Оскар Уайльд

Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde


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ihr vorüber. Sie sah, wie sich die dünnen Lippen bewegten, und lächelte.

      Plötzlich fühlte sie das Bedürfnis, zu sprechen. Die wortüberfüllte Schweigsamkeit verwirrte sie. »Mutter, Mutter,« rief sie, »warum liebt er mich so innig? Ich weiß, warum ich ihn liebe. Ich liebe ihn, weil er so ist, wie die Liebe selbst sein muß. Aber was findet er an mir? Ich bin seiner nicht wert. Und doch – ich weiß nicht, warum – ich fühle mich wohl tief unter ihm, aber ich fühle mich nicht gering. Stolz bin ich, schrecklich stolz. Mutter, hast du meinen Vater so geliebt, wie ich den Prinzen Märchenschön liebe?«

      Die alte Frau wurde bleich unter dem dicken Puder, womit ihre Wangen beklebt waren, und ihre verwelkten Lippen zitterten in krampfigem Schmerz. Sibyl stürzte zu ihr hin, schlang ihr ihre Arme um den Hals und küßte sie. »Verzeih mir, Mutter! Ich weiß, es schmerzt dich, an unseren Vater zu denken. Aber es schmerzt dich nur, weil du ihn so lieb gehabt hast. Sieh nicht so traurig drein. Heute bin ich so glücklich, wie du es warst vor zwanzig Jahren. Ach, könnte ich für immer so glücklich sein!«

      »Mein Kind, du bist viel zu jung, um an eine Liebschaft zu denken. Zudem, was weißt du von diesem jungen Mann? Du weißt nicht mal seinen Namen. Die ganze Sache ist höchst unpassend, und wahrhaftig, gerade jetzt, wo sich James für Australien rüstet, und ich an so viele Dinge zu denken habe, da muß ich sagen, du hättest mehr Überlegung zeigen sollen. Immerhin, wie ich schon sagte, wenn er reich ist ...«

      »Ach Mutter, Mutter, laß mich glücklich sein!«

      Frau Vane blickte sie an und schloß sie plötzlich mit einer der unwahren theatralischen Gesten in die Arme, wie sie den Schauspielern oft zur zweiten Natur werden. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein junger Bursche mit struppigem, braunem Haar kam in die Stube. Er war von untersetzter Gestalt, und seine Hände und Füße waren groß und bewegten sich etwas ungelenk. Er war nicht so gut erzogen wie seine Schwester. Man hätte kaum die nahe Verwandtschaft erraten können, die zwischen beiden bestand. Frau Vane richtete ihre Augen aus ihn, und ihr Lächeln verstärkte sich. In ihrem Geiste ließ sie ihren Sohn die Rolle des Publikums spielen. Sie war überzeugt, daß das Tableau interessant war.

      »Du könntest dir wohl ein paar Küsse für mich aufheben, Sibyl«, sagte der Bursche mit gutmütigem Knurren.

      »Ach, Jim, du machst dir doch gar nichts aus Küssen!« rief sie. »Du bist ein greulicher alter Bär!« Und sie hüpfte durchs Zimmer zu ihm hin und umhalste ihn.

      James Vane sah seiner Schwester zärtlich in das Gesicht. »Ich möchte mit dir spazieren gehen, Sibyl. Ich glaube kaum, daß ich dies schreckliche London jemals wiedersehe. Ich mache mir auch wirklich nicht im geringsten was draus.«

      »Mein Sohn, rede doch nicht so schreckliche Dinge«, grollte Frau Vane, während sie seufzend ein flitteriges Theaterkostüm zur Hand nahm und es auszubessern begann. Sie fühlte eine kleine Enttäuschung, daß er sich der Gruppe nicht angeschlossen hatte. Es hätte die malerische Wirkung der Szene so hübsch erhöht.

      »Warum nicht, Mutter? Ich meine es im Ernst.«

      »Du kränkst mich, mein Sohn. Ich hoffe, daß du von Australien als ein gemachter Mann zurückkehrst. Ich vermute, es gibt in den Kolonien sozusagen keine Gesellschaft, wenigstens nichts, was ich Gesellschaft nenne; wenn du also dein Glück gemacht hast, mußt du zurückkommen und dich zur Geltung bringen in London.«

      »Gesellschaft«, brummelte der junge Mann. »Will davon nichts wissen. Möchte nur soviel Geld verdienen, um dich und Sibyl vom Theater wegzukriegen. Ich hasse es.«

      »O Jim,« sagte Sibyl lachend, »wie unfreundlich von dir! Aber, willst du wirklich mit mir spazieren gehen? Das ist nett! Ich fürchtete schon, du wolltest dich bei deinen Freunden verabschieden, bei Tom Hardy, der dir diese gräßliche Pfeife geschenkt hat, oder bei Nell Langton, der dich auslacht, weil du sie rauchst. Es ist sehr hübsch von dir, daß du mir deinen letzten Nachmittag schenkst. Wohin werden wir gehen? Komm, wir wollen in den Park.«

      »Dazu bin ich zu schäbig angezogen«, antwortete er mit gerunzelter Stirn. »Nur Elegants gehen in den Park.«

      »Unsinn, Jim«, flüsterte sie, und streichelte seinen Ärmel.

