ein Tisch und zwei Stühle.
»Sie gehört meinem Onkel aus Freiburg«, erzählte Julia ihm. »Er hat bestimmt nichts dagegen. Als kleines Mädchen war ich oft hier, mit meinem Vater«, fügte sie mit versonnenem Blick hinzu.
Leon biss sich auf die Lippen. Er wollte den Zauber, der dieser Situation innelag, nicht durch Fragen zerstören. Trotzdem interessierte ihn, was mit ihren Eltern war. Oma Winter hatte sich bisher darüber auch in Schweigen gehüllt. Er nahm sich vor, Julia bei passender Gelegenheit darauf anzusprechen.
»Wollen wir aussteigen und etwas essen?« Sie sah ihn von der Seite an. Ihre Blicke verfingen sich. Dieses Mal schaute sie nicht weg. Nein, im Gegenteil. Dieses Mal hielt sie seinen Blick fest, so, als würde sie in sein Inneres sehen wollen. Er ahnte, dass sie Sicherheit brauchte, Sicherheit bezüglich seiner Person, seiner Gefühle zu ihr. Ihren ernsten Blick erwidernd, sagte er leise: »Es gibt vieles, was wir noch voneinander erfahren sollten.« Das weiche zustimmende Lächeln auf ihren Lippen, das warme Licht in ihren Märchenaugen machte ihm Mut, eine Strähne, die ihr Gesicht umspielte, zu nehmen und sie langsam durch die Finger gleiten zu lassen. »Ich möchte dich gern näher kennenlernen«, fügte er hinzu, bevor er die Strähne wieder losließ.
*
Ich dich auch, aber vorher muss ich wissen, ob du gebunden bist, hätte Julia am liebsten geantwortet. Doch auch sie wollte diesen Zauber zwischen ihnen nicht zerstören, indem sie mit der Tür ins Haus fiel.
»Vielleicht werden wir Zeit dafür haben«, erwiderte sie ebenso leise wie ausweichend.
Sie wollte die Tür öffnen, doch Leon hielt sie an der Schulter zurück. Ein ernster, entschlossener Ausdruck stand in seinen schwarzen Augen.
»Haben wir das nicht selbst in der Hand?«
Sie zögerte. »Ich hoffe, dass es so ist«, sagte sie und glitt rasch vom Fahrersitz.
Bei Leon dauerte es etwas länger, bis er sich aus seinem Sitzring befreit hatte. Sie sah ihm an, dass er Schmerzen hatte, als er auf die Lichtung trat. Er schien jedoch hart im Nehmen zu sein, was ihr gefiel.
»Ich kümmere mich um das Picknick!«, rief sie ihm zu.
In Windeseile hatte sie den windschiefen Tisch auf der Veranda gedeckt. Die lange Holzbank an der Hüttenwand bot einen unverstellten Blick über den kleinen See, auf dem üppige Seerosen in zartem Rosa blühten. Hier und da tauchte ein Fisch auf, ließ seine silberne Flosse kurz in der Sonne aufblitzen, fing eine Fliege und zog sich mit seiner Beute in die Tiefe zurück. Still war es. Eine Stille so andächtig wie in einem Dom.
»Wie gefällt dir eigentlich meine Freundin Vera?«, erkundigte sich Julia, als sie zu essen begannen.
Leon sah sie überrascht an. Dann lachte er. »Nicht mein Typ.«
»Auch wenn sie manchmal gern auf Vamp macht, ist sie eine ganz liebe und herzensgute Person«, verteidigte sie Vera. »Ich habe keine bessere Freundin.«
»Obwohl ihr so unterschiedliche Frauentypen seid?«
»Kennst du nicht das Sprichwort über die Gegensätze?« Sie lächelte ihn kurz an, um dann ernst fortzufahren: »Übrigens, Vera sagte, sie hätte dir unsere Pension gar nicht empfohlen.«
Leon zögerte sichtlich. Mit gerunzelter Stirn kaute er den Schwarzwälder Schinken. Sein Blick war dabei aufs Wasser gerichtet.
»Stimmt«, meinte er dann. »Es könnte auch die Frau an der Tankstelle gewesen sein. Oder die Verkäuferin in der Bäckerei.« Mit dem ihm eigenen strahlenden Lächeln sah er sie wieder an. »Ist doch gleichgültig, wer mir diesen Tipp gegeben hat. Hauptsache, ich habe euch gefunden.«
Ich habe euch gefunden … Wie diese Worte klangen! Sie öffneten ihr Herz und zerstreuten ihr Misstrauen. Doch gleich darauf meldete sich ihr Verstand wieder.
»Vera meint, dass du verheiratet bist. Oder zumindest gebunden.«
Leon hob die schwarzen Brauen. »Ach, meint sie das?«
»Gibt es eine Frau in deinem Leben?«
»Nein.« Er hielt ihrem Blick stand. Dann schlich sich ein forschender Ausdruck in seine schwarzen Augen.
