am östlichen Ufer empor: mit rotem und gelbem Wein bepflanzt. Und wenn man den roten ein wenig mit Italiener verschnitte, so bekäme man den schönsten Bordeaux. Nun: er übertreibe. Gewiß. Aber ein guter Crossener ist besser als ein schlechter Bordeaux. Pardon: man wolle das alles wohl von ihm nicht wissen.
Ja, was er für Gefechte mitgemacht habe? Eigentlich gar keine. Dies, in dem er gefangen genommen worden sei, sei sein erstes Gefecht. Er habe fünfzig Patronen verschossen, habe dann vorgehen müssen, seine Kompagnie sei in flankierendes Feuer geraten. Voilá.
Übrigens: er habe zu viel gesagt. Oder vielmehr zu wenig. Er habe doch noch ein zweites Gefecht mitgemacht. Ein sehr merkwürdiges Gefecht. Vielleicht das merkwürdigste des ganzen Krieges.
Das Regiment war auf dem Marsch. Man näherte sich der feindlichen Zone. Ein Dorf lag plötzlich vor ihnen. Ein unansehnliches und höchst gleichgültiges Dorf, wie ein längliches Brot in den Backofen einer engen Talmulde geschoben.
War das Dorf vom Feind besetzt?
Zwei Züge mit Patrouillen an den Spitzen wurden ausgeschickt, das Dorf zu sondieren. Der eine Zug unter dem Befehl des Korporals Georges Bobin kam von der linken, der andere von der rechten Höhe. Das Dorf sollte wie von einer Kneifzange gefaßt werden.
Schleichend und äugend kam Korporal Bobin mit seiner Spitze bis dicht an das erste Haus. Er war vielleicht noch zwanzig Schritte entfernt, als plötzlich Schüsse ertönten.
Pfff … flog ihm auch schon eine Kugel an der Nase vorbei.
Sehr ungeinütlicher Zustand das. Aber weiter. In Deckung vor.
Woher kamen die Schüsse? Er befragte seine Leute. Sie sagten übereinstimmend: aus dem Hause da vorne.
Also mußte das Haus vom Feinde besetzt sein.
Er kroch fünf Schritte näher.
Pfff … neue Schüsse … ein leiser Schrei … einer seiner Leute war am Schenkel verwundet … das Blut rann ihm in die Hose … Er schickte ihn zurück zum Regiment. Die übrigen wurden unruhig und knallten unaufhörlich in das Haus hinein.
Kein Fenster im Hause war mehr ganz. Wieder ein Verwundeter … Noch einer … Der erste Tote … Was sollte er machen?
Es war unmöglich, das Haus, das stark besetzt schien, frontal zu stürmen.
Er gab den Befehl zum vorsichtigen Rückzug.
Kriechend und knallend zogen sie sich zurück.
Als sie den Ausgang des Dorfes erreichten, sahen sie von der anderen Seite die zweite Kolonne sich ebenfalls knallend und kriechend zurückschrauben.
Und nun wußte er – und während er erbleichte, brach er in ein krank-und krampfhaftes Gelächter aus.
Die beiden Züge hatten sich gegenseitig beschossen!
Zwischen den Häusern und durch die Häuser hindurch.
Das Geknalle hatte aber nicht nur das Regiment, sondern die ganze Division, bei der sich auch Artillerie befand, nervös gemacht.
Den ganzen Nachmittag und Abend böllerte es noch die Täler und Dörfer entlang.
Die Artilleristen, welche eifersüchtig darauf waren, daß die Infanterie »ihr Gefecht hatte«, zogen die Revolver und begannen ebenfalls zu knallen.
Und da es keine Feinde zu erschießen gab, so schossen sie auf alles Lebende, was ihnen in den Dorfstraßen in den Weg kam.
Alle Hühner, alle Enten, Kühe, Schweine, Katzen, Hunde, Kaninchen, Tauben fielen ihrer Kampfwut zum Opfer.
Die Gräben lagen voll zerfetzter und wimmernder Tiere. Pferde brüllten wie Tiger. Eine tote Katze hing wie der Kasperle im Kasperltheater nach der Vorstellung über der Rampe eines Zaunes. Eine Muttersau verblutete mitten auf der Gasse und drei lebende Ferkel sogen quietschend an ihren toten Brüsten.