      Er zauderte einen Augenblick. »Schön denn,« sagte er schließlich, »mach' aber nicht zu lang mit dem Anziehen.«

      Sie tanzte zur Tür hinaus. Man konnte sie singen hören, während sie die Treppe hinauslief. Ihre kleinen Füße trippelten oben.

      Er ging zwei oder dreimal durch die Stube, dann wandte er sich zu der schweigsamen Gestalt im Lehnstuhl.

      »Mutter, sind meine Sachen gepackt?« fragte er.

      »Alles fertig, James«, antwortete sie, ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen. Seit einigen Monaten war es ihr unbehaglich, wenn sie mit ihrem rauhen, finsteren Sohn allein war. Ihre oberflächliche Natur mit ihrem unterdrückten Geheimnis wurde beunruhigt, wenn sich ihre Augen trafen. Sie fragte sich, ob er einen Verdacht habe. Sein Schweigen, da er sonst keine Bemerkungen machte, wurde ihr unerträglich. Sie fing also zu jammern an. Frauen verteidigen sich, indem sie angreifen, gerade, wie sie dadurch angreifen, daß sie unvermutet die Waffen strecken. »Ich hoffe, James, dein Seefahrerleben wird dich befriedigen. Du darfst nie vergessen, daß es deine eigene Wahl war. Du hättest in das Bureau eines Anwalts treten können. Anwälte sind eine sehr geachtete Menschenklasse und werden auf dem Lande oft in den besten Familien eingeladen.«

      »Ich hasse Bureaus und ich hasse Schreiber«, erwiderte er. »Aber du hast ganz recht, mein Leben habe ich mir selbst gewählt. Alles, was ich sage, ist: Wache über Sibyl! Laß ihr kein Unglück zustoßen. Mutter, du mußt über sie wachen!«

      »James, du hast eine merkwürdige Art, zu sprechen. Natürlich wache ich über sie.«

      »Ich höre, ein Herr kommt jeden Abend ins Theater und geht hinter die Kulissen und spricht mit ihr. Ist das wahr? Wie verhält sich's damit?«

      »James, du sprichst von Dingen, die du nicht verstehst. Wir in unserem Beruf sind gewöhnt, eine Menge wohltuender Aufmerksamkeiten zu empfangen. Ich selbst habe zu meiner Zeit viel Blumen bekommen. Damals verstand man noch etwas vom Spielen. Was Sibyl betrifft, so weiß ich im Augenblick nicht, ob ihre Neigung ernst ist oder nicht. Aber darüber besteht kein Zweifel, daß der fragliche junge Mann ein vollendeter Kavalier ist. Er ist immer ausgesucht höflich zu mir. Auch sieht er aus, als ob er reich wäre, und die Buketts, die er schickt, sind ganz allerliebst.«

      »Aber du weißt nicht mal seinen Namen«, warf der junge Mann barsch ein.

      »Nein«, antwortete die Mutter mit gelassener Miene. »Er hat uns seinen wirklichen Namen noch nicht verraten. Ich finde das sehr romantisch von ihm. Wahrscheinlich ist er ein Herr von Adel.«

      James Vane biß sich auf die Lippen. »Wache über Sibyl!« schrie er. »Wache über sie!«

      »Mein Sohn, du verletzt mich ungemein. Sibyl steht unablässig unter meiner besonderen Obhut. Natürlich, falls dieser Herr vermögend ist, sehe ich den Grund nicht ein, um einer Verbindung mit ihm auszuweichen. Ich bin fest davon überzeugt, er gehört zur Aristokratie. Er sieht ganz so aus, muß ich sagen. Es wird eine brillante Partie für Sibyl werden. Sie würden ein entzückendes Paar abgeben. Seine Schönheit ist wirklich ganz bedeutend; sie fällt jedem auf.«

      Der junge Mann brummte etwas in sich hinein und trommelte mit seinen dicken Fingern gegen die Fensterscheibe. Er hatte sich gerade umgewandt, um etwas zu sagen, als die Tür aufging und Sibyl hereinflitzte.

      »Was macht ihr beide denn für ernste Gesichter!« rief sie aus. »Was gibt's denn?«

      »Nichts«, antwortete er. »Man muß auch mal ernst sein. Adieu, Mutter; ich will um fünf essen. Alles ist gepackt bis auf die Hemden; du brauchst dich also um nichts mehr zu kümmern.«

      »Adieu, mein Sohn«, antwortete sie mit einer Verbeugung gemachter hoheitsvoller Würde.

      Sie war äußerst gekränkt durch den Ton, den er ihr gegenüber angeschlagen hatte, und in seinem Blick lag etwas, das ihr Angst eingeflößt hatte.

      »Gib