und zu Kunststücken abrichteten. Die würden sie gewiß mitnehmen, und was für ein wundervolles Leben mußte das sein, ohne Stunden und Eltern und Gouvernanten. Dazwischen fiel ihr plötzlich ein, was Lise vom Teufel erzählt hatte: wer sich ihm verschrieb, dem konnte er alles verschaffen, was er sich nur wünschte.
Es wurde Abend, die alten Marmorreliefs am Kamin schimmerten matt durch die Dämmerung, aber heute fürchtete Ellen sich nicht. Sie saß tief in Gedanken und rang mit einem großen Entschluß. Schließlich suchte sie sich einen von ihren schönsten bunten Briefbogen aus der Schublade, ging damit ans Fenster, wo es noch etwas hell war, und verschrieb sich dem Teufel mit Leib und Seele, wenn er ihr helfen wollte, zu den Zigeunern zu kommen. Ellen steckte den Brief in ein Kuvert und legte ihn oben auf das Kaminsims, dann ging sie verstockt zu Bett. Das Fortlaufen wollte sie nun einstweilen noch aufschieben. Als sie ein paar Tage später nachsah, war der Brief verschwunden, der Teufel hatte ihn also wohl gefunden und mitgenommen. – Ellen erschrak furchtbar, ihr Trotz war inzwischen schon wieder etwas abgesunken, aber nun gab es keine Rückkehr mehr.
Die Mutter und Fräulein Anna waren in der folgenden Zeit manchmal der Verzweiflung nahe, denn mit Ellen war nichts mehr anzufangen, sie wurde von Tag zu Tag ungezogener. Wozu sollte sie sich jetzt noch Mühe geben, wenn sie doch dem Teufel gehörte. Sie wartete nur darauf, daß er sich irgendwie betätigen würde, und fühlte sich einsam und verwegen, als ob die ganze Welt gegen sie stände. Inzwischen überfiel sie manchmal eine furchtbare Angst – wenn er nun kam und sie holte, wenn er jetzt auf einmal hinter der Tür herausschaute! Ellen wagte kaum mehr, durch ein dunkles Zimmer zu gehen. Wenn sie ihre Aufgaben lernte, sah sie nach der Uhr: bis dahin muß ich fertig sein, sonst kommt er. Sie zählte im Gehen Pflastersteine, Treppenstufen, Korridorfliesen und gelobte sich, nur auf jede vierte zu treten, dann sollte er keine Macht mehr über sie haben. Manchmal konnte sie es aber nicht lassen, absichtlich falsch zu treten, um ihn herauszufordern, und dann berauschte sie sich an ihrem schlechten Gewissen – wenn Mama und die andern wüßten, daß sie sich dem Teufel verschrieben hatte und er jeden Augenblick kommen konnte, sie zu holen.
Ein Jahr später kam Ellen am Weihnachtsabend zum erstenmal mit in die Kirche, und nun gab es eine große Umwälzung in ihrem Innern. Der schmucklose weiße Raum mit dem blaugemalten Sternenhimmel und den zwei brennenden Christbäumen neben dem Altar kam ihr unsagbar schön vor. Auf der vergoldeten Kanzel stand der Propst mit seiner mächtigen, kahlen Stirn und der tiefen Friedensstimme: Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren! Ellen war geblendet und überwältigt, es schien ihr, daß der liebe Gott selbst da oben stände und zu ihr redete, und als ob sie ihn vorher noch gar nicht gekannt hätte. Und jetzt mit einemmal glaubte sie an Gott, glaubte an das Wunder: der Heiland war auch für sie geboren, um sie zu erlösen von der finstern Macht der Sünde.
Als der Propst von der Kanzel verschwand, war sie ganz unglücklich. Aber dann erschien er wieder vor dem Altar und sagte etwas, die Orgel setzte ein, und der Chor antwortete. Musik hatte Ellen fast noch nie gehört, und es kam ihr vor wie Engelsstimmen, die aus dem Himmel herabtönten.
Als sie hinter der Mutter aus der Kirche ging, sah sie sich noch einmal um; ihr war, als ob der liebe Gott da drinnen in all dem Lichterglanz zurückbliebe. Dann der Heimweg durch die schmalen Straßen und die lange Kastanienallee, die nach Nevershuus führte, – hinter den erleuchteten Gangfenstern sah man die Dienstboten eilig hin und her laufen. Die Eltern verschwanden gleich in den »grünen Saal«, um die Lichter anzuzünden. Oben in Mariannes Zimmer warteten die Geschwister im Dunkeln. Die Stühle wurden dicht an die Tür geschoben, damit man rasch hinunter könnte, wenn es klingelte. Leise sprachen sie von Kai, nun waren es schon vier Jahre, daß er unter ihnen fehlte, und sie dachten daran, wie lustig der große, blasse Bruder an solchen Tagen gewesen war.
Endlich wurde geschellt, und nun stürzten sie die Treppe hinunter, jeder wollte zuerst kommen. Im Eßzimmer standen die Leute in ihrem Sonntagszeug, die Mädchen mit weißen Schürzen und Hauben, die uralte bucklige Köchin, der Gärtner, all die langjährigen Getreuen, die eng zum Schloß und zur Familie gehörten.
