Оскар Уайльд

Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde


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Märchenprinz«, antwortete sie, und spähte dem Wagen nach.

      Er sprang auf und faßte rauh ihren Arm. »Zeig' ihn mir. Welcher ist es? Zeig' ihn mir, ich muß ihn sehen!« rief er. Aber in diesem Augenblick fuhr der Viererzug des Herzogs von Verwick dazwischen, und als die Aussicht wieder frei war, hatte der Wagen schon den Park verlassen.

      »Er ist fort«, murmelte Sibyl traurig. »Ich wünschte, du hättest ihn gesehen.«

      »Ich wünschte es auch, denn so wahr ein Gott im Himmel ist, wenn er dir je ein Leides antut, bring' ich ihn um!«

      Sie sah ihn erschreckt an. Er wiederholte seine Worte. Sie durchschnitten die Luft wie ein Dolch. Die Leute ringsherum fingen an, auf sie hinzustarren. Eine Dame ganz in der Nähe kicherte.

      »Komm fort, Jim; komm fort«, flüsterte sie. Er ging ihr verbissenen Mundes nach, als sie die Menge durchschritt. Er war zufrieden, daß er das gesagt hatte.

      Als sie bei der Achillesstatue war, drehte sie sich nach ihm um. In ihren Augen lag Mitleid, das auf ihren Lippen zu einem Lachen wurde. Sie schüttelte den Kopf über ihn. »Du bist verdreht, Jim, völlig verdreht; ein ungezogener Bubi, sonst nichts. Wie kannst du so was Häßliches sagen? Du weißt gar nicht, was du zusammensprichst. Du bist einfach eifersüchtig und unfreundlich. Ach! ich wollte, daß du dich einmal verliebst. Liebe macht die Menschen gut, und was du gesagt hast, war schlecht.«

      »Ich bin erst sechzehn,« antwortete er, »aber ich weiß, was ich zu tun habe. Mutter kann dir nicht helfen. Sie versteht es nicht, dich zu beschützen. Ich wünschte jetzt, ich ginge überhaupt nicht nach Australien. Ich hab' nicht übel Lust, die ganze Sache zu lassen. Ich tät's, wenn mein Vertrag nicht schon unterschrieben wäre.«

      »Ach, sei nicht so ernsthaft, Jim. Du bist wie einer von den Helden aus den albernen Melodramen, in denen Mutter so gern gespielt hat. Ich will mich mit dir nicht streiten. Ich hab' ihn gesehen, und ihn sehen, ist vollkommenes Glück. Wir wollen nicht streiten. Ich weiß, daß du einem, den ich liebe, nie etwas antun wirst, nicht?«

      »Solange du ihn liebst, wohl kaum«, war die finstere Antwort.

      »Ich werde ihn immer lieben!« rief sie.

      »Und er?«

      »Auch immer.«

      »Das ist sein Glück!«

      Sie schrak vor ihm zurück. Dann lachte sie und legte die Hand auf seinen Arm. Er war doch nur ein Junge.

      Am Marble Arch bestiegen sie einen Omnibus, der sie in die Nähe ihrer armseligen Wohnung in Euston Road brachte. Es war schon fünf Uhr vorüber, und Sibyl mußte sich noch, bevor sie auftrat, ein paar Stündchen niederlegen. Jim bestand darauf, daß sie es täte. Er sagte, er würde lieber von ihr Abschied nehmen, wenn die Mutter nicht dabei wäre. Sie würde sicher eine Szene machen, und er verabscheue Szenen aller Art.

      Sie nahmen in Sibyls Zimmer Abschied. Im Herzen des jungen Menschen brannte Eifersucht und ein grimmer, mörderischer Haß auf den Fremden, der, wie er meinte, zwischen sie getreten war. Als sich aber ihre Arme um seinen Hals schlangen, und ihre Finger durch sein Haar fuhren, wurde er sanfter und küßte sie mit wirklicher Zärtlichkeit. Als er hinunterging, standen Tränen in seinen Augen.

      Die Mutter wartete unten auf ihn. Als er eintrat, murrte sie über seine Unpünktlichkeit. Er gab keine Antwort, sondern setzte sich an sein kärgliches Mahl. Die Fliegen summten um den Tisch und krochen über das fleckige Tischtuch. Durch das Gerassel der Omnibusse und das Rattern der Droschken konnte er die einförmige Stimme hören, die ihn um jede Minute beraubte, die ihm noch übrig blieb.

      Nach einer Weile schob er seinen Teller zurück und stützte den Kopf in die Hände. Er fühlte, daß er ein Recht habe, es zu wissen. Wenn die Dinge lagen, wie er vermutete, hätte man es ihm längst sagen sollen. Gepeinigt von Furcht, beobachtete ihn die Mutter. Die Worte tröpfelten ihr mechanisch von den Lippen. Ihre Finger zerknüllten ein zerrissenes Spitzentaschentuch. Als die Uhr sechs schlug, stand er auf und ging zur Tür. Dann wandte er sich um und sah sie an. Ihre Blicke begegneten sich. In den ihren las er ein inbrünstiges Bitten um Mitleid. Das machte ihn erst recht zornig.