»Wie sieht es denn bei dir aus? Gibt es in deinem Leben einen Mann?«
Mit dem Stein, der ihr vom Herzen fiel, begannen ihre Lippen, entspannt zu lächeln.
»Bei mir sieht es genauso aus wie bei dir. Kein Mann.«
Leon griff nach dem Plastikglas, prostete ihr zu und sagte trocken: »Dann haben wir das ja schon mal geklärt.«
Sie schwiegen eine Weile und probierten all die Köstlichkeiten, die der Schwarzwald zu bieten hatte.
»Der Käse schmeckt fantastisch«, schwärmte Leon.
»Ja? Den kenne ich noch nicht. Oma hat ihn gekauft.«
»Probier ihn mal.«
Als sie zögerte, schnitt er ein kleines Stück vom Laib ab, nahm es in die Finger und hielt es ihr hin.
Sie beugte sich ihm entgegen, öffnete die Lippen. Als Leons Finger sie kurz berührten, geschah das so leicht und selbstverständlich, als wäre es für ihn das Natürlichste von der Welt, sie zu füttern. Diese intime Geste ließ sie innerlich erzittern. Und wieder fanden sich ihre Blicke. Doch ihr Verstand sagte ihnen, dass die Zeit noch nicht reif dafür war, ihren tiefsten Wünschen nachzugeben. Sie kannten sich doch kaum.
Julia wich zurück, aß den Käse, räusperte sich und sagte: »Lecker.« Während sie ein Stück Butter auf das knusprige Bauernbrot legte, fragte sie: »Wie kommt man eigentlich dazu, Testfahrer für Rennwagen in Italien zu werden?«
Leon legte das Besteck auf den Plastikteller, dann lehnte er sich an die Holzwand zurück.
»Durch Kontakte«, beantwortete er ihre Frage. Dabei glitt sein Blick übers Wasser und verlor sich über der Tannenhöhe irgendwo im Blau des Himmels. »Ursprünglich wollte ich eine Schreinerlehre machen, wie mein Großvater damals, und mich danach zum Restaurator ausbilden lassen. Mich interessieren alte Möbel und Bilder. Doch meine Eltern, oder vielmehr mein Vater, hat einen Riesenaufstand gemacht. Er stammt aus einer vermögenden Familie und besitzt, wie soll ich sagen …?« Er lachte kurz auf. »Kurzum, mein alter Herr und sein alberner Standesdünkel haben mir meine Jugend nicht gerade leicht gemacht. Nun gut«, er winkte ab. »Er wollte, dass ich, wie mein älterer Bruder, Betriebswirtschaft studier, um später in die Firma einzusteigen. Wir einigten uns schließlich darauf, dass ich mich für Kunstwissenschaft einschrieb, was mir auch Spaß machte. Natürlich hatte ich dabei immer noch im Sinn, Restaurator zu werden, wobei mir ein solches Studium hilfreich sein konnte. Mein Vater war erst einmal zufrieden, dass das schwarze Schaf der Familie überhaupt studierte.« Leon schwieg, trank einen Schluck Wein, und Julia konnte kaum erwarten, mehr über ihn zu erfahren. Ihr imponierte, dass er seinen eigenen Weg ging und nicht das verwöhnte Söhnchen reicher Eltern war.
»Als ich dann auf die Idee kam, in Florenz zu studieren, rastete mein Vater aus. Ich sollte endlich etwas Sinnvolles machen und so weiter und so fort. Der wahre Grund für meine Entscheidung war jedoch, dass ich endlich weg wollte. Weg von diesen starren Lebensnormen, von dem Streit mit meinem Vater, dem schlechten Verhältnis zu meinem älteren Bruder, der immer schon um Vaters Liebe gebuhlt hatte. Was mich bis dahin nur gehindert hatte, war meine Mutter, an der ich sehr hänge. Aus Liebe zu mir zeigte sie sich mit meinem Uniwechsel einverstanden. Also immatrikulierte ich mich an der Uni in Mailand. Einen Monat später kündigte mir mein Vater jegliche finanzielle Unterstützung. Ich musste mir überlegen, wie ich mein Zimmer und mein Essen bezahlen sollte. Meine Mutter überwies mir zwar monatlich Geld, aber nur so viel, dass mein Vater es nicht merkte. Tja …« Leon hob die Schultern und lächelte verschmitzt. »In dieser Phase lernte ich einen Italiener kennen, der mit mir die Liebe zu Autos teilt und der mir dann schließlich den Job als Testfahrer anbot. Es war ein guter Job. Ich verdiente viel Geld, vernachlässigte mein Studium, sparte für meine Schreinerlehre.« Er lehnte den Kopf an die warme Hüttenwand und atmete tief durch. »Dass ich Mailand jetzt den Rücken gekehrt habe, liegt