Klabund

Gesammelte Erzählungen von Klabund


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Nacht, Gespenst!

      Wo kommst du her? Du mußt dich beeilen, wenn du deinen Schritt noch einholen willst. Der ist dir schon weit voraus und läuft dir sonst davon.

      Ein höfliches Gespenst.

      Es grüßt den Mond.

      Ich denke an ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Li-tai-pe:

      In der Blütenlaube von Jasmin sitz ich beim Weine.

      Gute Genossen heischt die gute Stunde.

      Da steigt der Mond übern First; verneigt sich mit goldenem Scheine –

      Höflich verneige auch ich mich, und mein Schatten verneigt sich als Dritter im Bunde ...

      Hast du überhaupt einen Schatten, Gespenst?

      Ja, du hast einen Schatten. Du zeigst ihn ängstlich vor, wie eine Legitimation: glaubt mir – ich bin ein Mensch.

      Ja, wir glauben dir. Du bist ein Mensch. Du bist ein ehrenwertes Gespenst. Ein Gespenst mit Schatten. Ein Gespenst, vor dem sich niemand zu fürchten braucht.

      Ich habe aber Grund, anzunehmen, daß du dich fürchtest.

      Wovor? Vor anderen Gespenstern? Vor jenen Gespenstern ohne Schatten? Welche weder in Sonne noch Mond einen Schatten werfen?

      Kamst du aus dem Kriege?

      Kannst du nicht schlafen: weil die Granaten in deinem Kopfe zischen? Die Maschinengewehre trommeln? Wilde Münder Wut, Erbarmen, Schmerz und Jubel brüllen?

      Ich bin so müde, daß mir bald die Augen zufallen und daß ich bald an kein Gespenst mehr glaube. Aber ich muß noch wissen, wer du bist.

      Du stehst nun in der Mitte der Straße. Wie aus grauem Glas. Du hast einen Stab in den Händen und führst ihn hin und her.

      Bist du der Mann mit der Wünschelrute und suchst du nachts, wenn dich niemand stört, nach Wasser unter dem Pflaster? Aber wir haben genug Wasser hier in München. Wir haben eine vorzügliche Wasserleitung. Das Wasser ist stark eisenhaltig.

      Ach: du bist der Straßenkehrer ...

      Du fegst die Straßen blank, damit der junge Tag sich nicht gleich seine neuen Schuh beschmutzt.

      Du tust etwas. Während ich wieder einmal nur denke, daß du etwas tust.

      Aber du darfst mir nicht übel nehmen, daß ich über dich nachdenke.

      Ich wohne in einem jener Häuser, die wie Attrappen im Mondlicht stehen. Du siehst das Haus und sagst dir: da wohnen die reichen Leute, welche den lieben langen Tag und die liebe lange Nacht nichts tun.

      Und damit hast du ein wenig Recht: ich tue den lieben langen Tag und die liebe lange Nacht nichts. Rein garnichts.

      Ich denke nur. Weil du nämlich keine Zeit zum Denken hast, so besorge ich das für dich mit. Und weil ich keine Zeit zum tun habe, so tust du etwas für mich. Gutes oder Schlechtes: was du auch immer für mich tust: habe Dank.

      Der Mond steigt über den Giebel.

      Eine Katze jault.

      Das Gespenst fegt unermüdlich die Straße.

      Ich will schlafen gehn. Ich ziehe den Vorhang zu.

      Es schlägt zwei Uhr.

