ist: Ich erkenne das Objekt nur insofern, als es Subjekt – also Teil von mir selber – wird.
Denn letztlich sind wir blind; wir haben keinen unmittelbaren Zugang zu einem Außen. Die Psyche kann nur Psychisches wahrnehmen und verarbeiten. Die Realität ist nur als psychisch konstruierte zugänglich. Insofern finde ich eine Passage zum Andern letztlich nur durch Introspektion und nur in dem Maße, indem der Andere in mir selber gegenwärtig, vertreten, anwesend, wirksam wird. In dem Maße, in dem ich selber zum Erkenntnisinstrument werde, an mir selber etwas ablesen kann, indem ich mich zum Objekt des Objekts machen lasse. Psychoanalytisch würde man von Gegenübertragung sprechen, von Introjektion und Projektion, von Identifikation oder auch von projektiver Identifizierung. In Afrika würde man es Besessenheit oder Verhexung nennen, im Falle eines Heilers und seines Patienten Hellsichtigkeit, double vue oder Telepathie. Indem ich mich – zumindest partiell – fernsteuern lasse, bekomme ich eine Ahnung von den Umrissen und Kräften des andern – und er von den meinen: Denn Übertragung, Übertretung, Verliebtheit, Verführung, Beziehung ganz allgemein bedeuten ja, dass „Mein“ und „Dein“ sich ineinander falten.
Sich aber auch gegenseitig begrenzen, stören oder sogar zerstören: Jede Wahrnehmung ist in gewisser Hinsicht „projektive Identifizierung“, in dem Sinne, als ich das Andere nur identifizieren kann, indem ich Bilder von schon Bekanntem darüber lege, darauf projiziere. Insofern wird das Nicht-Eigene immer dem Eigenen assimiliert. Auf der andern Seite werde ich selber zum Objekt von Übertragungen, Projektionen, Zuschreibungen, die nicht ohne Folgen bleiben: Das Eigene wird immer wieder von Fremdem aufgeraut, durchkreuzt, aufgestört. Damit wird meiner Aneignung des Andern eine oft verwirrende, manchmal gewalttätige Grenze gesetzt; Unübertragbarkeit wird signalisiert.
Diese gegenseitigen Übertragungen sind immer Übergriffe und Übertretungen von Grenzen zwischen dir und mir. Sie sind nicht einfach ein Film, der auf den Körper des andern projiziert wird, ohne diesen zu affizieren. Der Film macht nicht Halt auf der Haut; er brennt sich ein, dringt ein. Mit andern Worten: Das Übertragungsgeschehen ist kein phantasmatisches Theater auf einem Schauplatz fern der „objektiven Realität“ oder ein innerpsychisches Spiel, das sich einer an sich übertragungslosen Wirklichkeit hinzugesellte. Es gibt keine Wirklichkeit vor der Übertragung; die Übertragung hat immer schon stattgefunden, und damit auch der Übergriff und die Übertretung. Kein Eigenes vor dem andern. Wir sind immer schon verführt, verhext, verstört, um nicht zu sagen vergewaltigt.
Oder: Immer schon erregt und infiziert.
Denn vergessen wir nicht: Die „Übertragung“ ist selbst von weither übertragen – sie trägt die Geschichte von Ansteckung, Seuche, Sterben und Eros mit sich. Vielleicht ist die sexuelle Übertragbarkeit als altes, ja archaisches Modell nicht am schlechtesten geeignet, die Übertragung radikal zu denken: Als zugleich reales und phantasmatisches Geschehen, wo sich Leben und Tod, Hoffnung und Angst, Liebe und Zerstörung fortpflanzen, als Risiko und Chance der lebensgefährlichen Berührung und Ansteckung mit Krankheits-, aber auch andern Erregern.
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