Hans Christian Andersen

Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen (Illustrierte Ausgabe)


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erwiderte die Frau. »Du bist hier in der Höhle der Winde: meine Söhne sind die vier Winde der Welt; kannst Du das verstehen?«

      »Wo sind Deine Söhne?« fragte der Prinz.

      »Ja, es ist schwer zu antworten, wenn man dumm gefragt wird,« sagte die Frau. »Meine Sühne treiben es auf eigene Hand; sie spielen Federball mit den Wolken dort oben im Königssaale!« Und dabei zeigte sie in die Höhe.

      »Ach so!« sagte der Prinz. »Ihr sprecht übrigens ziemlich barsch und seid nicht so mild, wie die Frauenzimmer, die ich sonst um mich habe!«

      »Ja, die haben wohl nichts Anderes zu thun! Ich muß hart sein, wenn ich meine Knaben in Respekt erhalten will; aber das kann ich, obgleich sie Trotzköpfe sind. Siehst Du die vier Säcke hier an der Wand hängen? Vor denen fürchten sie sich eben so, wie Du früher vor der Ruthe hinterm Spiegel. Ich kann die Knaben zusammenbiegen, sag' ich Dir, und dann stecke ich sie in den Sack; da machen wir keine Umstände! Da sitzen sie und dürfen nicht eher wieder umherstreifen, bis ich es für gut erachte. Aber da haben wir den Einen!«

      Es war der Nordwind, der mit einer eisigen Kälte hereintrat; große Hagelkörner hüpften auf dem Fußboden hin, und Schneeflocken stöberten umher. Er war in Bärenfellbeinkleidern und Jacke; eine Mütze von Seehundsfell ging bis über die Ohren; lange Eiszapfen hingen ihm am Barte; und ein Hagelkorn nach dem andern glitt ihm vom Kragen der Jacke herunter.

      »Gehen Sie nicht gleich an das Feuer!« sagte der Prinz. »Es könnten sonst leicht Gesicht und Hände erfrieren!«

      »Erfrieren?« sagte der Nordwind und lachte laut auf. »Kälte ist mein größtes Vergnügen! Was bist Du übrigens für ein Schneiderlein? Wie kommst Du in die Höhle der Winde?«

      »Er ist mein Gast,« sagte die Alte; »und bist Du mit dieser Erklärung nicht zufrieden, so kannst Du in den Sack kommen! – Verstehst Du mich nun?«

      Sieh, das half; und der Nordwind erzählte von wannen er kam und wo er fast einen ganzen Monat gewesen.

      »Vom Polarmeere komme ich,« sagte er; »ich bin auf dem Bäreneilande mit den russischen Walroßjägern gewesen. Ich saß und schlief auf dem Steuer, als sie vom Nordcap wegsegelten; wenn ich mitunter erwachte, flog mir der Sturmvogel um die Beine. Das ist ein komischer Vogel! Der macht einen raschen Schlag mit den Flügeln, hält sie darauf unbeweglich ausgestreckt und hat dann volle Fahrt.«

      »Mache es nur nicht zu weitschweifig!« sagte die Mutter der Winde. »Du kamst also nach dem Bäreneilande?«

      »Dort ist es schön! Da ist ein Fußboden zum Tanzen, flach wie ein Teller! Halbaufgethauter Schnee mit ein wenig Moos, scharfe Steine und Gerippe von Walrossen und Eisbären lagen umher, sowie auch Riesenarme und Beine mit verschimmeltem Grün. Man möchte glauben, daß die Sonne nie darauf geschienen hätte. Ich blies ein wenig in den Nebel, damit man den Schuppen sehen konnte: das war ein Haus, von Wrackholz erbaut und mit Walroßhäuten überzogen; die Fleischseite war nach außen gekehrt; auf dem Dache saß ein lebendiger Eisbär und brummte. Ich ging nach dem Strande, sah nach den Vogelnestern, erblickte die nackten Jungen, die schrieen und sperrten den Schnabel auf; da blies ich in die tausend Kehlen hinab, und sie lernten den Schnabel schließen. Weiterhin wälzten sich die Walrosse, wie lebendige Eingeweide oder Riesenmaden mit Schweineköpfen und ellenlangen Zähnen!« –

      »Du erzählst gut, mein Sohn!« sagte die Mutter. »Das Wasser läuft mir im Munde zusammen, wenn ich Dich anhöre!«

      »Dann ging das Jagen an! Die Harpune wurde in die Brust des Walrosses geworfen, sodaß der dampfende Blutstrahl, einem Springbrunnen gleich, über das Eis spritzte. Da gedachte ich auch meines Spieles! Ich blies auf und ließ meine Segler, die thurmhohen Eisberge, die Boote einklemmen. Hui! wie man pfiff und wie man schrie; aber ich pfiff lauter! Die todten Walroßkörper; Kisten und Tauwerk mußten sie auf das Eis auswerfen; ich schüttelte die Schneeflocken über sie und ließ sie in den eingeklemmten Fahrzeugen mit ihrem Fange nach Süden treiben, um dort Salzwasser zu kosten. Sie kommen nie mehr nach dem Bäreneilande!«

      »So hast Du ja Böses gethan!« sagte die Mutter der Winde.

