit und aufkeimender Zorn. Er griff in sein zerknautschtes Leinenjackett, schnippte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an.

      »Kannst du dich nicht mal setzen?«, fragte er dann ernst. »Und ein Kaffee wäre auch nicht so schlecht.«

      Sie schluckte.

      Nein, sie hatte nicht vor, diesen Besuch zum gemütlichen Beisammensein ausarten zu lassen. Später einmal würde sie sich gern mit ihm unterhalten. Immerhin hatte sie ihm gute Engagements zu verdanken. Heute jedoch wollte sie ihm nur ihre Entscheidung mitteilen, ohne Diskussionen.

      Sie setzte sich ihm gegenüber und lächelte ihn an.

      »Sei mir nicht böse, Heiko, aber ich möchte heute gar nicht lange reden. Du sollst nur wissen, dass ich ein neues Leben beginnen will. Ich will nicht länger weiterhin Sklavin meines Berufes sein. Ich will meinem Körper nicht mehr diese Schmerzen zumuten, die unweigerlich mit dem Tanzsport verbunden sind. Und ich möchte eine Familie haben. Ich habe einen Mann kennengelernt, den ich liebe.«

      Heiko schwieg, zog ein paarmal an seiner Zigarette und drückte sie dann mit der Fußspitze auf dem Kies aus. Er sah sie lange an.

      Lag da etwa ein Ausdruck von Zärtlichkeit auf seinen schwammigen Zügen?

      Sein Zeigefinger schob sich zwischen Hemdkragen und Krawatte, mehrmals schüttelte er den Kopf. Dann gab er einen tiefen Seufzer von sich.

      »Ja, ja, die Liebe«, meinte er in gedankenverlorenem Ton, während sein Blick zu den Tannen hinüberschweifte, die sich oberhalb des Hauses majestätisch in den klaren Himmel erhoben. Nach einer Weile wanderte sein Blick zu ihr zurück. »Bist du dir sicher?«

      Sie nickte, erleichtert und auch gerührt über seine Reaktion, die sie nicht erwartet hatte. »Sehr sicher.«

      Ein resignierendes Schulterzucken zeigte ihr, dass er aufgab.

      »Na ja, in Zürich hättest du wahrscheinlich sowieso nicht mehr weitermachen können. Die Kollegin, die für dich eingesprungen ist, stellt sich als raffiniertes Luder heraus. In der kurzen Zeit hat sie einen guten Draht zum Ballettdirektor gespannt. Wahrscheinlich …« Heiko wedelte mit der Hand. »Ich vermute mal, die beiden haben was miteinander. Der gute Mann hat mir anvertraut, er würde dich noch bis Saisonende bezahlen, und danach sollte ich für dich was Neues suchen.«

      Die tiefe Enttäuschung über diese Praktiken versetzte Nicole zuerst einen Stich ins Herz. Als sie jedoch die Vögel in den Obstbäumen zwitschern hörte und das Schwalbenpärchen am Himmel entdeckte, fühlte sie sich wieder mit sich und der Welt im Reinen.

      »Das passt schon«, sagte sie und lächelte ihren Agenten an.

      »Okay, dann gibt es ja erst einmal nichts mehr zu sagen«, meinte Heiko. Er stemmte sich von der Holzbank hoch. Sie stand ebenfalls auf. Als sie sich gegenüberstanden, fuhr er ungewohnt ernst fort: »Trotzdem sollten wir beide den Kontakt nicht verlieren. Man weiß ja nie.« Er hob die Hand, verwuschelte in einer betont burschikosen Geste ihr Haar. »Ich wünsche dir jedenfalls alles Glück der Welt, und melde dich mal wieder bei mir.«

      Da konnte sie nicht anders. Sie schluchzte leise auf und umarmte ihn. So blieben sie zwei, drei Lidschläge stehen. Als sie auseinandertraten, glaubte sie einen merkwürdigen Glanz in Heikos Augen zu entdecken. Aber vielleicht irrte sie sich ja auch.

      »Danke für dein Verständnis«, sagte sie leise.