      »Mutter, ich muß dich was fragen«, sagte er. Ihre Augen irrten im Zimmer umher. Sie gab keine Antwort. »Sag' mir die Wahrheit! Ich hab' ein Recht, es zu erfahren! Warst du mit meinem Vater verheiratet?«

      Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Es war ein Seufzer der Erleichterung. Der schreckliche Augenblick, der Augenblick, vor dem sie Tag und Nacht seit Wochen und Monaten gebangt hatte, war endlich gekommen, und doch empfand sie keine Furcht. Ja, es war für sie gewissermaßen eine Enttäuschung. Die grobe Unumwundenheit der Frage heischte eine unumwundene Antwort. Die Situation war nicht langsam gesteigert worden. Es war roh. Es erinnerte sie an eine mißlungene Deklamation.

      »Nein«, antwortete sie, erstaunt über die harte Einfachheit des Lebens.

      »Dann war mein Vater ein Schuft!« schrie der Bursche und ballte die Faust.

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich wußte, daß er nicht frei war. Wir haben uns sehr lieb gehabt. Wenn er am Leben geblieben wäre, hätte er für uns gesorgt. Sage nichts gegen ihn, mein Sohn. Er war dein Vater und ein Gentleman. Er hatte wirklich hohe Verbindungen.«

      Ein Fluch kam über seine Lippen. »Es bekümmert mich nicht meinetwegen,« rief er, »aber laß Sibyl nicht... Ist es ein Gentleman oder nicht, der sie liebt, oder so sagt? Mit hohen Verbindungen, vermute ich.«

      Einen Augenblick lang kam ein schreckliches Gefühl der Demütigung über die Frau. Ihr Kopf sank herab. Mit zitternden Händen wischte sie sich die Augen. »Sibyl hat eine Mutter,« flüsterte sie, »ich hatte keine.«

      Der junge Mensch war gerührt. Er ging zu ihr hin, beugte sich über sie und küßte sie. »Es tut mir leid, wenn ich dich mit der Frage nach meinem Vater verletzt habe,« sagte er, »aber ich konnte nicht anders. Jetzt muß ich fort. Lebewohl! Vergiß nicht, daß du jetzt nur noch ein Kind zu beschützen hast, und glaube mir, wenn dieser Mann meiner Schwester ein Leid zufügt, dann bringe ich schon heraus, wer es ist, spüre ihn auf und schlage ihn tot wie einen Hund. Das schwöre ich dir!«

      Die wahnwitzige Übertreibung seines Schwurs, die leidenschaftlichen Handbewegungen, die ihn begleiteten, die tollen, melodramatischen Worte machten der alten Frau das Leben wieder interessanter. Diese Atmosphäre war ihr vertraut. Sie atmete wie erlöst, und zum erstenmal seit vielen Monaten bewunderte sie förmlich ihren Sohn. Sie hätte die Szene gern auf derselben Gefühlshöhe fortgesetzt, aber er brach sie kurz ab. Koffer mußten heruntergebracht und Decken beschafft werden. Der Hausknecht des Mietshauses rannte geschäftig hin und her. Mit dem Kutscher wurde der Preis abgehandelt. So wurde der Augenblick durch gemeine Einzelheiten verzettelt. Mit einem erneuten Gefühl der Enttäuschung stand sie am Fenster und ließ das zerrissene Spitzentaschentuch durch die Luft wimpeln, als ihr Sohn wegfuhr. Es war ihr zumute, als sei eine große Gelegenheit verpaßt worden. Sie tröstete sich, indem sie Sibyl sagte, wie öde künftig ihr Leben sein werde, da sie jetzt nur ein einziges Kind zu behüten habe. Diesen Satz hatte sie sich gemerkt. Er hatte ihr gefallen. Von seinem Schwur sagte sie nichts. Er war lebendig und dramatisch deklamiert worden. Sie hatte die Empfindung, daß sie alle eines Tages darüber lachen würden.

       Inhaltsverzeichnis

      »Du hast doch schon die letzte Neuigkeit gehört, Basil?« sagte Lord Henry am selben Abend, als Hallward in das kleine Separatzimmer im Bristol trat, wo für drei Personen zum Essen gedeckt war.

      »Nein, Harry«, antwortete der Künstler, während er Hut und Rock dem dienernden Kellner gab. »Was ist es? Nichts über Politik, hoffe ich. Die interessiert mich nicht. Im ganzen Unterhause gibts keinen einzigen Menschen, den man malen möchte; wenn auch einigen von ihnen zur Aufbesserung etwas Firnis nicht schaden könnte.«

      »Dorian Gray hat sich verlobt«, sagte Lord Henry und beobachtete ihn, während er sprach.

      Hallward