Klabund

Gesammelte Erzählungen von Klabund


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gehts mit mir zum Verderben?

      Ich weiß nicht, komm ich noch einmal nach Haus

      Oder muß ich vorm Feinde sterben ...«

      Dann gab er ihm die Hand, sagte: »Adiö, Bartholomäus« und ging.

      *

      Als die Nachricht kam, daß er bei Souchez gefallen sei: durch Kopfschuß beim Sturmangriff –, da wußte Bartholomäus, daß er für ihn gestorben sei.

      Er, Bartholomäus, hätte eigentlich so sterben müssen. Ihm war dieser Tod zugedacht.

      Aber da er sein Leben nicht gelebt hatte, so war er auch seinen Tod nicht gestorben.

      Er begriff, daß es keinen Zweck mehr für ihn habe, sich mit dem Dichter Rainer Josefa Fintenfein in der Odeonbar zu verabreden, im Kunstsalon Dietzel ein Bild von Ramsold Ruck zu kaufen und den Schauspieler Kalischer Bohnenblust in seiner neuesten Rolle zu betrachten.

      Er fuhr eines Tages nach Berchtesgaden.

      Touristen begegneten ihm noch auf dem Wege nach dem kleinen Watzmann.

      Dann wurde er nicht mehr gesehen.

      Auch seine Leiche fand man nicht.

      In den »Münchener Neuesten Nachrichten« hieß es, er sei wahrscheinlich in den Schroffen am Königssee abgestürzt.

      Leuchtet Ihre Uhr des Nachts?

       Inhaltsverzeichnis

      Ich schlenderte eines Vormittags durch die Kaufingerstraße, dachte an nichts böses, aber auch an nichts gutes – als mir plötzlich aus dem Schaufenster eines Uhrmacherladens ein gelbes Plakat mit blutroten Buchstaben in die Augen sprang:

      Leuchtet ihre Uhr des Nachts?

      Deutsches Reichspatent! ff. Radium. Erstklassige Qualität. Mit Garantie auf Lebensdauer. Mit Läutwerk. Mit Bellvorrichtung: schlägt an wie ein Hund beim Nahen einer Gefahr (unentbehrlich für Angehörige des Heeres und der Marine). Mit Scherenfernrohr, mit Periskop für Unterseeboote.

      Ich stand wie betäubt. Ein eisiger Schrecken kroch mir vom Rückenmark ins Gehirn. Was nützte es, daß ich rite den philosophischen Doktor an der Universität lllinois U. S. ehrenvoll gegen Erstattung von 320 D. bestanden hatte? Was nützte es, daß ich Antwort auf alle Fragen des Lebens wußte, wie zum Beispiel: warum? weshalb? weswegen? wozu? Was, sage ich, hat das alles für einen Nutzen und Gewinn, wenn ich nicht weiß, ob meine Uhr des Nachts leuchtet? Und das, muß ich gestehen, wußte ich nicht. Aber das gelbe Plakat mit den blutroten Buchstaben zwang mich unerbittlich zur inneren Einkehr.

      Ich fieberte den ganzen Tag. Ich aß nichts. Ich saß stier und verstört im Café Glasl vor einer Schale Nuß und dachte nur den ganzen Tag: Leuchtet meine Uhr des Nachts? … Leuchtet meine Uhr des Nachts? …

      Wenn es doch erst Abend … wenn es doch erst Nacht wäre!

      Eine Dame mit sanften Eidechsenaugen sah immer zu mir herüber.

      Es war die schönste Frau, die es auf der Welt geben konnte. Ich wagte nicht, sie anzusprechen. Ein Kreisel rotierte in meinem gänzlich hohlen Hirn:

      Leuchtet Ihre Uhr des Nachts?. .. Leuchtet Ihre Uhr des Nachts? … Schließlich konnte ich es nicht mehr aushalten: der silberne Schein, der aus den Augen der Dame floß, fiel wie Nebel auf mich.

      Ich stand auf, schwankte an ihren Tisch, und indem ich höflich den Hut zog, sagte ich mit vibrierender Stimme, rasend verliebt und meiner Sinne nicht mehr mächtig:

      »Leuchtet Ihre Uhr des Nachts?«

      Da nahm die Dame eines ihrer sanften blauen Augen aus ihrem Gesicht und warf es mir grollend an den Kopf.

      Es war ein Glasauge.

      Mit einer Beule an der Stirn verließ ich das Café. Der Abend hing die dunklen Netze um Tal und Hügel, um Busch und Baum.

