Henryk Sienkiewicz

Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz


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von meinem Wege.«

      Der Böhme bestritt dies und behauptete, die Fahrt nach Marienburg sei viel näher über Plock.

      »Du hast also mit dem Böhmen schon alles ausgemacht?«

      »Gewiß, und er hat folgendermaßen gesprochen: ›Wenn dem jungen Herrn in Marienburg irgend etwas Schlimmes zugestoßen sein sollte, ließe sich mit Hilfe der Fürstin Alexandra aus Plock viel erreichen. Ganz abgesehen davon, daß sie eine Anverwandte des Königs ist, steht sie auch in ganz besonders freundlichen Beziehungen zu den Kreuzrittern, bei denen sie großes Ansehen genießt‹.«

      »Das ist richtig, so wahr mir Gott helfe,« rief Macko. »Ein jeder weiß dies, und wenn sie uns ein Schreiben an den Großmeister geben würde, könnten wir unbehelligt die Lande der Kreuzritter durchziehen. Sie ist dem Orden sehr zugethan, folglich ist der Orden auch ihr sehr zugethan. Ein guter Rat, ein guter Rat! Dieser Böhme ist ein kluger Bursche!«

      »Und wie klug ist er!« stimmte die Tochter der Sieciechowa voll Eifer bei, indem sie mit ihren blauen Augen begeistert emporblickte.

      Da wandte sich Macko plötzlich mit der Frage zu ihr: »Wieso hast denn Du hier mitzusprechen?«

      In tiefster Verwirrung senkte die Maid die langen Wimpern und erglühte gleich einer roten Rose.

      Macko wußte indessen nur zu wohl, daß ihm kein anderer Ausweg blieb, als die beiden Mägdlein mit sich zu nehmen. Im Grunde seiner Seele war dies auch sein Wunsch, und so setzte er denn des andern Morgens seine Fahrt fort, nachdem er sich von dem greisen Prior verabschiedet hatte.

      Infolge der Schneeschmelze und der dadurch steigenden Gewässer kam er indessen weit weniger rasch vorwärts, als dies früher der Fall gewesen war. Aber auch nicht nur auf allen Edelhöfen und Pfarreien, an denen er vorüber kam, hielt er Nachfrage nach dem Abt, sondern auch in den Herbergen, in denen er mit seinen Begleitern des Nachts Rast machte. Des Abtes Spuren zu verfolgen, fiel nicht schwer, hatte er doch allerorts reichliche Spenden gegeben, teils für Almosen, teils um Messen lesen zu lassen, wie auch zur Anschaffung einer Glocke oder zur Wiederherstellung irgend einer alten Kirche. Was Wunder, daß sich daher der oder jener Küster, der oder jener Pfarrer seiner ebensowohl voll Dankbarkeit erinnerte, wie gar manches arme Väterchen, welches »um Gaben bittend« einherwanderte. Rings umher ging die Rede: »Gleich einem Engel zog er dahin.« Alt und jung betete für seine Gesundung, wenngleich der und jener die Furcht hegte, er werde des ewigen Heiles eher teilhaftig, als einer zeitweiligen Besserung. An etlichen Plätzen hatte der Abt, seiner zunehmenden Schwäche wegen, sogar zwei oder drei Tage verweilen müssen, Macko durfte sich daher der Hoffnung hingeben, daß er ihn noch einholen könne.

      Allein er täuschte sich in dieser Annahme. Bevor er Leczyca erreichte, nötigte ihn das Anschwellen der Flüßchen Nera und Bzura, vier Tage in einer verlassenen Schenke zu verbringen, deren Besitzer sich wohl aus Furcht vor Wassersnot geflüchtet haben mochte. Die Landstraße, welche von der Herberge zur Stadt führte, war trotz der darin eingerammten Pfähle fast ungangbar geworden, denn es hatte sich auf weite Strecken hinaus ein Wassertümpel neben dem andern gebildet. Wit, einer der Mannen Mackos, der aus dieser Gegend stammte, hatte zwar einmal etwas von einem durch den Wald führenden Weg gehört, aber er weigerte sich, als Führer zu dienen, wollte er doch bestimmt wissen, daß in den Sümpfen bei Leczyca allerlei böse Geister ihr Wesen trieben. Seiner Ansicht nach war unter diesen besonders der mächtige Boruta zu fürchten, der es sich stets angelegen sein ließ, die Menschen an bodenlose Stellen zu locken und sie dann nur um den Preis ihres Seelenheiles freigab. Aber auch die Schenke selbst stand in üblem Rufe. Macko hatte sich daher nur ungern zu einer längeren Einkehr entschlossen, wenn schon er keineswegs fürchten mußte, mit seinen Begleitern Hunger zu leiden, da er wie alle, die in jener Zeit eine Fahrt unternahmen, reichliche Zehrung mit sich führte.