Die Flügeltüren gingen auf, im Saal wogte es von Lichtern und Tannenduft, im ersten Augenblick waren alle wie geblendet.
Ellen stand vor ihrem Tisch, sie fand alles, was sie sich wünschte, und dazu noch ein Buch, das Kai gehört hatte. Mama kam und küßte sie.
»Freust du dich, mein Kind – das ist ein Andenken an Kai – ihr müßt ihn nie vergessen.«
Mama sah verweint aus. Es war selten, daß sie so gut mit Ellen sprach, und Ellen hätte sich für sie kreuzigen lassen in diesem Augenblick. Das Herz wurde ihr voll von Weihnachtsseligkeit, am liebsten hätte sie laut geweint.
Neujahr war sie wieder in der Kirche. Neben dem Altar brannten noch einmal die Christbäume, und der Propst redete, aber diesmal war es nicht der wundergläubige Festjubel, den er verkündete, sondern ernste, beinahe drohende Worte von Sterben und Vergehen, von der kurzen Gnadenfrist, die dem Menschen gegeben ist, um sich zu bessern.
Ellen faßte tausend gute Vorsätze, sie wollte von nun an jeden Tag beten und so vollkommen werden, daß niemand mehr über sie schelten konnte. Auf ihren früheren Bundesgenossen, den Teufel, blickte sie jetzt mit großer Verachtung herab – er hatte ihr ja nicht einmal geholfen; aber sie fürchtete sich auch nicht mehr vor ihm. Er konnte ihr nichts mehr anhaben, wenn sie betete: Gott war mächtiger.
Eine Zeitlang strengte sie sich nun wirklich an und betete mit großem Eifer, aber es war so schwer, man fiel doch immer wieder in Sünde.
Gegen Ostern ging Fräulein Anna fort, um eine Stellung im Ausland anzunehmen. Die beiden Kleinen hatten lange Ferien, während die Mutter eine neue Lehrerin suchte. Allmählich fingen sie an zu hoffen, es würde sich überhaupt keine finden, und sie hatten jetzt so viel andere Dinge im Kopf, daß sie ihre Freiheit sehr gut brauchen konnten.
Eine Jugendbekannte der Baronin Olestjerne hatte ihren Sohn drunten in der Stadt zur Schule gegeben, und dieser schmächtige, schwarzäugige Junge, der Geerd hieß, war ein großes Ereignis im Leben der beiden Geschwister. Sie hatten jetzt einen Freund, den sie mit wetteifernder Leidenschaft liebten und in ihre Geheimnisse einweihten, in alles Verbotene und Verlockende: wie man das verrostete Türschloß zum Turm und zum alten Gefängnis aufbrachte, oder durch eine Luke vom Garten aus in die dunkeln, gewölbten Keller einstieg – in alle verstohlenen Winkel von Schloß und Garten, von denen sie Besitz ergriffen hatten und jeder seinen Namen und seine Geschichte besaß. Geerd war entzückt von alledem, die drei Kinder schlossen sich immer feuriger zusammen und kamen schließlich auf die Idee, ihre Freundschaft durch einen Blutbund zu besiegeln.
Ein Abend, wo die Eltern in Gesellschaft waren, wurde dazu ausersehen, denn diese heilige Handlung konnte nur ganz im geheimen, bei Nacht und Nebel vor sich gehen. Als der Wagen aus dem Hof rollte, stürmten sie rasch in die Kinderstube, wickelten sich in phantastische Gewänder aus weißen Bettüchern, zündeten die heimlich erbeuteten Wachskerzen an und wallfahrteten mit dumpfem Gemurmel, in dem immer wieder das Wort »Blut!« vorkam, durch den Rittersaal, durch die weiten, dunkeln Bodenräume, die sich über das ganze Schloß hinzogen, und dann die schmale Wendeltreppe hinab in die frühere Kapelle. Unwillkürlich hörten sie auf zu murmeln, auf dem glatten Fliesenboden hallte jeder Schritt laut wider, und die tiefen Nischen rings an der Wand waren unheimlich dunkel. An der Stelle, wo der Altar gestanden, war noch eine viereckig aufgemauerte Erhöhung, da stellten sie ihre Lichter hin. Keines von ihnen sprach ein Wort, während sie sich mit einem stumpfen Messer Arme und Beine ritzten und das Blut in einem Glase sammelten. Weil es nicht genug war, kam noch etwas Wasser dazu, dann tranken sie es aus, schwuren sich ewige Treue und furchtbare Rache dem, der zum Verräter würde. Als das geschehen war, wurde die Stimmung etwas leichter. Geerd, der über Taschengeld verfügte, hatte Kuchen und eine Flasche Wein beschafft, und sie lagerten sich zum Mahl um den Altar.
Verspätet und mit erhitzten Köpfen erschienen die drei an diesem Abend im Eßzimmer, und während sie bei Tisch saßen, gingen immer wieder geheimnisvolle Blicke und Anspielungen zwischen ihnen hin und her.
Wenn es irgend anging, feierten sie jetzt jeden Sonntagabend ein heimliches Bundesmahl in der Kapelle, im Keller oder auf dem Turmboden – aber dunkel mußte