der Hausherr, »ich glaube der Stein ist von dem alten Klosterkirchhofe; von dort und aus der Kirche wurden die Kanzel, die Epitaphien und die Grabsteine verkauft! Mein Vater erstand die letzteren, sie wurden zu Pflastersteinen entzweigehauen, diesen Stein aber behielt man zurück und seitdem liegt er unten im Hofe.«
»Man sieht's ihm wohl an, daß er ein Grabstein ist,« fiel das älteste der Kinder ein; »man erblickt noch daran ein Stundenglas und ein Stückchen von einem Engel, aber die Inschrift, die darunter gestanden, ist fast ganz verwischt, nur der Name Preben und ein großes S. dicht hinter demselben, und etwas weiter unten Martha sind noch zu lesen, aber mehr ist nicht herauszubringen, und auch das ist nur deutlich, wenn es geregnet hat, oder wenn wir den Stein gewaschen haben.«
»Du lieber Gott, das ist der Grabstein von Preben Schwane und seiner Frau!« – nahm ein alter Mann das Wort, so alt, daß er sehr wohl der Großvater aller im Zimmer Anwesenden hätte sein können. »Ja dies war eins der letzten Ehepaare, die auf dem alten Friedhofe des Klosters beerdigt wurden! Es war ein altes, ehrwürdiges Paar, ich erinnere mich seiner noch aus meinen Knabenjahren her. – Alle kannten es, und Alle hatten es lieb, es war das Alterskönigspaar hier im Städtchen; die Leute sagten, es besäße über eine Tonne Goldes, und doch ging es sehr einfach gekleidet, in den gröbsten Stoffen, aber die Wäsche war immer glänzend weiß; – es war ein schönes, altes Paar, Preben und Martha! – Wann Beide auf der Bank dort oben auf der hohen steinernen Treppe des Hauses saßen, über welche hinaus die alte Linde ihre Zweige breitet, und wem sie dann freundlich und mild zunickten, dem wurde wohl dabei. Sie waren sehr gut gegen die Armen; sie speisten sie, sie kleideten sie, und in ihrer Wohltätigkeit war Vernunft und wahres Christenthum. Die alte Frau starb zuerst; mir steht der Tag noch lebhaft vor Augen! Ich war ein kleiner Knabe und hatte meinen Vater zu dem alten Preben ins Haus begleitet, und wir waren eben dort, als sie hinübergeschlummert war; der alte Mann war tief bewegt und weinte wie ein Kind. – Die Leiche lag noch in der Schlafstube nebenan wo wir saßen, – er sprach zu meinem Vater und einigen Nachbarn, die dort waren, und sprach davon, wie einsam es nun bei ihm werden würde, wie gut und treu sie, die Entschlafene, gewesen, wie viele Jahre sie miteinander durchs Leben gewandelt und wie es gekommen, daß sie sich hatten kennen lernen und sich lieb gewonnen; ich war wie gesagt, ein Knabe, und stand nur dabei und hörte Dem zu, was die Andern sprachen, aber es erfüllte mich in wunderbarer Weise, den Worten des alten Mannes zu lauschen und Zeuge zu sein, wie er allmälig lebhaft wurde und seine Wangen sich färbten, als er von den Tagen des Brautstandes und davon sprach, wie schön sie gewesen, wie viele kleine unschuldige Umwege er gegangen sei, um ihr zu begegnen, und er erzählte von dem Hochzeitstage, seine Augen leuchteten, er lebte sich gleichsam zurück in jene Zeit der Freude, und nebenan lag sie in dem Kämmerchen, todt, eine alte Frau, und er war ein alter Mann und sprach von der Zeit der Hoffnung! – – ja, ja, so geht es! Damals war ich ein Kind nur, und jetzt bin ich alt, alt wie Preben Schwane. Die Zeit verstreicht und Alles wechselt! – Ich entsinne mich gar wohl des Tages ihrer Bestattung, der alte Preben ging dicht hinter dem Sarge einher. Wenige Jahre vorher hatte das Ehepaar seinen Grabstein zurecht machen lassen mit Inschrift und Namen bis auf das Todesjahr; der Stein wurde Abends nach dem Friedhofe gefahren und über das Grab gelegt, – und ein Jahr später ward er wieder abgewälzt und der alte Preben stieg zu seiner Ehegattin hinab. – Sie hinterließen bei weitem nicht den Reichthum, den die Leute geglaubt; was da war, kam an Familien weitläufiger Verwandtschaft, an Solche, von denen man bis dahin nichts gewußt hatte. Das alte Haus von Fachwerk, mit der Bank auf der hohen steinernen Treppe unter der Linde, wurde von der Behörde niedergerissen: es war zu alt und morsch, als daß man es hätte stehen lassen dürfen. Später als dasselbe Schicksal die Klosterkirche traf und als der Friedhof einging, kam der Grabstein Prebens und Martha's wie alles Andere von dort an Denjenigen, der es kaufen wollte, und nun trifft es sich doch so, daß der Grabstein nicht entzweigehauen und verwendet worden ist wie mancher andere, sondern daß er noch unten im Hofraume liegt, eine Scheuerbank der Mägde, eine Spielstätte der Kinder. – Die gepflasterte Straße führt jetzt über die Ruhestätte des alten Preben und seiner Gattin hin. »Niemand denkt mehr an sie!«
Und der alte Mann, der dieses Alles erzählte, schüttelte wehmüthig den Kopf. »Vergessen! – Alles soll vergessen werden!« sprach er.