      Und siehe da, thatsächlich hörten die Rastenden des Nachts einen gewaltigen Lärm auf dein Dache des Wirtshauses, zuweilen dünkte es sie auch, es klopfe jemand an die Thüre. Jagienka und Anielka aber, die beide in einem engen Gelasse neben der großen Vorderstube schliefen, vernahmen deutlich, wie in der Dunkelheit kleine Füßchen über den Lehmboden, ja an den Wänden auf und ab huschten. Dies verursachte ihnen keinen allzugroßen Schrecken, waren sie doch von Zgorzelic her an böse Geister gewöhnt, für die man seiner Zeit auf Befehl des alten Zych stets Speise vor die Thüre gestellt hatte, und welche, wie angenommen wurde, nichts Schlimmes vollführten, wenn man mit Gaben nicht kargte. In einer Nacht indessen erscholl aus dem nahen Dickicht ein dumpfes, unheilverkündendes Gebrüll. Am nächsten Morgen zeigten sich zwar die gegen die Sümpfe führenden Spuren mächtiger Hufe, welche wohl von Auerochsen oder Büffeln herrühren mochten, allein Wit behauptete, kein anderer als Boruta sei dies gewesen, der, einerlei ob er in der Gestalt eines Edelmannes oder in sonst irgend einer menschlichen Gestalt erscheine, Pferdefüße habe, und die Schuhe, die er zu tragen pflegte, sobald er sich unter den Leuten zeigte, in den Sümpfen der Schonung halber sofort wieder abnehme. Als Macko hörte, Boruta könne durch das Spenden eines Trunkes versöhnlich gestimmt werden, überlegte er den ganzen Tag bei sich, ob es nicht sündhaft sei, einem bösen Geiste Gutes zu erweisen, und schließlich zog er Jagienka zu Rate.

      »Wie wäre es, wenn ich auf die Nacht eine Ochsenblase, mit Wein oder Honig gefüllt, an den Zaun hinge?« fragte der alte Ritter. »Ist am andern Morgen etwas davon ausgetrunken, dann wissen wir, daß er sich hier in der Nähe umhertreibt.«

      »Bedenkt, daß wir zur glücklichen Errettung Zbyszkos des Segens der himmlischen Mächte bedürfen!« antwortete das Mägdlein. »Wie leicht könnten sie sich aber durch Euere That gekränkt fühlen.«

      »Das ist ja auch meine Furcht, doch ich sage mir stets wieder: Es handelt sich hier nur um Honig und nicht um meine Seele! Hei, meine Seele ist mir nicht feil. Was kümmern sich indessen die himmlischen Mächte um eine Ochsenblase voll Honig? Und zudem,« fuhr Macko mit gedämpfter Stimme fort, »gebietet es die Sitte, daß ein Edelmann dem andern selbst dann beistehe, wenn letzterer ein ganz verwerflicher Mensch sein sollte. Alle Leute behaupten jedoch, er sei ein Edelmann.«

      »Wer?« fragte Jagienka.

      »Den Namen eines bösen Geistes will ich nicht in den Mund nehmen.«

      Gegen Abend hing indessen Macko eigenhändig eine der großen Ochsenblasen, wie sie häufig zur Aufbewahrung von Getränken dienen mußten, an den Zaun, und schon am nächsten Morgen war die Ochsenblase bis auf den Grund geleert.

      Der Böhme lächelte zwar gar seltsam, als die Rede darauf kam, allein kein Mensch beachtete ihn. In dem alten Ritter aber rief jene Thatsache große Freude hervor, gab er sich doch nun der Hoffnung hin, mit seinen Begleitern unbehelligt und ohne Fährlichkeiten über die Sümpfe zu kommen.

      »Sonst müßte ja die Behauptung der Leute, daß er wisse, was Ehre heißt, falsch sein,« dachte Macko bei sich.

      Jetzt handelte es sich freilich vor allem darum, in Erfahrung zu bringen, ob man durch den Wald kommen könne. Dies mochte wohl sehr leicht der Fall sein, denn überall da, wo der Boden durch Baumwurzeln und zusammengewachsenes Geäst geschützt ist, kann er nicht so rasch von dem Regen aufgeweicht werden. Wit jedoch, der sich wohl am besten für diese Aufgabe geeignet haben würde, schrie sofort, als Macko nur eine Anspielung darauf machte: »Ihr könnt mich totschlagen, Herr, aber ich gehe nicht.« Da man umsonst versuchte, ihm klar zu machen, daß tagsüber böse Geister keine Macht haben, wollte der alte Ritter zuerst selbst gehen, schließlich wurde indessen ein anderer Ausweg gefunden. Hlawa sollte das Wagnis unternehmen. Der Böhme war ein keker Bursche, dem nichts erwünschter war, als seinen Mut vor den Leuten, insbesondere aber vor Frauen bethätigen zu dürfen. Er machte sich daher sofort bereit, indem er eine Streitaxt in seinen Gurt steckte und einen derben Knüttel zur Hand nahm.

      Vor Tagesanbruch trat er seine Wanderung an. Man glaubte sicher, er könne schon gegen Mittag wieder zurück sein. Große Unruhe bemächtigte sich daher aller, als dies nicht der Fall war. Vergeblich horchten die Knechte, als die Mittagszeit herannahte, nach allen Richtungen des Waldes. Wit machte nur abwehrende Handbewegungen, indem er erklärte: »der kommt nicht mehr zurück; wenn er aber zurückkäme, dann wäre es schlimm genug für uns, denn Gott weiß, ob er nicht einen Wolfsrachen hat und in einen Wärwolf verwandelt ist.«