      »Immer wieder gern«, erwiderte er in der für ihn so typischen flapsigen Art. Dann nahm sein Gesicht jedoch wieder einen anderen Ausdruck an. »Mit der großen Liebe ist das so eine Sache. Wenn du mich fragst, gibt es sie nicht. Ich könnte vom Alter dein Vater sein und habe diesbezüglich mehr Erfahrung. Zuerst glaubst du dich im Himmel, und dann kommt der Abstieg in die Hölle.«

      Sie zog die Brauen zusammen. »Wie kannst du so etwas sagen?«

      Er lächelte müde. »Weil es so ist.«

      Da baute sie sich mit der ganzen Ehrlichkeit und Vertrauensseligkeit der Jugend vor ihm auf und sagte: »Ich gebe dir recht. Nicht jeder Mensch trifft im Leben seine große Liebe. Das hat auch Dr. Brunner gesagt. Aber wenn du ihr begegnest, musst du zugreifen. Und Daniel ist meine große Liebe.«

      Heiko sah sie an und nickte. »Ich gönne sie dir von Herzen.« Dann drehte er sich um und ging zu seinem Wagen. Bevor er einstieg, winkte er ihr zu.

      »Mach’s gut, Mädchen. Und melde dich mal.«

      Nicole setzte sich auf die Holzbank. Lange sah sie der Staubwolke nach, die Heikos Limousine hinterließ. Irgendwann löste sich die Wolke auf, die Luft klärte sich wieder. Ein Gefühl von Wehmut breitete sich in ihr aus. Sie hatte Abschied genommen. Aus eigenem Willen, voller Überzeugung. Und trotzdem tat ihr dieser Abschied ein bisschen weh. Eine Lebensphase war zu Ende. Eine neue begann. Eine, in der sie glücklicher sein würde? Ja. Sie war sich sicher. Daniel hatte es ihr versprochen.

      Lange noch blieb sie sitzen, ließ ihre Gedanken schweifen, ließ sie eine Weile in ihrer Vergangenheit verweilen und richtete sie dann auf die Zukunft –, bis sie erneut ein Motorengeräusch vernahm. Sie stand auf. Als sie Daniels Geländewagen aufs Haus zukommen sah, weitete sich ihr Herz. Und als der geliebte Mann ausstieg, lief sie ihm entgegen, warf sich an seine Brust und schluchzte leise auf.

      »Du bist schon da?«, fragte sie mit bebender Stimme.

      Er fasste ihre Arme und hielt sie von sich weg. »Was ist passiert?«

      »Nichts.« Sie lachte ihn glücklich an. »Nur Schönes. Aber dass du so viel früher kommst …«, wunderte sie sich.

      Hatte er gespürt, dass sie ihn gerade jetzt so sehr gebraucht hatte?

      »Ich hatte Sehnsucht nach dir.« Sein Blick drang in ihr Inneres. »Es ist doch etwas vorgefallen, oder täusche ich mich?«

      »Komm.« Sie zog ihn auf die Bank und erzählte ihm alles.

      Daniel sagte nichts. Er schluckte mehrmals hintereinander, schloss die Augen, nahm sie in die Arme und hielt sie fest. Er küsste sie auch nicht, drückte sie nur an sich, so fest, als wollte er mit ihr verschmelzen. So saßen sie da auf der Bank, und Nicole spürte die Wärme und Stärke, die sie in Daniels Armen empfing. Dieser Mann war für sie zum Mittelpunkt ihres Universums geworden, der Mittelpunkt all ihrer Erfahrungen, von allem, was sie war und je sein wollte.

      *

      »Kochbücher?« Daniel bemerkte erst jetzt die Bücher auf dem Tisch.

      »Ich will kochen lernen«, gestand Nicole ihm. »Ich wollte dich heute Abend mit einem Essen empfangen, aber du bist ja zu früh gekommen.«

      »Schlimm?« Er blinzelte ihr zu.

      »Total schlimm.« Sie legte die Arme um seinen Nacken und gab ihm einen Kuss.

      »Heute Abend gehen wir essen«, entschied Daniel.

      »Aber bitte nur etwas Leichtes. Dr. Brunner sagt, ich soll meinen Magen ganz langsam an eure schwere Kost gewöhnen.«

      »Hast du Beschwerden?« Besorgt sah er sie an.

      »Nicht der Rede wert.« Sie lachte. »Es gibt ja überall Salate