      »Was ich Gutes gethan habe, mögen die Andern erzählen!« sagte er. »Aber da haben wir meinen Bruder aus Westen; ihn mag ich von Allen am Besten leiden; er schmeckt nach der See und führt eine herrliche Kälte mit sich!«

      »Ist das der kleine Zephyr?« fragte der Prinz.

      »Jawohl ist das Zephyr!« sagte die Alte. »Aber er ist doch nicht klein. Vor Jahren war er ein hübscher Knabe, aber das ist nun vorbei!«

      Er sah aus, wie ein wilder Mann, aber er hatte einen Fallhut auf, um nicht zu Schaden zu kommen. In der Hand hielt er eine Mahagonikeule, in den amerikanischen Mahagoniwäldern gehauen. Das war gar nichts Geringes!

      »Wo kommst Du her?« fragte die Mutter.

      »Aus den Waldwüsten,« sagte er, »wo die Wasserschlange in dem nassen Grase liegt und die Menschen unnöthig zu sein scheinen!«

      »Was triebst Du dort?«

      »Ich sah in den tiefsten Fluß, sah, wie er von den Felsen herabstürzte, Staub wurde und gegen die Wolken flog, um den Regenbogen zu tragen. Ich sah den wilden Büffel im Fluße schwimmen, aber der Strom riß ihn mit sich fort. Er trieb mit dem Schwärme der wilden Enten, welche in die Höhe flogen, wo das Wasser stürzte. Der Büffel mußte hinunter; das gefiel mir, und ich blies einen Sturm, daß uralte Bäume splitterten und zu Spänen wurden.«

      »Und weiter hast Du nichts gethan?« fragte die Alte.

      »Ich habe in den Savannen Purzelbäume geschossen; ich habe die wilden Pferde gestreichelt und Kokosnüsse geschüttelt. Ja, ja, ich habe Geschichten zu erzählen! Aber man muß nicht Alles sagen, was man weiß. Das weißt Du wohl, Alte!« und er küßte seine Mutter so, daß sie fast hintenüber gefallen wäre. Es war ein schrecklich wilder Bube!

      Nun kam der Südwind mit einem Turban und einem fliegenden Beduinenmantel.

      »Hier ist es recht kalt, hier draußen!« sagte er und warf noch Holz ms Feuer. »Man merkt, daß der Nordwind zuerst gekommen ist!«

      »Es ist hier so heiß, daß man einen Eisbären braten kann!« sagte der Nordwind.

      »Du bist selbst ein Eisbär!« antwortete der Südwind.

      »Wollt ihr in den Sack gesteckt sein?« fragte die Alte. – »Setze Dich auf den Stein dort und erzähle wo Du gewesen bist.«

      »In Afrika, Mutter!« erwiderte er. »Ich war mit den Hottentotten auf der Löwenjagd im Lande der Kaffern. Da wächst Gras in den Ebenen, grün wie eine Olive! Da lief der Straus mit mir um die Wette; aber ich bin doch noch schneller. Ich kam nach der Wüste zu dem gelben Sande; da sieht es aus, wie auf dem Grunde des Meeres. Ich traf eine Karavane; man schlachtete das letzte Kameel, um Trinkwasser zu erhalten; aber es war nur wenig, was man bekam. Die Sonne brannte von oben und der Sand von unten. Die ausgedehnte Wüste hatte keine Grenze. Da wälzte ich mich in dem feinen, losen Sande und wirbelte ihn zu großen Säulen auf. Das war ein Tanz! Du hättest sehen sollen, wie muthlos das Dromedar dastand, und der Kaufmann den Kaftan über den Kopf zog. Er warf sich vor mir nieder, wie vor Allah, seinem Gotte. Nun sind sie begraben; es steht eine Pyramide von Sand über ihnen allen. Wenn ich die einmal fortblase, dann wird die Sonne die weißen Knochen bleichen; da können die Reisenden sehen, daß dort früher Menschen gewesen sind. Sonst wird man das in der Wüste nicht glauben!«

      »Du hast also nur Böses gethan!« sagte die Mutter. »Marsch in den Sack!« und ehe er es sich versah, hatte sie den Südwind um den Leib gefaßt und in den Sack gesteckt. Er wälzte sich umher auf dem Fußboden, aber sie setzte sich darauf und da mußte er ruhig liegen.

      »Das sind muntere Knaben, die Du hast!« sagte der Prinz.

      »Ja wohl,« antwortete sie, »und ich weiß sie zu züchtigen! Da haben wir den vierten!«

      Das war der Ostwind, der war wie ein Chinese gekleidet.

      »Ach! kommst Du von jener Gegend?« sagte die Mutter. »Ich glaubte, Du wärest