Im Russenlager
Hier spürt man an einem Tage mehr vom Krieg als in München in fünf Monaten. Kaum war ich in C. eingetroffen, sah ich schon einen Zug von etwa dreihundert gefangenen Russen, die in einem langsamen schläfrigen Marsch, von Landsturmleuten mit aufgepflanzten (erbeuteten französischen) Bajonetten eskortiert, durch die Straßen zu ihrer Arbeitsstätte zogen. Einmal faßten sie Tritt. Sie schmeißen nicht die Beine wie unsere Soldaten, sondern stampfen mit gebogenem Knie den Boden. Wie Pferde bei verhaltenem Trab. Eine unpraktische und sicher sehr ermüdende Art zu marschieren.
Sie waren zum größten Teil vorzüglich mit hohen schwarzen Juchtenstiefeln und dicken lehmfarbenen Mänteln ausgerüstet. Einige wenige gingen in Holzpantinen und hatten sich aus umgeworfenen Tüchern phantastische Uniformen hergestellt. Einige sahen wie Mönche oder fromme Pilger aus, die mit leidenden Gesichtern wie zur Melodie eines unhörbaren Trauermarsches marschierten. Einer in dottergelbem Umhang leuchtete, gleichsam ihr Götze und wie die Inkarnation ihrer gefangenen Sehnsucht, der braunen Kolonne weit voraus. Am Schluß krochen kleine greisenhafte Kerle mit gelben zerknitterten Masken: Kirgisen und Mongolen aus den sibirischen Regimentern. Kosaken sah ich keine. Auch später bei meinem Besuch im Lager nicht. Es sind sicher welche darunter, aber sie haben sich unkenntlich gemacht. Wenn man nach Kosaken fragt, glauben sie, man wolle sie für die Kosakengreuel in Ostpreußen verantwortlich machen und spießen oder hängen. Ein hagerer, verkommener Bursche in schwarzer Pelzmütze, den ich als Kosak anredete, hob beschwörend wie ein Heiliger auf frühmittelalterlichen Kirchenfenstern beide Hände gegen mich und sagte: »Oh, oh, nix Kosack, nix Kosack.«
Die Holzbaracken, in denen die Russen wohnen, sind hoch und luftig und sehr gut ventiliert. Einige Baracken gehen halb in den Erdboden. Die Lagerstätten oder Betten sind dreifach übereinander gestaffelt: die Gefangenen schlafen auf Holzwollsäcken und erhalten als Oberbett feste Wolldecken. jede Baracke wird von einem großen Ofen geheizt. In einigen Baracken sind noch einige kleine Kochöfen vorhanden, wo die Leute sich ihr Essen aufwärmen oder Tee kochen können. Die hölzernen Tische, auf denen sie essen und arbeiten, lassen sich durch sinnreiche Vorrichtung (Umklappen der Platte) in große, mit Zinn ausgeschlagene Waschschüsseln verwandeln.
In der Küche kam ich gerade dazu, wie das Mittagessen ausgeteilt wurde. Ein Koch eines großen Berliner Hotels ist Oberkoch; ihm unterstehen zwei Dutzend russische Köche. Es gab heute Reisfleisch, das heißt Rindfleisch in einer dicken Reissuppe. Zehn Zentner Fleisch waren dazu verarbeitet.
Jeder Mann empfängt einen Liter, Leute, die den Vormittag streng gearbeitet haben, anderthalb Liter. Dazu erhält jeder den Tag ein Pfund (in der Stadt gebackenes und auch von den Einwohnern gern gegessenes) »Russenbrot« –- mit Kartoffelmehl durchsetztes Roggenbrot.
In der Hauptbaracke sang uns der russische Gesangverein, der unter Leitung eines gefangenen Petersburger Musikdirektors steht, einige slawische Lieder vor. Zuerst das Glockenlied. Der Vorsänger führt die Melodie. Alle anderen singen im Baß wie Glocken. Zuletzt sangen sie das schwermütige Lied ihrer Erinnerung an die Heimat:
Sag, wo bist du nur, geliebte Heimat?
Wo die Sterne sind, bist du gewiß.
Mädchen, liebes Mädchen, ich muß reiten
In die Ferne und die Finsternis.
Wenn die goldnen Augen nachts vom Himmel sehen,
Denk an mich, der in die Fremde ritt.
Alle Wolken, die von Westen wehen,
Bringen meine Sehnsucht mit.
Ein blutjunger Russe, Infanterist eines Odessaer Korps und bei Suwalki gefangen genommen, stand an die Wand gelehnt, für sich allein, stützte den Kopf in die Hand, schloß die Augen und sprach die Verse leise mit. Seine Lippen bebten und seine Wimpern zitterten. Einige, die faul auf ihren Betten lagen, hielten den Atem an und wußten nicht, wohin sie sehen sollten.
Der merkwürdigste Insasse des Lagers