Darauf sprachen sie im Zimmer von anderen Dingen; aber das jüngste Kind drinnen, ein Knabe mit großen ernsten Augen, stieg auf einen Stuhl hinter den Fenstervorhangen, und blickte in den Hofraum hinaus, woselbst der Mond den alten Stein mit seinem hellen Scheine übergoß, den alten Stein, der ihm sonst leer und flach erschienen war, jetzt aber da lag, ein großes Blatt aus einem Chronikbuche. Alles, was der Knabe von dem alten Preben und dessen Gattin vernommen, wohnte hier dem Steine inne: er blickte diesen an, und blickte in den klaren lichten Mond, schaute in die reine Luft hinein, es war als leuchte das Antlitz Gottes über die Erde hinaus.
»Vergessen! – Alles soll vergessen werden!« tönte es drinnen im Zimmer, und in demselben Augenblicke küßte ein unsichtbarer Engel dem Knaben die Brust und die Stirn und flüsterte ihm leise zu: Bewahre Du das anvertraute Samenkorn, damit es gedeihe und reife, bewahre es wohl! Durch Dich, mein Kind, soll die verwischte Inschrift, der verwittert Grabstein in klaren, goldenen Zügen künftigen Geschlechtern vorgeführt werden! Das alte Ehepaar soll wieder Arm in Arm durch die alten Straßen wandeln und lächeln, mit frischen gesunden Wangen auf der hohen Bank unter der Linde sitzen, und Arm und Reich zunicken. Das Samenkorn dieser Stunde wird durch Jahre zu einer blühenden Dichtung gedeihen. Das Gute, das Schöne wird nicht vergessen, es lebt im Liede, es lebt in der Sage.
Der Garten des Paradieses
Es war einmal ein Königssohn; Niemand hatte so viele schöne Bücher, wie er; Alles, was in dieser Welt geschehen, konnte er darin lesen und die Abbildungen in prächtigen Kupferstichen erblicken. Von jedem Volke und jedem Lande konnte er Auskunft erhalten; aber wo der Garten des Paradieses zu finden sei, davon stand kein Wort darin; und der, gerade der war es, woran er am Meisten dachte.
Seine Großmutter hatte ihm erzählt, als er noch klein war, aber anfangen sollte, in die Schule zu gehen, daß jede Blume im Garten dieses Paradieses der süßeste Kuchen und die Staubfäden die feinsten Weine wären; auf der einen stände Geschichte, auf der andern Geographie oder Tabelle; man brauche nur Kuchen zu essen, so könne man seine Lection; je mehr man speise, um so mehr Geschichte, Geographie und Tabellen lerne man.
Das glaubte er damals. Aber schon, als er ein größerer Knabe wurde, mehr lernte und klüger ward, begriff er wohl, daß eine ganz andere Herrlichkeit im Garten des Paradieses vorhanden sein müsse.
»O, weshalb pflückte doch Eva vom Baume der Erkenntniß? Weshalb aß Adam von der verbotenen Frucht? Das sollte ich gewesen sein, so wäre es nicht geschehen! Nie würde die Sünde in die Welt gekommen sein!«
Das sagte er damals, und das sagte er noch, als er siebzehn Jahre alt war. Der Garten des Paradieses erfüllte alle seine Sinne.
Eines Tages ging er im Walde allein, denn das war sein größtes Vergnügen.
Der Abend brach an, die Wolken zogen sich zusammen; es fiel ein Regen, als ob der ganze Himmel eine einzige Schleuse sei, aus der Wasser stürze; es war so dunkel, wie es sonst des Nachts nur im tiefsten Brunnen ist. Bald glitt er in dem nassen Grase aus, bald fiel er über die glatten Steine, welche aus dem nassen Felsengrunde hervorragten. Alles triefte von Wasser; es war nicht ein trockner Faden an dem armen Prinzen. Er mußte über große Steinblöcke klettern, wo das Wasser aus dem hohen Moose quoll. Er war nahe daran, ohnmächtig zu werden. Da hörte er ein sonderbares Sausen, und vor sich sah er eine große, erleuchtete Höhle. Mitten in derselben brannte ein solches Feuer, daß man einen Hirsch daran braten konnte. Und das geschah auch. Der prächtigste Hirsch mit seinem hohen Geweihe war auf einen Spieß gesteckt und wurde langsam zwischen zwei abgehauenen Fichtenstämmen herumgedreht. Eine ältliche Frau, groß und stark, als wäre sie eine verkleidete Mannsperson, saß am Feuer und warf ein Stück Holz nach dem andern hinein.
»Komm nur näher!« sagte sie; »setze Dich an das Feuer, damit Deine Kleider trocken