      Der sterbende Soldat

       Inhaltsverzeichnis

      Tag und Nacht sind nicht mehr. Sind versunken wie Segelschiffe hinterm Horizont des Meeres. Ich weiß nicht mehr von Tag und Nacht. Von Sonne und von den grauen Krähen der Dämmerung. Von der Erde und von der runden Kugel des Glücks. Wir marschieren. Wir marschieren bei Tag. Wir marschieren bei Nacht. Wir schlafen in der Nacht. Wir schlafen am Tag. Wir schießen Tag und Nacht. Wenn ich mich umdrehe, steht die Zeit wie eine rosaschwarze Wand vor mir. Kein Tag. Keine Nacht. Kein Monat. Kein Jahr. Nur ein blutendes Feld, blutrote Ackererde, aus dem unsere Leiber wie weiße Blumen in den Himmel wachsen. Wie Tau netzt der Himmel meine Augen. Ich möchte immer blühen. Schmale Lilie. Schwertlilie. Ich habe nie so stark an mich geglaubt. Wenn ich die Hand hebe, werde ich eine Granate im Fluge aufhalten. Ich habe Durst. Nach Wasser. Nach Feuer. Ich will Feuer schlucken wie die östlichen Zauberer. Mein Pferd ist tot. Es muß irgendwo neben oder unter mir liegen. Worauf soll ich nun reiten? Ich werde auf einem toten Engländer in die Hölle reiten. Aber Lilli will es nicht. Sie faßt meine Hand, ich bin ja blind, und wird mit mir den Himmel suchen gehen. Lilli, sag’ ich, hier riecht es nach Veilchen, hier ist der Himmel. Sie läßt meine Hand los. Ich sehe sie nicht mehr. Da vorn ist eine andere Hand. Eine leuchtende Hand. Rauchgeschwärzt. Sie greift nach dem Haus mit dem Schindeldache. Die Hand wird auf einmal Mund. Sie frißt das Haus. Kaut an ihm. Wenn der Wachtmeister wüßte, daß ich hier so faul liege, während er Appell hält. »Ulan Bubenreuther«, wird er rufen. »Ulan Bubenreuther…?« Niemand meldet sich. »Ulan Bubenreuther vermißt…« Ich habe Durst. Ich möchte etwas trinken. Etwas Heißes. Ich friere. Heißen Tee. Ich muß lachen, wenn ich an die polnischen Juden denke, die uns immer Tee verkauften: »Gebe Sie Münz, Herr, kriege Sie heiße Tei…« Sie haben keine Heimat. Niemand hat eine Heimat. Nur der Tod. Er ist überall zu Hause. Wo ist die kleine Stadt, in der ich geboren wurde? Die engen Straßen gehen krumm und gebückt vor Alter. Die jungen Mädchen laufen Schlittschuh. Bürger eilen mit wichtigen Mienen zu Geschäft, Versammlung oder Kneipe. Die Oder rauscht unter den Schollen. Die Patina des Marienkirchturms glänzt in der Wintersonne violett und grün. Es muß wer gestorben sein – der Küster läutet die Glocken. Ich will leise mit der Lanze winken. Vielleicht, daß er mich sieht.

      Der Flieger

       Inhaltsverzeichnis

      Als der Fliegerunteroffizier Georg Henschke, Sohn eines märkischen Bauern, vom Kriege nach Hause auf Urlaub kam, stand sein Heimatdorf schon einige Tage vorher Kopf. Bei seiner Ankunft lief alles, was Beine hatte, ihm halber Wege, einige Beherzte sogar eineinhalb Stunden bis zur Bahnstation Baudach entgegen, und die Kinder und die halbwüchsigen Mädchen saßen auf den Kirschbäumen, welche die Straße säumten, die er kommen mußte.

      Nun war er da. Das ganze Dorf drängte sich eng um ihn, daß er kaum Luft holen konnte, seine Mutter weinte: »Georgi, mein Georgi!«, und der Pastor sagte: »Welch eine Fügung Gottes!« »Kinder,« lachte Georg Henschke, »Kinder, ich habe einen Mordshunger!« Da stob man auseinander, um sich gleich darauf zu einem Zuge zu gruppieren, der ihn würdevoll zur Tafel geleitete. Sie war unter freiem Himmel aufgeschlagen. Das Dorf nahm sich die Ehre, ihm ein Essen zu geben. Man zählte ungefähr sieben Gänge, und in jedem kam in irgend einer Form Schweinefleisch vor. Dazu trank man süßen, heurigen Most.

      Nach dem Essen, als der Wein seine Wirkung tat, wurde man keck. Man wagte Georg Henschke anzusprechen, zu fragen, zu bitten. »Georgi,« staunte zärtlich seine Mutter, »du kannst nun fliegen!« »Wollen Sie uns nicht einmal etwas vorfliegen?« fragte schüchtern die kleine Marie. »O,« lachte Georg Henschke, »das geht nicht so ohne weiteres. Da gehört ein Apparat dazu!« »Er hat ihn sicher in der Tasche,« grinste verschmitzt der Hirt, »er will uns nur auf die Folter spannen.« »Ein Apparat, das ist so etwas zum Aufziehen?« fragte seine jüngste Schwester Anna. Denn sie dachte daran, daß er ihr einmal aus Berlin einen Elefanten aus Blech mitgebracht hatte. Eine Stange lief unbarmherzig durch seinen Bauch, und wenn man sie ein paarmal herumdrehte, begann der Elefant zu wackeln, mit seinem Rüssel auf den Boden zu klopfen und plötzlich wie ein Wiesel und in wirren Kreisen im Zimmer herumzulaufen.

      »Nein,« sagte Georg Henschke, »ich habe den Apparat nicht bei mir, denn er gehört dem Staat.« »So, so,« meinte der Hirt mit seinem weißhaarigen Kopf, »der Staat. Das ist auch so eine neue Erfindung.« »Ganz recht«, lachte Georg Henschke.

      »So erzähle uns doch etwas vom Fliegen, und wie man es lernt, Georgi«,