      Die Straße war taghell erleuchtet von tausend elektrischen Äpfeln und Birnen.

      Ich zog meine Uhr – aber es war viel zu hell in den Straßen; wie konnte ich beim aufdringlichen Geflimmer der tausend Lampen sehen, ob meine Uhr leuchte?

      Ich nahm ein Auto und fuhr auf die Theresienwiese. Mutterseelenallein ging ich mitten auf die Wiese und zog bebend meine Uhr.

      Aber siehe, ich hatte nicht beachtet, daß Vollmond im Kalender angezeigt war.

      Höhnisch grinste der Mond auf dem Uhrglas.

      Ich fuhr in die Stadt zurück. Meine Temperatur war auf 45 gestiegen. Ich bestand nur noch aus Schweiß, in dem, wie ein Fettauge in der Bouillon, die Uhr schwamm.

      In der Schwanthalerstraße sah ich ein Schild: »Keller zu vermieten.« Sofort stürzte ich in das Haus und mietete trotz vorgerückter Nachtstunde den Keller zu einem geradezu lächerlichen Preise.

      Ich schloß ihn sorgfältig ab, verstopfte die Fensterlöcher und Türritzen und zog wiederum, auf alles gefaßt, meine Uhr.

      Ich wartete ein, zwei Minuten.

      Ich wartete drei Stunden.

      Sie leuchtete – nicht!

      Tränen traten mir in die Augen. Ich war eine verpfuschte Existenz. Mein Leben war zerstört. Was sollte ich tun: meine Uhr leuchtete nicht …

      Was nützt es, daß ich mich mit Hindenburgseife wasche? Daß ich auf der Matratze »Immer feste druff« schlafe? Daß ich ein Portemonnaie besitze mit dem Eisernen Kreuz ins Leder gepreßt? Daß auf meinem Taschentuche die Schlacht zwischen Metz und den Vogesen abgebildet ist? Daß ich eine Armbinde trage mit der Inschrift. »Gott strafe England?« Daß mein Tintenfaß einen 42 cm-Brummer darstellt? Daß der Federhalter, mit dem ich schreibe, aus Patronenhülsen besteht? Daß ich mich jeden Tag mit dem nach einmaligem Gebrauch unfehlbar wirkenden Entlausungsmittel »Mackensen« entlause?

      Was besagt das alles, wenn ich keine Uhr besitze, die des Nachts leuchtet?

      Weinend wachte ich den Morgen heran.

      Schon um 5 Uhr stand ich vor dem Uhrwarengeschäft in der Kaufingerstraße und wäre beinah von der Straßenreinigung mit betroffen worden.

      Um 7½ wurde endlich das Geschäft geöffnet.

      Ich schlüpfte dem öffnenden Gehilfen noch unter der eisernen Rolljalousie durch und forderte mit einer Stimme, die sich wie ein Harlekin überschlug, eine Uhr mit ff. Radiumleuchtvorrichtung. Marke Kronprinz. Mit Garantie für Lebensdauer, mit Läutwerk, Bellvorrichtung, Scherenfernrohr und Periskop.

      Ich fieberte den ganzen Tag. Ich aß nichts. Ich saß stier und verstört im Café Glasl vor einer Schale Nuß und dachte nur den ganzen Tag: Leuchtet meine Uhr des Nachts? … Leuchtet meine Uhr des Nachts?

      Wenn es doch erst Abend … wenn es doch erst Nacht wäre!

      Und es wurde Abend. Es wurde Nacht. Ich saß in meinem Keller in der Schwanthalerstraße – und meine Uhr leuchtete!

      Sie leuchtete!

      Sie leuchtete die ganze Nacht: kalkweiß und graugrün wie ein magischer Kreis. Immer und immer starrte ich auf den Ring der fahlen Lichter. Der sah so aus:

      ********************

      Und wie ich mich tiefer in das Bild versah, da begriff ich: es war der Himmel, der Sternhimmel, den ich in der Hand hielt. Venus und Wage, Bär und Fisch glänzten in meiner Hand. Ich hatte das Rätsel des Lebens gefunden.

      Übernächtig, aber berauscht von der Erkenntnis der Nacht, stieg ich am Morgen aus meinem Keller empor. Da lag die Welt trübe und blaß wie ein Teller abgestandnes Wasser.

      Es regnete in Strähnen und ein weißer Wind seufzte.

      Die Welt ekelte mich an.

      Ich schlafe